Auf die brachiale Tour“ – diese vier Worte haben sie tief getroffen. Angelika Ochs nimmt den Vorwurf, der in dem Artikel der Süddeutschen Zeitung vom 7. Februar herauszulesen ist, ganz persönlich. Hat die Geschäftsführerin des Caritasverbands für den Landkreis Rhön-Grabfeld doch gerade den sprichwörtlichen Sprung ins kalte Wasser hinter sich und ist dabei, den Laden aufzuräumen, die Dinge zu ordnen und das Haus neu zu bestellen. Das tut sie nach bestem Wissen und Gewissen. Sie versucht, die Dinge zu regeln – menschlich und sozial verträglich, aber gewiss nicht „auf die brachiale Tour“. Dieser Ton hatte in der Stadt Mellrichstadt für ein recht zwiespältiges Echo gesorgt.
Der Laden und das Haus stehen für das Franziska-Streitel-Altenheim und das St.-Niklas-Seniorenheim, die sich – finanziell schwer angeschlagen – in einer schwierigen Situation befinden. Wie in einem Teufelskreis kam zu den roten Zahlen – bis zu 200 000 Euro jährlich – hinzu, dass es mit dem Arbeitsklima für die Beschäftigten und dem Betriebsklima untereinander nicht zum Besten stand. Allein der hohe Krankenstand im Dezember mit 47 Prozent unter den Pflegekräften spricht Bände. Wen wundert's, dass so auch die Unzufriedenheit unter den Bewohnern wie deren Angehörigen mehr und mehr gewachsen ist.
Bürgermeister Eberhard Streit, Vorsitzender der Julius-Spitalstiftung als Träger der beiden Häuser, war angesichts der akuten und sich verschärfenden Krise mit seinem Latein am Ende. Er warf den Rettungsanker und holte die Pflegeprofis von der Caritas mit ins Boot. Nun sind neben Angelika Ochs für den Pflegebereich noch Georg Sperrle, Fachbereichsleiter Gesundheit und Alter, sowie der stellvertretende Caritasdirektor Marco Warnhoff in die Geschäftsführung beider Häuser eingebunden. Mit dem Ziel, die Heime zu sanieren und ein tragfähiges Zukunftskonzept zu erarbeiten.
„Dieser Schritt war lange überfällig“, kommentierte ein Internet-User auf www.mainpost.de diesen Wechsel der Geschäftsführung. Seit Anfang Dezember 2012 ist Angelika Ochs mehrere Tage in der Woche wie auch an den Wochenenden in den Heimen in Mellrichstadt präsent und investiert darüber hinaus buchstäblich „jede freie Minute“ in die Einrichtungen. Zur Seite steht ihr neben weiteren Experten der Caritas vor allem Johanna Dietz, langjährige Leiterin der Sozialstation St. Kilian in Mellrichstadt und im „operativen Geschäft“ der Mitarbeiterführung ebenso erprobt wie erfolgreich.
Die Lage sondieren und versuchen, Schritt für Schritt die Dinge zu optimieren – so lautet, kurz gefasst, das Motto der Bestandsaufnahme für beide Heime. Es galt also, zeitgleich an vielen Stellschrauben zu drehen, insbesondere an der Stellschraube Pflegepersonal. „Der Überhang fiel uns gleich ins Auge“, stimmten beide Führungskräfte überein. Bei etwa 150 Pflegekräften waren das mehr als 20 zu viel. Der Zwang von Entlassungen blieb der neuen Geschäftsführung freilich erspart, denn eine größere Zahl von Mitarbeiterinnen hatte von sich aus gekündigt und die Einrichtungen verlassen. Bei jetzt 130 Beschäftigten sollen auch Angebote von flexiblen Arbeitszeitmodellen das Thema Entlassungen ad acta legen.
Steht die Caritas in einer Reihe beziehungsweise auf einer Stufe mit knallharten Sanierern? Dieses Bild zeichneten gerade jene Behauptungen, die im Zuge des Personalabbaus von Entlassungen und Einschüchterungen der Mitarbeiter sprechen. Und die Sanierung der defizitären Altenheime als „mit harter Hand“ einstufen. Das soll glauben machen, dass sie auf dem Rücken der Belegschaft ausgetragen wird, worunter wiederum die Versorgung der Bewohner zu leiden habe. Ein Bild, das Angelika Ochs und Coaching-Partnerin Johanna Dietz so nicht stehen lassen und in aller Deutlichkeit gerade rücken. „Wir haben drei Aufhebungsverträge angeboten, die nicht angenommen wurden, und eine Kündigung in der Probezeit ausgesprochen.“
Jetzt ist der Blick nach vorne gerichtet. „Es muss wieder mit Herz in den Einrichtungen gelebt werden“, sagen die beiden Caritas-Führungskräfte vor Ort und beziehen Bewohner wie auch Mitarbeiter in diesen Kernsatz ein. Es gilt, die Mitarbeiter neu zu motivieren, denn „Pflege ist Schwerstarbeit“, sagt Johanna Dietz. Und Angelika Ochs ergänzt: „Wenn die Wertschätzung nicht bei den Mitarbeitern ankommt, können sie diese auch nicht weitergeben.“
Ein Anliegen, dem hoher Stellenwert beigemessen wird. Und das kommt bei den Mitarbeitern an: „Wir spüren schon Aufbruchsstimmung“, freut sich die Caritas-Kreisgeschäftsführerin, die bei dieser schwierigen Arbeit mit Rat und Tat von den Experten des Diözesan-Caritas-Verbands unterstützt wird. Aber sie weiß auch externe Fachleute an ihrer Seite, wie beispielsweise Barbara Kühnl aus Arnstein, die ihr in Sachen Weiterbildung und Konzeptentwicklung „eine große Stütze“ ist.
Blicken wir sechs Monate zurück: Anfang September 2012 hatte Bürgermeister Eberhard Streit noch aufgeatmet. Der Vorsitzende der Julius-Spitalstiftung hatte ein neues Leitungsteam für das Franziska-Streitel-Altenheim und das Seniorenheim St. Niklas installiert. Und glaubte, damit die Krise, in der sich beide Häuser seit 2011 befanden, überwunden zu haben. Streit sah sich getäuscht. Schneller als ihm lieb war, hatte ihn die Vergangenheit – die beiden Heime als Sanierungsfall – eingeholt. Mithilfe der Caritas ist er nun zuversichtlich, beide Häuser zu retten. 664 Jahre Julius-Spital-Stiftung in Mellrichstadt verpflichten.
Personalschlüssel für die Mellrichstädter Einrichtungen
Wenn vom Mitarbeiterstand in Alten- und Seniorenheimen die Rede ist, kommt in der Regel der Personalschlüssel ins Spiel. Um hier einmal einen Einblick in die gesetzlichen Vorgaben zu geben, hat Ralf Grosch den Stellenschlüssel für das Pflegepersonal aufgezeigt, das naturgemäß den größten Anteil der Mitarbeiter stellt. Grosch gehört in der Übergangsphase für die Häuser in Mellrichstadt dem Leitungsteam der Caritas in beratender Funktion an.
Vorab zur Erläuterung: Das Pflegepersonal berechnet sich nach sogenannten Stellenschlüsseln (Personalschlüsseln), die in den Vergütungsvereinbarungen mit den Pflegekassen und dem Bezirk (als Träger der Sozialhilfe) festgelegt sind.
Als Beispiel sollen hier die Schlüssel vom Franziska-Streitel-Altenheim dienen: Das Stellen-Soll berechnet sich, indem man die Anzahl der Bewohner einer Pflegestufe (von null bis Pflegestufe drei) durch den entsprechenden Schlüssel teilt. Wenn in der Einrichtung zum Beispiel sechs rüstige Bewohner leben, müssen dafür (rechnerisch) 0,26 Stellen für Pflege und Beschäftigung vorgehalten werden. Bei der Pflegestufe 3 muss die Einrichtung etwa eine Stelle pro zwei entsprechende Bewohner rechnen.
Da diese Stellenschlüssel auch bei der Kalkulation der Pflegesätze zugrunde liegen, stellen sie nicht nur die Mindestbesetzung, sondern auch die Obergrenze der Besetzung dar, denn mehr ist auch nicht refinanziert (über den Tagessatz).
Von der Theorie nun zum konkreten Fall: Aktuell sind in den beiden Einrichtungen in Mellrichstadt 72 Mitarbeiter in der Pflege beschäftigt, besetzen etwa 46 Stellen. Das Stellen-Soll gemäß Personalschlüssel liegt aktuell bei etwa 43,5 Stellen. Die aktuelle Besetzung liegt also noch (leicht) über dem Soll.
Das heißt: Im Pflegebereich wird die Anpassung an das Personal-Soll dadurch erreicht werden, dass in einzelnen Fällen befristete Verträge, die in nächster Zeit auslaufen, nicht verlängert werden. Das bedeutet aber umgekehrt auch, dass kein Pflegemitarbeiter in einem unbefristeten Arbeitsverhältnis um seinen Arbeitsplatz fürchten muss, so Grosch.