Erst brennen Häuser, dann die halbe Stadt, in Max Frischs "Biedermann und die Brandstifter". "Der unbelehrbare Biedermann ist in uns mächtiger als der zu später Einsicht fähige Jedermann." Mit dieser Erkenntnis begann eine frühere Kritik des Autors zu einer Inszenierung des "Lehrstücks ohne Lehre". Jetzt, nach der Interpretation des Stückes durch Peter Bernhardt in den Meininger Kammerspielen, möchte man hinzufügen: Auch der unbelehrbare Brandstifter rumort in uns. Die Dämonen kriechen unter den Türspalten unserer Hinterzimmer hervor, und piesacken nach Lust und Laune.
Die einzige Hoffnung auf Erlösung klingt bereits bei Max Frisch an, im griechischen Chor der Feuerwehrleute. "Feuergefährlich ist viel. / Aber nicht alles, was feuert, ist Schicksal, / unabwendbares." So banal das auch klingen mag, ungezählte Mal gesagt und geschrieben: Wenn irgendwoher Rettung nahen sollte, dann durch eine Lebensweise fernab vom Verhalten der Prototypen, die das Böse an den gegensätzlichen Polen einer breiten Skala von Bösartigkeiten verkörpern. In Meiningen sind das Yannick Fischer als kaltschnäuziger Fabrikant Biedermann, der eben, ohne mit der Wimper zu zucken, einen verdienten Mitarbeiter gefeuert hat und gleichzeitig sein Image als sozialer Mensch pflegt. Auf der anderen Seite verkörpern Michael Jeske (als Ringer Schmitz) und Emil Schwarz (als Kellner Eisenring) zwei Seiten des Brandstifters: Den brutal-verschlagenen und den intelligent-planenden. Sie dringen Schritt für Schritt wie heimtückische Invasoren in Biedermanns Haus ein, erobern mit penetranter Selbstverständlichkeit die Dachkammer und füllen sie mit Benzinkanistern und Brandbeschleunigern, als gehöre das zum obligatorischen Feuerschutz.
Nur keine Blöße geben
Währenddessen versuchen unten im Salon der Herr des Hauses und seine Gattin Contenance zu wahren und sich keine Blöße ihrer Verunsicherung zu geben. Wie man inzwischen ja aus eigener Erfahrung weiß, ist nichts einfacher als ein Paralleluniversum nach eigenen Vorstellungen zusammenzuzimmern. Je bedrohlicher die Außenwelt, desto geschlossener die alternative Realität. Was allerdings immer wieder erstaunt, und was in Meiningen glaubwürdig ausgespielt wird, ist die Suggestionskraft von Menschen, die mit ihrer Rhetorik diese Illusionswelten für sich zu nutzen wissen.
Um die Essenz des zeitlosen Stückes herauszufiltern, braucht es nicht mehr als den offenen Blick in zwei Gemächer eines Einfamilienhauses: In das Erdgeschoss und in die Dachkammer. Monika Maria Cleres hat die Bühne in diesem Sinne schnörkellos ausgestattet. Diese Einsichten kann der Betrachter gleichermaßen als Einblick in die Welt draußen und als Einblick in den eigenen Kopf verstehen. Der Rest ist Spiel nach Frischs Vorlage. Und dessen Wirkung hängt natürlich stark von der Glaubwürdigkeit der Rolleninterpretation ab. Da gibt es in den Kammerspielen nichts zu mäkeln. Die Typen sind physiognomisch, mimisch und rhetorisch überzeugend charakterisiert und kontrastiert. Auch die Nebenrollen, Carla Witte als Frau Biedermann und Nora Hickler als Dienstmädchen, gewinnen Profil. Ebenso präsent ist der mahnende griechische Chor der Feuerwehrleute, Matthias Herold, Renatus Scheibe und Franz Tröger (Musik).
Ist die Katastrophe vermeidbar?
Und so sehen die Zuschauer am Ende wieder einmal höchst betroffen das Haus, die Stadt, das Land brennen und fragen sich, wo der Point-of-no-return ist, ab dem die Katastophe unvermeidbar wird. Vielleicht suchen sie Biedermann und Brandstifter auch in sich selbst. Ganz schön viel Stoff für ein Lehrstück ohne Lehre.
Vorstellungen erst wieder in der neuen Spielzeit. Infotelefon: 03693-451 222. Weitere Informationen unter: www.staatstheater-meiningen.de.