Die Kaffeemaschine arbeitet noch. Ansonsten ruht der Betrieb in Lydia Ulbrichs Gemischtwarenladen am Mellrichstädter Roßmarkt. Ein leerer Raum mit leeren Regalen. Nach fast 22 Jahren beendet die aus Gemünden stammende Geschäftsfrau den Betrieb. Ein wesentlicher Grund dafür: die großen Veränderungen im Versandhandel.
Als Lydia Ulbrich im August 1993 ihr Geschäft in der Hauptstraße eröffnete, ahnte sie nicht, wie eng es mit dem Schicksal eines großen deutschen Familienunternehmens verbunden sein würde – Quelle. Das Fürther Versandhaus verschaffte dem Laden mit angeschlossener Reinigung und später Solarium gute Umsätze.
Ulbrich handelte mit „weißer Ware“ – Gefrierschränken, Waschmaschinen und anderer technischer Ausstattung. Die Kunden schauten sich die Geräte im Laden an, bestellten sie und ließen sie sich über Quelle liefern. Das Geschäft mit Kleidung bildete da nur einen kleineren Teil, erinnert sich die Geschäftsfrau.
Die Verbindung mit Quelle brachte Ulbrich auch die Post als Partner ein. Immerhin lief der Hauptteil des Paketversands über dieses Unternehmen.
Eine Zeit lang betrieb sie in ihrem Laden eine Postfiliale – neben der Post am Bahnhof die zweite in Mellrichstadt. Das ergänzte sich gut. Der eine oder andere Postkunde nahm gern noch etwas aus dem übrigen Sortiment des Ladens mit.
Lydia Ulbrich hatte früh dafür gesorgt, dass sich die Palette ihres Ladens erweiterte. Sie nahm Geschenkartikel und hochwertige Tees ins Angebot hinein; bis zu 70 Sorten waren verfügbar.
Damals ahnte sie nicht, wie sehr sie diese Produkterweiterung benötigen würde. Denn Quelle befand sich im Niedergang. 2008 zog Ulbrich an den Roßmarkt um; ein Jahr später war die große Versandfirma zahlungsunfähig. Es wurde abgewickelt.
Dass es im Arcandor-Konzern, zu dem Quelle seit 1999 gehörte, kriselte, registrierte Ulbrich sehr wohl. „Aber dass es so dick kommt, war schon überraschend.“
Nach dem Wegfall des Großpartners baute sie ihr Angebot weiter aus. Waren aus dem Bereich Essig, Öl und Pesto stießen hinzu – keine billigen Mitnahmeartikel, aber gut geeignet als besondere Geschenke.
Auch das Thema Bio hielt im Geschäft der Wahl-Mellrichstädterin Einzug: Produkte aus Holunder, Wild aus der Rhön, in Brendlorenzen gerösteter und veredelter Kaffee. „Die Mellrichstädter Mischung ging recht gut.“
Die Geschäfte liefen zuletzt nicht schlecht, wenn auch nicht mehr so gut wie in den 1990er Jahren. Doch die Zeit blieb nicht stehen. Immer mehr Kunden bestellen beim Internetversand; Amazon & Co verbuchen Traumzuwächse und graben so dem Einzelhandel das Wasser ab.
„Der Laden“, betont Lydia Ulbrich, „hat auch in der letzten Zeit kein Minus geschrieben.“ Doch um das beibehalten zu können, hätte die Geschäftsfrau das Sortiment wohl noch breiter streuen, sich noch mehr auf Messen und Märkten präsentieren und Ideen holen müssen.
Jedes Jahr baute sie in ihrem Laden eine Weihnachtsausstellung auf. Jedes Jahr zeigte sie sich auf dem Weihnachtsmarkt in Unsleben. Den ganzen Stress möchte sie sich nicht mehr antun. Zumal sie bald das Rentenalter erreicht hat.
Nun will Lydia Ulbrich ausspannen, alle Eindrücke setzen lassen. Ihr Mann, wegen dessen Arbeit beim Zoll sie einst nach Mellrichstadt zog, wartet schon daheim. Auch möchte sie öfter zu ihren zwei Kindern und dem Urenkel reisen, die alle weiter weg wohnen. „Vielleicht suche ich mir eine kleine Beschäftigung. Ich weiß es noch nicht.“
Ein bisschen Wehmut schwingt schon mit beim Abschied. Vor allem, weil zuletzt einige Kunden den Laden aufsuchten und sich teils mit Blumen bedankten. „Es hat wahnsinnig viel Spaß gemacht. Es macht einen Unterschied, ob man ein Geschäft übergeben kann oder es ganz auflösen muss.“
Immerhin: Die Räume am Roßmarkt werden wohl bald neue Nutzer finden. Eine Mellrichstädterin möchte dort ein Strickcafé eröffnen, eine derzeit angesagte Sache. Im Frühjahr soll es losgehen, hat Ulbrich erfahren. Sie überlässt ihrer Nachfolgerin einiges von der Ausstattung, so ein paar Regale. Die Kaffeemaschine aber nimmt sie mit.