
Für Liebhaber von Gesamtkunstwerken, die sich schwertun mit Wagnerschen Musikdramen: Es gibt einen Lichtblick am Staatstheater Meiningen. In der dritten Inszenierung von "Tristan und Isolde" seit 2003 muss man nicht vor viereinhalbstündigem Liebesleid kapitulieren. Im Gegenteil: Man fiebert mit. Und wann kann man das schon, wenn man mit der Wagnerschen Welt fremdelt?
Die Wachheit hat viel mit dem respektvoll-ironischen Blick Verena Stoibers ("Salomé") auf die Geschichte zu tun. Es hat mit dem Gegenwartsmilieu zu tun, in zeitgemäßen Kostümen von Clara Hertel, mit den bezaubernden Seitenblicken auf die Kindheit der Liebenden und mit dem Bühnenbild von Susanne Gschwender. Das Publikum sieht ein Kammerspiel auf einer Bühne in der Bühne. Gleichzeitig erscheint auf der Umrahmung der Kammer die Traumwelt, in die sich Tristan und Isolde für eine Nacht flüchten.
Betörende Welten voller Farbe und Fantasie
Die Lösung ist genial: Der junge Videokünstler Jonas Dahl projiziert auf den Bühnenrahmen KI-bearbeitete Filme, Kamerafahrten durch betörende Welten voller Farbe und Fantasie. Die erste ist die geträumte Unterwasserwelt nach der Einnahme des Liebestranks, der eigentlich ein Todestrank sein sollte, noch an Bord des Schiffes, das Isolde aus ihrer irischen Heimat nach Cornwall bringt. Wie in einem Tiefenrausch sinken die Liebenden auf den Meeresgrund. In der Traumsequenz im zweiten Akt öffnen sich sogar die Wände der Kammer, als würden Traum und Realität miteinander verschmelzen. Doch die Tagwelt lässt keine wahre Liebe zu. Die Nachtgeweihten, wie sie sich selbst bezeichnen, erwartet nichts als Zerstörung der Illusion.
Wider Erwarten kann man für Augenblicke lachen, wenn sich die Liebenden rasant durch ihre Träume bewegen. Dann wird – sicher nicht zur Freude eingefleischter Wagnerianer - das Lotterbett zum Paddelboot auf nächtlichem Bergsee. Oder: Die Liebenden steigen auf ein Motorrad und düsen durch eine Gebirgslandschaft, als gäbe es kein Morgen. König Marke, dem die irische Königstochter von Tristan als Ehefrau zugeführt wurde, erwischt sie in flagranti. Da wechselt man gerne kurz, mit riesengroßem Augenzwinkern, zu echten Recken in historischen Gewändern, wie sie schon 1865 bei der Uraufführung im Münchner Nationaltheater auf der Bühne gestanden haben könnten.
Und Tristan darf sich, verzweifelt am Leben, ins Schwert des königstreuen Melot stürzen. Im dritten Akt – in der Burg seiner bretonischen Vorväter – leidet der verwundete Held vor sich hin, an seiner Seite Freund Kurwenal und - wie ein Geistwesen - Yuta Onouchi, der seinem Englishhorn in der "Klagenden Weise" zarte Töne entlockt. Ob Tristan in den Armen der im letzten Augenblick eintreffenden Geliebten sein Leben aushaucht, bleibt offen. Wagners Wille und Vorstellung von wahrer Liebe bleibt nach dem Gesehenen unwidersprochen. Und kleine Ungereimtheiten in der dramaturgischen Logik kann man vernachlässigen.

Nirgendwo eine Insel, auf der Arien-Verwöhnte verschnaufen könnten
Egal, ob man das Wagnersche Pathos mag oder nicht: Es ist immer wieder erstaunlich, wie er seine eigenen Liebeseskapaden in seelenerschütternde Musik verwandelt. Bei "Tristan und Isolde" könnte man sagen: in eine einzige, unendlich lange Wortsinfonie aus tiefster Verzweiflung und höchster Ekstase. Nirgendwo eine Insel, auf der Arien-Verwöhnte verschnaufen könnten. Es sei denn, man begreift das große Nachtgespräch der Liebenden als solche.
Lena Kutzner (Isolde) und Marco Jentzsch (Tristan) glaubt man stimmlich und mimisch das extreme Wechselbad an Gefühlen, an Hass, Rachegelüsten, Sehnen, Ekstase, Ernüchterung, Schwäche, Verzweiflung. Bewundernswert, wie sie sich durch sämtliche Höhen und Tiefen kämpfen – sie eher dominierend, er eher zurückhaltend. An ihrer Seite Selcuk Hakan Tiraşoğlu (Marke), Shin Taniguchi (Kurwenal), Johannes Mooser (Melot) und vor allem Tamta Tarielashvili (Brangäne). Der unsichtbare Herrenchor (Leitung: Roman David Rothenaicher) agiert in kurzen Passagen aus den Tiefen des Raumes.
Und aus der Tiefe des Orchestergrabens dringt unablässlich das, was die Geschichte im Innersten zusammenhält, das Universum der Wagnerschen Musik, dieser damals kühnste Vorstoß in neue harmonische Welten. Wie ein unruhig wogendes Meer trägt sie alle Gefühle der Handelnden in sich, wirbelt sie durcheinander, wirft sie in die Brandung, um sie sogleich wieder in die Tiefe zu ziehen.
GMD Killian Farrell steuert die Meininger Hofkapelle dabei sicher durch die Wogen, wie ein irischer Seemann einen stolzen Dreimaster. Und deshalb kann sich der staunende Skeptiker ganz der Frage nach dem wichtigsten Leitmotiv widmen: Wann genau taucht er wieder auf aus diesen wogenden Wellen, der berühmte Tristan-Akkord aus den ersten Takten des Vorspiels, mit dem das Gefühl der unerfüllten Liebessehnsucht so hinreißend in Töne gefasst wird?
Am Ende: Ein paar wenige "Buhs", die von Standing Ovations schnell übertönt werden.