Wenn in einem Klassenzimmer der Grabfeld-Mittelschule am Vormittag während der normalen Unterrichtszeit die Schulmöbel zusammengestellt und abgedeckt sind, der Fußboden abgeklebt ist und viele Hände beim Tünchen, Streichen und Bemalen der Wände sind, dann muss das eine besondere Bewandtnis haben. So war es auch in der Praxisklasse P 8/9 von Klassenleiter Oliver Kröner: Ein Praxis-Projekt auf „Win-Win“-Basis. Wobei der Win-Anteil der Schüler näher liegt als jener der Tüncher- und Verputzermeister Gerd Bauer aus Trappstadt und seines Sohnes Philipp. Drei, vielleicht dreieinhalb Tage lang sollte das Projekt dauern, innerhalb dessen das Klassenzimmer und der Nebenraum der P-Klasse einen neuen, blütenweißen Anstrich bekommen und das gut erhaltene, aber 34 Jahre alte Gelb überdeckt werden sollte.
Was ist eine Praxisklasse? Auf einem Plakat außen an der Klassenzimmertür steht?s: „...wird von der Europäischen Union, vom europäischen Sozialfonds mitfinanziert.“ In der gemischten P 8/9, die über zwei Schuljahre läuft, sind „zurzeit sieben Jungen und Mädchen, so Oliver Kröner, „die, sehen wir?s positiv, ihre Stärken im praktischen Teil des Alltags haben. Trotz alldem haben sie auch theoretische Fähigkeiten, die aber erst übers Praktische geweckt werden müssen“. Zum Beispiel Flächenberechnung: Erst haben sie es theoretisch gelernt. Über das Ausmessen der zu streichenden Flächen haben sie die benötigte Menge Farbe berechnet, die Zahl der Abdeckplanen und der Rollen Klebeband ebenso. Vater und Sohn Bauer haben ihnen Anweisungen und Hilfestellung gegeben und das, was man sieht, hätten sie ganz alleine gestrichen, so Kröner. „Und wahrscheinlich werden sie es hüten wie ihren Augapfel, weil sie es selber gemacht haben und wissen, wie viel Arbeit dahinter steckt“, ergänzt Gerd Bauer.
Es gibt mehrere Gründe, warum diese Art von Kooperation zwischen Schule und Handwerk einen Sinn hat. 27 Fachbetriebe gibt es derzeit im Landkreis und insgesamt acht Auszubildende in allen drei Lehrjahren zusammen. Gerd Bauer sieht nicht den Verdienstausfall, zusammengerechnet sieben Arbeitstage Schülern, Lehrer Oliver Kröner und der Sozialpädagogin Katharina Ohr kostenlos zur Verfügung zu stehen. Ja selbst einen Vertreter eines Farben-Herstellers hatte er dazu animiert, die benötigte Farbe kostenlos zu liefern. Eigentlich logisch: Keine Tüncher, kein Farbenbedarf.
Gerd und Philipp Bauer sind überzeugt, dass sie aufs richtige Pferd gesetzt haben mit dieser Aktion: „Sie sind pünktlich, freundlich und aufmerksam und haben alle sehr aufgeschlossen mitgemacht. Keiner dabei, der gesagt hat, kann ich nicht, mach? ich nicht.“ Über das Wort Motivation, dies zu tun, schmunzelt der Firmen-Inhaber nur: „Ganz einfach, weil wir Auszubildende brauchen. Wenn die Schüler das nicht mal selber machen und sehen, dass sie es auch können, haben wir keine Chance.“ Es sei Werbung um Auszubildende, weil es mit diesem Handwerksberuf weitergehen müsse. „Lassen Sie mich die Zeit rückwärts drehen. Als ich bei Helmerich gelernt habe, waren wir allein 14 Stifte in der Firma, in der Berufsschule 64. Bei meinem Junior 20 Jahre später waren es 27. Davon hatten bei der Freisprechung 17 schon einen Vertrag in der Industrie in der Tasche. Also blieben zehn. Das ist keine gute Entwicklung.“
Bauer spricht auch von Nachhaltigkeit: „Die Schüler kommen jeden Tag hier rein und sehen, was sie gemacht haben. Und für die nächsten Klassen, die da reinkommen, hat es Vorbildcharakter.“
Natürlich kam die Kreativität bei der Gestaltung der beiden Räume auch nicht zu kurz, wobei besonders die Schüler und die Sozialpädagogin ihre Vorstellungen verwirklichen konnten. Selbst Mittelschulrektor Jürgen Seidenzahl war froh, nach Rücksprache mit dem Träger der Schule das Projekt ohne Reglementierung sich selber überlassen zu können, schaute immer mal vorbei und kam aus dem Staunen nicht heraus, wozu Schüler seiner Schule fähig sind. Und was Gerd Bauer am meisten überraschte: „Sie wollten noch nicht einmal in die Pause, wenn es gongte, sondern machten durch. Das sagt doch alles, oder?“