"Ich hab' dir Teig übrig gelassen." Können diese sechs Worte einen direkt in die Kindheit zurückversetzen? Ja, sie können. Andere Leute naschen gerne ungebackenen Kuchenteig. Ich mag schon immer das Salzige lieber, deswegen war es bei mir von klein auf der Semmelkloß-Teig. Ein kleiner Batzen wurde immer in der beigen Schüssel für mich aufgehoben. Der schmeckte mir fast besser als später der gekochte Kloß. Lange Zeit war er für mich das Beste am ganzen Gericht. Und er half ein bisschen gegen den Hunger, wenn man doch mal etwas länger auf das fertige Essen warten musste.
Das Semmelmehl für den Servietten- oder Semmelkloß machten wir immer selber, aus alt und hart gewordenen Brötchen vom Bäcker eine Straße weiter. Die Eier kauften wir bei einer Bekannten im Ort. Meine Mutter schnitt die Brötchen klein, ich warf sie in den Häcksel-Aufsatz der senfgelben Küchenmaschine auf der Arbeitsplatte, Deckel drauf, einschalten und vor allem: gut festhalten. Denn wenn man nicht aufpasste und den Behälter zu voll machte, flogen schon mal die Brötchen-Brocken durch die Küche. Für ein Kind meiner Größe gar nicht so einfach, vor allem weil ich mich anfangs noch auf einen Stuhl stellen musste, um überhaupt den Deckel zuhalten zu können.
Backerbsen waren Pflicht zum Semmelkloß
Mit welchen Beilagen der fertig gekochte Semmelkl0ß dann auf den Tisch kam, mag manchem zwar seltsam erscheinen. Ich war es aber nicht anders gewohnt. Es musste Bratensoße zum Kloß sein und Backerbsen. Überhaupt haben meine Schwester und ich als Kinder zu fast allem Backerbsen gegessen. Es war einfach so.
Die Reste wurden später als "Klößbröggelich" in der Pfanne angebraten. Oder mit Käse, Speck und Zwiebeln überbacken. Letzteres war auch im Studium praktisch, da man das Ganze nach einer langen Zugfahrt einfach schnell in den Ofen schieben konnte. Diese Variante kann ich heute allerdings nicht mehr essen. Denn eines morgens vor einigen Jahren stand der fertig überbackene Semmelkloß zum Auskühlen in seiner Auflaufform direkt neben dem Herd. Plötzlich knackte es, die Kochplatte war anscheinend noch heiß, was die darüber liegende Herdabdeckplatte leider nicht überlebte.
Nie mehr überbackener Semmelkloß
Die gefühlt tausend Scherben flogen über die ganze Arbeitsplatte. Es sah zwar so aus, als ob in meinem Semmelkloß-Auflauf nichts gelandet war. Aber später auf der Arbeit, als ich das Ganze essen wollte, wurde ich die Angst nicht los, dass sich im Semmelkl0ß doch eine Scherbe versteckt haben könnte. Ich wollte mir gar nicht vorstellen, was das bedeutet hätte. Das eigentlich leckere Essen warf ich schließlich schweren Herzens weg. Dieses Erlebnis brannte sich scheinbar ein bei mir - seither ist es vorbei mit dem überbackenen Semmelkloß.
Wenn ich heute Semmelkl0ß esse, dann immer noch mit Bratensoße und Backerbsen. Oder als Klößbröggelich. Mittlerweile gerne auch noch mit gekochten Erbsen und Karotten dazu. Rohen Teig zu naschen ist aber für mich immer noch Pflicht.
Wir haben uns umgehört, ob in Corona-Zeiten mehr regional eingekauft und gekocht wird. Außerdem stellen Mitarbeiter dieser Zeitung in einer kleinen Serie ab sofort in losen Abständen ihr selbst gekochtes Lieblingsgericht vor und erzählen ihre ganz eigene Geschichte dazu. In diesem Bericht verrät die Ideengeberin der Serie, Kristina Kunzmann, ihr Lieblingsrezept. Sie ist 25 Jahre alt und arbeitete schon zu Schulzeiten nebenbei für die Rhön- u. Saalepost und den Rhön- und Streuboten. Die Tätigkeit gefiel der Niederläurerin so gut, dass sie der Redaktion treu blieb und heute als Lokalredakteurin für die Leser unterwegs ist.