Ein Provinzstädtchen mit einer durch und durch korrupten Elite und einem Obergauner als Stadthauptmann. Und dann erfährt die kleine feine Gesellschaft von Bonzen, die wie die Made im Speck lebt, dass aus der fernen Hauptstadt ein Revisor erscheint, um die Verhältnisse vor Ort in Augenschein zu nehmen. Helle Aufregung! Ist er schon da? Ist es etwa der junge Aufschneider, der sich mit seinem Diener in der örtlichen Gastwirtschaft einquartiert hat? Man muss etwas tun! Am besten: Schönfärben. Verschleiern. Betrügen. Einschleimen. Bestechen.
Aufgescheuchte Kleinstadtgesellschaft
Wo sind wir? In den Kammerspielen des Meininger Theaters, in der Inszenierung von Nikolaj Gogols bitterböser Komödie "Der Revisor" von 1836 durch den Schauspieler und Regisseur Ronny Miersch. Gleichzeitig kommt mit der Bearbeitung der Geschichte durch John von Düffel auch die Gegenwart ins Spiel. Das Treiben der aufgescheuchten Kleinstadtgesellschaft ist bewusst so überdreht, so ins Lächerliche und Groteske gezogen, dass sich Miersch – in seiner zweiten Regiearbeit – einer Darstellungsform bedient, die näher liegt als man zuerst glauben könnte: das Kasperletheater.
Ausstatter Christian Rinke hat die Darsteller so kasperesk prachtvoll ausstaffiert, mit jeweils zwei zusätzlichen Puppenbeinen versehen und das Bühnenbild mit allerlei kringeliger Ornamentik geschmückt, dass man sich sicher sein kann: Das ist Kasperletheater im besten Sinn – voller Wortwitz, mit Gags am laufenden Band, einem unendlichen Redeschwall, hin- und hergeworfenen Puppenbeinen und eingestreuten musikalischen Spielereien aus dem verrufenen Nachtclub gleich um die Ecke.
Kollektive Hochgeschwindigkeit
Dem Publikum wird ganz blümerant angesichts dieser kollektiven Hochgeschwindigkeits-Glanzleistung von Miguel Abrantes Ostrowski (als Stadthauptmann), Christine Zart (Ehefrau), Miriam Haltmeier (Tochter), Yannick Fischer (falscher Revisor), Leo Goldberg (Diener), Jan Wenglarz und Vivian Frey (in jeweils drei Rollen als Stadthonoratioren). Ein Zahnrädchen greift ins nächste, mit perfekt getakteter Handlung und einem nahezu atemlosen Rhythmus des Spiels.
Nur: Es gibt keinen Kampf zwischen Gut und Böse. Es gibt kein gutes Kasperle, das die Prinzessin rettet und das Krokodil verhaut. Es gibt nur bösartige, bestenfalls bedauernswerte Geschöpfe. Und so wird es am Ende auch keinen Sieg des Guten geben, sondern nur ein Weiterso mit veränderten Mitteln und vielleicht veränderter Personnage. Das entspricht der Realität vom Zaren- übers Putinreich bis zum Rest der Welt weit mehr als der ewige Sieg des Guten, Wahren und Schönen.
Überdrehte Commedia dell'arte
Bei der von der ersten bis zur letzten Sekunde überdrehten Meininger Puppen-Commedia dell'arte, mit Komik und Klamauk außer Rand und Band, bleibt beim Publikum allerdings kein Lachen im Halse stecken. Man lacht, guckt in den berühmten Spiegel und ruft: "Ich doch nicht!" Das mag damit zusammenhängen, dass es bei John von Düffels Bearbeitung des Stoffes nicht mehr vorrangig um einen Akt der Aufklärung oder der Anklage geht, sondern vielmehr darum, dass Unveränderliche für den integren Teil der Menschheit erträglicher zu machen, indem man Dummheit und Bösartigkeit der absoluten Lächerlichkeit preisgibt.
Und außerdem gibt es hierzulande – im Vergleich zu anderen Ländern auf diesem Erdenrund – doch noch genügend couragierte Kasperle, schöne Prinzessinnen und liebenswerte Großmütter, die Leuten wie Anton Antonowitsch Skwosnik-Dmuchanowski ein Bein stellen.
Nächste Vorstellungen: 15. und 17. Juni. Kartentelefon 03693-451 222. www.staatstheater-meiningen.de