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MEININGEN
Leichtes Flanieren durch die Jahrhunderte
Genialer dramaturgischer Einfall:  Regisseur Frey lässt den ersten Akt des Rosenkavaliers (Szenenbild) im Milieu des Rokokoadels spielen, den zweiten im bürgerlichen Wien des Fin de Siecle und den dritten in einer Wiener Kneipe der Gegenwart.
Foto: Foto-Ed | Genialer dramaturgischer Einfall: Regisseur Frey lässt den ersten Akt des Rosenkavaliers (Szenenbild) im Milieu des Rokokoadels spielen, den zweiten im bürgerlichen Wien des Fin de Siecle und den dritten in einer ...
Siggi Seuss
 |  aktualisiert: 08.04.2014 16:18 Uhr

„Uns gehen die Kerzen an!“, rufen die Kellner des Wiener Beisl dem flüchtenden Baron Ochs hinterher und fordern, er solle für die Kerzen zahlen. Das Publikum des Meininger Theaters, das gebannt den Ereignissen im dritten Akt von Richard Strauss' komödiantischer Oper „Der Rosenkavalier“ folgt, das Publikum braucht keine Kerzen. Es leuchtet nahezu von selbst nach der stimmigsten Operninszenierung, die das Theater an der Werra in den vergangenen Jahren gesehen hat.

Zwei Rosenkavaliere hat das Meininger Theater seit 1989 auf die Bühne gebracht, aber die Erinnerungen haben sich inzwischen verflüchtigt. Gewiss ist im Gedächtnis des Rezensenten nur, dass die Inszenierung aus dem Jahr 2000 Sprungbrett für die internationale Karriere der Mezzosopranistin Elina Garanca war.

Ob die Erinnerung an die jüngste Inszenierung ebenfalls bald hinter einem Dunstschleier verschwunden sein wird? Kaum anzunehmen. Mehr als damals rückt einem – auch dank Übertitelung – die wunderbar versponnene Kunstsprache des Librettisten Hugo von Hofmannsthal ins Bewusstsein. Ein filigranes Geflecht aus Ironie und Witz, Poesie und Spiel, Volksmund, Hochsprache und Wortdrechselei, stets durchdrungen von großer Wahrhaftigkeit. Allein für die nahtlose Verflechtung der Kunstsprache des „Rosenkavaliers“ in den Gesang gebührt den Künstlern großer Respekt.

Auch ein genialer dramaturgischer Einfall des Regisseurs wirkt wider das Vergessen. Frey lässt den ersten Akt im Milieu des Rokokoadels spielen, den zweiten im bürgerlichen Wien des Fin de Siecle und den dritten in einer Wiener Kneipe der Gegenwart – Elke Gattinger sorgt dabei für das passende Kostümambiente. Die Personen schreiten mühelos durch die Handlung, als sei es das Selbstverständlichste der Welt, durch die Jahrhunderte zu flanieren. Die fundamentalen Seelenverfassungen und menschlichen Makel haben sich eben nicht geändert. Ein lächerlich selbstherrlicher Baron von Ochs findet sich heute allemal, genauso wie die Wirren junger Liebender unabhängig von Stand und Moden existieren. Und die Sehnsüchte und Ängste reiferer Frauen vor der Vergänglichkeit der Liebenswürde? Da hat sich höchstenfalls das Maß medialer Aufmerksamkeit verändert.

Beeindruckend, wie die Bühnenbilder von Christian Rinke die ewige Unfertigkeit von Gefühlen, Gedanken und Erkenntnissen unterstreichen. Der Prachtsaal der Marschallin, der Schreibsaal des aufstrebenden Gewerbetreibenden Faninal und das Wiener Beisl der Jetztzeit befinden sich gleichermaßen im Zustand halbherziger Renovierung, die nie zum Abschluss kommen wird. In den Sälen wird empfangen, gearbeitet, gefeiert, intime Gefühle jedoch werden vor Türen, Toren und in Nischen ausgetauscht.

Zum Weinen schön ist da ganz besonders das Schlusstrio von Marschallin, Octavian und Sophie, in dem noch einmal das Rätsel der Liebe hymnisch besungen wird. Rosenkavalier Octavian: „Möcht alles verstehn und möcht auch nichts verstehn.“ - Richard Strauss' unendlicher musikalischer Strom an Tönungen und Stimmungen fließt ein letztes Mal zu einem flimmernden Universum wahrhaftiger Empfindungen zusammen, das die Meininger Hofkapelle mit GMD Philippe Bach am Pult mit großer Sensibilität kreiiert.

Jetzt muss natürlich ein Phänomen beschrieben werden, das einen immer wieder in Erstaunen versetzt: Die Meininger haben augenblicklich ein fantastisch stimmiges Ensemble an Sängerinnen und Sängern, einschließlich Chor – Leitung: Sierd Quarré. Man kann sie um diesen Schatz beneiden. Wenn dazu noch ein Regisseur wie Rudolf Frey tritt, der die schauspielerischen, ja komödiantischen Talente der Künstler hervorkitzelt, dann kommt es zu Sternstunden des Musiktheaters wie dieser. Ernst Garstenauers Baron Ochs steht mit beiden Beinen auf satirischem Boden und überzeugt mit Stimmgewalt zwar nicht die Wiener Beisl-Gesellschaft, dafür aber das Meininger Publikum. Dae-Hee Shin gibt einen selbstbewussten, seriösen Geschäftsmann Faninal (alternierend mit Marián Krejcík) und Sonja Freitag seine resolute Vorarbeiterin. Daneben schleichen der Intrigant Valzacchi und seine Frau Annina fädenspinnend durch die Jahrhunderte, Stan Meus und Ute Dähne.

Vor allem aber machen einem drei Frauen gleichzeitig das Leben schwer, weil man jeder einen Blumenstrauß auf die Bühne werfen möchte, aber nur einen hat: die pfiffige, kokette, mit ihren Reizen spielende Carolina Krogius als Octavian/Mariandl, Camila Ribero-Souza als souverän liebende und leidende Grande Dame und Elif Aytekin als liebreizend-unschuldige Sophie. Und schließlich diese traurig-bunte Wiener Personnage quer durch die Jahrhunderte - eine Augen- und Ohrenweide. Da gehen einem nicht nur die Kerzen an, sondern ein bis zwei Kronleuchter auf.

Nächste Vorstellungen: 13. April, 15 Uhr, 20. April, 17. Mai und 31. Mai, jeweils 18 Uhr. Kartentelefon: Tel. (0 36 93) 45 12 22 oder 45 11 37.

 
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