Man fühlt sich im „Blauen Engel“ in den Kammerspielen als schwebe man im luftleeren Raum. Die Eisenacher Inszenierung von Peter Turrinis Theaterfassung des Roman „Professor Unrat“ von Heinrich Mann hatte jetzt in der Regie des Eisenacher Schauspielleiters Boris C. Motzki in Meiningen Premiere.
Selbst wenn Josef von Sternbergs Verfilmung weit mehr als die Vorlage die individuelle Tragödie der Liebe eines verschrobenen alten Mannes zu einer jungen Tingeltangelsängerin ins Blickfeld rückt und weniger den sozialen Hintergrund beleuchtet, bleibt im Film eines deutlich: Die absolute Unvereinbarkeit von zur Schau gestellter bürgerlicher Moral mit den heimlichen Lüsten und Leidenschaften der Bürger.
Das, was sich im Roman und im Film eindeutig verorten lässt, bleibt in der Inszenierung in den Kulissen eines Provinzstadtvarietés (Bühne und Kostüme: Anke Niehammer) eigenartig zeitlos. Nicht nur, dass Filmnostalgiker in den Hauptfiguren nicht einmal schemenhaft Marlene Dietrichs und Emil Jannings Charakterinterpretation widergespiegelt finden. Es fehlt auch jegliches zeitgebundene Milieu – bis auf ein paar ziemlich bunt zusammengewürfelte Accessoires. Auch der Tingeltangel-Band aus Musikern der Landeskapelle Eisenach, die im Bühnenhintergrund die vertrauten Friedrich-Hollaender-Melodien intonierten (musikalische Leitung: GMD Carlos Dominguez-Nieto, Arrangements: Alexander Krampe), gelingt es nicht, ein fassbares Milieu lebendig werden zu lassen. So leidenschaftlich die Musiker auch spielen mögen. Genauso wenig vermögen es der allseits geforderte Gregor Nöllen (als Kompanieleiter und Moderator Kiepert), Dagmar Poppy (als seine Frau Guste), Isvan Vincze (als Schüler Lohmann) und Roman Kimmich (als sein Kumpel), mehr als nur bemühten Schwung in die Chose zu bringen.
Alle Hoffnung ruht also auf den Begegnungen der beiden Hauptpersonen. Hier setzt der Regisseur auf die Spannung, die aus dem Kontrast zweier höchst unterschiedlicher Lebenswelten entsteht. Nicht nur in den Rollencharakteren, sondern auch in der Wahl der Schauspieler. Der renommierte Theater- und TV-Schauspieler Edgar M. Böhlke (75) mimt Professor Rath, die blutjunge und ausgesprochen attraktive Theaterdebütantin Ekaterina Ivanova die Lola. Tatsächlich kommt es zwischen den beiden nicht nur zu sehr berührenden, sondern zu wirklich anrührenden Szenen.
Keine Frage, dass sich Böhlke und Ivanova auf ganz besondere Weise ergänzen, aber die junge Mimin kann sich aus naheliegenden Gründen nicht in die verruchte Aura einhüllen, die die Dietrich umgab. Sie spielt viel mehr ein Mischwesen aus Lolita und der jungen Marilyn Monroe – naiv, mit hohem Singstimmchen und entzückendem Augenaufschlag. Nahezu in aller Unschuld verführerisch und weniger aus Erfahrung. Auch das hat seinen Reiz und wird zudem noch reizender, wenn die Hüllen fallen. Trotzdem kann man diesem liebenswerten Geschöpf nicht die Verruchtheit einer Dietrich überstülpen. Böhlke mimt den alternden Professor präzise und einfühlsam und geht empathisch auf seine Partnerin ein. Die Zuspitzung der Tragikomik seiner Figur spielt er aufs Ende enorm intensiv.
So entsteht zwar ein glaubwürdiger Rohbau, aber zu einer wirklichen Einbindung in ein lebensfähiges Milieu kommt es nicht. Selbst die Reminiszenz an den Roman oder den Film bleibt nebulös. Ob das mehr dem Autor oder dem Regisseur zuzuschreiben ist, kann hier nicht entschieden werden. Jedenfalls werden die Lolitas und Femmes Fatales von heute auf wesentlich komplexere Art von Männern umschwärmt als Motten im analogen Zeitalter das Licht umflatterten. Aber das ist eine ganz andere, nicht weniger tragikomische Geschichte, die in dieser Inszenierung nicht thematisiert wird.
Nächste Vorstellungen: 2. und 16. Mai, jeweils 20 Uhr. Karten unter Tel. (0 36 93) 451 222 oder 451 137. www.das-meininger-theater.de