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BISCHOFSHEIM
Liebe und Treulosigkeit im Wandel der Zeit
Das Ende einer Liebe: Anatol (Tobias Schuller) verstößt gekränkt seine Freundin (Lea Wagner).
Foto: Barbara Enders | Das Ende einer Liebe: Anatol (Tobias Schuller) verstößt gekränkt seine Freundin (Lea Wagner).
Von unserer Mitarbeiterin Barbara Enders
 |  aktualisiert: 15.12.2020 16:34 Uhr

Frauenheld Anatol ist nie allein, hat immer irgendwo eine Liebschaft, am besten mehrere gleichzeitig und traut keiner seiner Geliebten, denn sie könnte ja treulos sein wie er! Um sein Leben dreht sich alles in dem Theaterstück „ICH - und nur ich!“, das seine Premiere auf der Kleinkunstbühne Wagner hatte. Das Stück lehnt sich am Schauspiel Arthur Schnitzlers an, das Ende des 19. Jahrhunderts geschrieben wurde. Regisseurin Lisa Wagner schrieb das Textbuch für diese Aufführung, kürzte das Stück und holte es in die Gegenwart - oder auch nicht?

Sicher ist, dass nichts sicher ist! In der ersten Szene hat der Zuschauer das Gefühl, einen dandyhaften jungen Mann bei eitler Selbstbeweihräucherung zu beobachten. Um die Treue der Frauen geht es Anatol (Tobias Schaufler), gesteht er ihnen doch nicht dieselben Rechte zu, wie den Männern.

Sein Freund Nick (Konstantin Wagner), mit cooler Sonnenbrille und modernem Outfit, holt mit seinem lauten Auftritt den Zuschauer aus seiner besinnlichen Betrachtung. Mit dem Eintreten der aktuellen Geliebten Anatols Cora (Juliane Schmitt) taucht das Stück in eine ganz andere Stimmung ein – als Anatol Cora hypnotisiert.

Dieses Schauspiel ist keine Komödie, aber auch nicht traurig, es fordert die Aufmerksamkeit des Zuschauers, ständig wechseln die Akteure, die Kostüme unterstreichen die Sprünge zwischen den Jahrhunderten.

Gabriele (Leonie Gessner) erscheint wie ein Mädchen aus Paris des vorigen Jahrhunderts, Cora ist ein Girl der Gegenwart, Charlotte Hoff spielt die zeitlos-elegante junge Dame. Die beeindruckende Breakdance-Einlage von Philip Kleinheinz zeigt das hin- und hergerissene Leben des Anatol als Tanz mit den Frauen, mal mit einer, mal mit mehreren und am Ende ist er doch allein. Die Sprache der Protagonisten ist gewählt, könnte einer anderen Zeit entspringen und dennoch scheint das Thema des Stückes aktuell im Zeitalter von SMS- und E-Mail-Botschaften, der schnellen Bekanntschaften und des sich wieder aus den Augen Verlierens.

Der ständige Wechsel hält die Spannung hoch, die Zuschauer sind immer wieder vom professionellen Spiel der durchweg sehr jungen Akteure überrascht. Jener Akteure, die mit Mimik und Gestik über das Leben und die Liebe so überzeugend rezitieren, als hätten sie alles schon erlebt und die doch kaum dem Kindesalter entsprungen sind. Alle sind zwischen zwölf und 22 Jahre alt und haben schon Schauspielerfahrung bei den Aufführungen der Kleinkunstbühne Wagner gesammelt.

Anders als bei dem bekannteren Ponton gleichen Namens stehen hier die Familien geschlossen hinter dem Schauspiel der jungen Akteure, das etwa alle zwei Jahre stattfindet.

Die 18-jährige Lisa Wagner ist seit ihrem achten Lebensjahr Initiatorin der Aufführungen. Ihr Wunsch ist es Regisseurin zu werden. Deshalb hat sie nach dem Schulabschluss Praktika an Theatern in ganz Deutschland und eines in der Schweiz absolviert.

Die selbstbewusste junge Frau betont, dass alle Schauspieler mindestens eine weitere Funktion ausüben. Philip Kleinheinz, Breakdance-Lehrer aus Wildflecken, regelt die Beleuchtung, wenn er nicht gerade auf der Bühne steht und zeichnet für die Choreographie verantwortlich. Paloma Kröner-Jimenez, die beim Schauspiel die Einführung spricht, agiert als Regieassistentin und führt Regiebuch. Juliane Schmitt, Hauptdarsteller Tobias Schaufler und Konstantin Wagner beispielsweise sind Bühnenbildner, Charlotte Hoff und Lea Wagner Kostümbildnerinnen. Leonie Gessner, Alexandra Kutscher und Felix Schaufler komplettieren das Ensemble.

Ohne die Eltern ginge nicht so viel, wie Lisa Wagner feststellt. Ihre Eltern Michael und Hedwig stellen die Bühne zur Verfügung, die von der Größe her beeindruckender als die des Sommerhäuser Torturmtheaters ist. Vater Michael sorgt für Strom und Technik, Hedwig regelt den Ton während der Aufführung. Ist Philip auf der Bühne, agiert Charlottes Mutter Gisela Hoff als Beleuchterin und Bärbel Schmitt, Mutter von Juliane, unterstützt als Souffleuse die junge Truppe.

Dieses Jahr haben die Jugendlichen das meiste selbst in die Hand genommen. Dennoch standen die Eltern mit Rat und Tat zu Seite. „Jeder hat das beigesteuert, was er am besten kann“, freut sich Gisela Hoff. „Lisa hat die Eltern im Griff, obwohl es ja eigentlich umgekehrt sein sollte“, schmunzelte sie und lobte Lisa als Allroundtalent, das nicht nur Regie führt, sondern auch Tanz, Bühnenbild, Ton und Licht dirigiert.

Dieses Mal probten die jungen Schauspieler nicht gemeinsam sondern in den Kombinationen, wie sie später auf der Bühne stehen. Manch einer konnte sich nicht vorstellen, wie das Stück am Ende aussehen werde, da den Akteuren der Zusammenhang fehlte. Vier Tage vor der Aufführung probten sie dann alle gemeinsam und waren von der Perfektion ihres Zusammenspieles überrascht.

Bei den Zuschauern aller Altersschichten fand das Theaterstück breite Zustimmung, obwohl es nicht leicht zu verstehen war. Nach der Premiere wurde im Garten der Familie Wagner über die Aufführung diskutiert. Vielen war nicht aufgefallen, dass einem Akteur ein Missgeschick passiert war, da sofort souverän weitergespielt wurde. Einige junge Gäste hatten die Tänze vermisst, die bei früheren Musical-Aufführungen vertreten waren, aber hier sollte bewusst ein Gegenstück zu sonst gezeigten Aufführungen platziert werden.

Bischofsheims Bürgermeister Udo Baumann gehörte auch zu den Premierengästen. Nach der Vorstellung drückte er seine Bewunderung für die schauspielerische Leistung der Jugendlichen aus. „Ich bin schlichtweg begeistert, aber im wahren Leben - das kann ich euch versichern - sind Männer und Frauen treu“.

Termine der Aufführungen: 8., 9., 10. August und 14., 15., 16., 17. August, jeweils um 19 Uhr. Reservierung der kostenlosen Tickets Tel. (0 97 72) 83 65, die Veranstalter freuen sich über eine Spende.

Das Ensemble der Kleinkunstbühne Wagner: Im Bild von links Konstantin Wagner, Alexandra Kutscher, Lea Wagner, Tobias Schaufler, Lisa Wagner, Juliane Schmitt, Charlotte Hoff, Philip Kleinheinz, Paloma Kröner-Jimenez, Leonie Gessner und Felix Schaufler.
Foto: Barbara Enders | Das Ensemble der Kleinkunstbühne Wagner: Im Bild von links Konstantin Wagner, Alexandra Kutscher, Lea Wagner, Tobias Schaufler, Lisa Wagner, Juliane Schmitt, Charlotte Hoff, Philip Kleinheinz, Paloma Kröner-Jimenez, ...
 
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