David Henkes ist ein Experte im Aussuchen ungewöhnlicher, faszinierender Erzählungen. Das hat er wieder einmal unter Beweis gestellt, als er am Sonntag im Café Art Geschichten für „Mellrichstadt liest“ vortrug, die alle bis ins Makabre und Groteske reichen.
Das galt schon für die erste Erzählung mit dem Titel „Das Friedensspielzeug“ von Hector Hugh Munro (Pseudonym Saki). Dieser Kritiker der englischen Gesellschaft vor dem ersten Weltkrieg konstruiert in der kurzen Erzählung den untauglichen Versuch von Schmalspurpädagogen, zwei Buben von ihren blutrünstigen Kriegsfantasien wegzubringen und ihnen den Gedanken friedlicher Gestaltung des eigenen Gemeinwesens nahezulegen. Fazit: „… der Versuch … ist misslungen. Wir haben zu spät damit angefangen.“
Zu spät ist es für den Helden des Romans „Papillon“ von Henri Charriere nicht unbedingt. Denn Papillon in diesem autobiografischen Romans (er ist des Mordes angeklagt und angeblich unschuldig zu lebenslangem Straflager verurteilt gewesen) erlangt nach vielen Jahren mit brutalen Erfahrungen endlich seine Freiheit wieder. In Venezuela will er im Jahr 1944 ein ehrbares neues Leben aufbauen.
Er weiß: Er „muss ein doppelt anständiges Leben führen“, aber auf die Rache an all denen, die ihn unschuldig in das größte Elend gestürzt hatten, kann er nicht verzichten. Wie wendet man Schaden von der eigenen Firma ab? Dieser Mr. Mickel in Henry Slesars Groteske „Eine Hand wäscht die andere“ hat seine eigene Methode: Ein Joe Lamb hat seine Mitganoven um 12 000 Dollar betrogen, nun ist sein Leben in Gefahr. Doch im Falle seines Todes müsste seine Versicherung, die „Mutual Eastern Life“ 250 000 Dollar bezahlen. Dem Oberganoven Cudder bietet Mickel an, dass seine Versicherung ihm die 12 000 Dollar bezahlt, wenn er garantiert, dass Lamb am Leben bleibt.
Mit Henry Slesar und einer anderen verqueren Geschichte ging es weiter. Ein Türklinkenputzer-Vertreter hat wieder einmal keinen Erfolg. Doch beim zweiten Versuch gerät er an eine Frau, die gerade ihren Mann umgebracht hat.
Weil er das erkannt hat, setzt er sie so unter Druck, dass sie ihm die ganze Palette seiner Reinigungs- und Putzmittel abkauft: „Ganz und gar kein schlechter Tag.“
Worin besteht das Böse? Besteht es nicht darin, dass irgendwer irgendwem absichtlich ein Leid antut? Jedenfalls läuft es darauf in Stephen Kings Kurzroman „Faire Verlängerung“ hinaus. Das Böse tritt in Gestalt von Mr. Elvid auf. Der Name ist ein Anagramm. Aus Elvid wird Devil, das englische Wort für Teufel. Mit dem lässt sich ein erfolgloser Bankangestellter namens Streeter ein, der einen galoppierenden Krebs und nur noch wenige Wochen zu leben hat. Der Teufel verspricht ihm eine Lebensverlängerung von bis zu 25 Jahren, wenn Streeter seinen Hass auf seinen angeblich besten Freund Tom zu dessen Verderben ablädt. Tom erleidet darauf wie der Dulder Hiob im Alten Testament ein fürchterliches Unglück nach dem anderen, während es mit Streeter und seiner Familie steil bergauf geht.
Den letzten Beitrag hatte Henkes wieder aus Henry Slesars Kurzgeschichten ausgesucht. In „Der Stuhl“ wird erzählt, wie ein monströses Wunderwerk der Technik die Menschen in totale Dekadenz und suchtartige Abhängigkeit zieht, indem es dem, der sich in diesen Stuhl setzt, eine an Glücksgefühlen unüberbietbare Wolllust gewährt.