Draußen tobt der Schnee, drinnen tanzt der Bär. Besser der Senior. Besser 192 Senioren. So viele Menschen zwischen 55 und 90 Jahren sind am Montag zum Rot-Kreuz-Seniorentanz in die Festhalle nach Heustreu gekommen. Es ist ein Jubiläumstanz: Gefeiert wird das 25-jährige Bestehen der BRK-Seniorentanz-Veranstaltung.
„Marina, Marina, Marina“, singt das Häcker-Duo auf der Bühne, die Seniores schreiten Pärchenweise, Hand in Hand, durch den Festsaal. Bunt wie die Faschingsgirladen und die Luftballons an der Decke ist die Gruppe: Die Dame in edel weinrotem Samtkleid reiht sich hinter den Rock im Blümchenmuster, ganz in der Nähe geht das schulterfreie Oberteil, die Hand geben sie Herren in Hemden mit Krawatte, Fliege oder Brusthaar. „Wunderbares Mädchen, bald sind wir ein Pärchen, komm lass mich nie alleine, oh nonononono no“, singen die Polonaise-Tänzer, rollen sich zur Schnecke zusammen und auseinander, heben die Hände zum Laubengang, lassen einander hindurchkriechen.
Angeführt wird die Polonaise von Helga Roos. Roos rostet nicht. Denn sie rastet nicht. Seit 25 Jahren leitet die Bad Neustädterin den Seniorentanz im BRK-Kreisverband. „Mein Mann hat nie getanzt“, sagt sie. Sie dagegen liebe die Bewegung zur Musik. Sozial engagiert sei sie auch immer gewesen. Nach und nach reifte in ihr die Idee zu einer offiziellen Tanzveranstaltung. Zunächst erwarb Roos den „Gymnastik-Übungsleiterschein für Senioren“, 1985 organisierte sie erstmals einen Seniorentanz im Gemeindehaus Mühlbach. 20 bis 30 Personen kamen. Weil es im Laufe der Monate mehr wurden, musste die Veranstaltung 1986 in die Heustreuer Festhalle umziehen.
Walter Jordan, 84 Jahre, Gründungsmitglied
„Der Seniorentanz ist die beste Einrichtung im Landkreis“, sagt der 84-jährige Walter Jordan aus Bad Neustadt. Er und seine 88-jährige Frau Gusti gehören zu den Gründungsmitgliedern. „Tanzen hält jung“, erklärt Jordan. Man muss rechts neben ihm sitzen, wenn man mit ihm sprechen möchte. Weil der Mann in grauem Jackett und gestreifter Fliege sonst nicht hört. „Wir tanzen bis zum Umfallen“, sagt er und seine Augen blitzen liebevoll durch die abgedunkelte Hornbrille zur Gattin gegenüber. „Wenn ich mal sterbe, bringe ich den Engeln das Tanzen bei.“
Zum Tanzen, erklärt Jordan, brauche man schöne Musik. „Musik, die trägt, damit man aus sich rausgeht.“ Schöne Musik, das kann für die Jordans ein Tango sein, ein langsamer Walzer, griechische Musik oder das Lied „Ich tanz mit Dir“. „Wenn die Musik nichts taugt, dann ist auch da nichts los“, Walter Jordan klopft sich aufs Herz und lächelt. Später sagt er: „Ich bin 50 Jahre zu früh auf die Welt gekommen. Sonst wär' ich jetzt beim Turniertanz.“
Schon viele haben sich gefunden
Die Mehrzahl der durchschnittlich 150 Seniorentänzer kommt wie die Jordans als Paar zu den Heustreuer Tanznachmittagen. Doch ab und an versucht Helga Roos über eine entsprechende Vorankündigung gezielt Singles für die Veranstaltung zu gewinnen. „Es haben sich auch schon viele gepaart“ sagt sie, lacht und verbessert sich sogleich: „Kennen gelernt, gefunden“.
Die Bad Neustädter Ute und Ludwig – sie Witwe, er Witwer – beispielsweise haben durch den Heustreuer Seniorentanz zusammen gefunden. Fünf Jahr lang saß die heute 70-jährige Ute Monat für Monat am selben Tisch auf der linken Festhallen-Seite. Vor drei Jahren stieß der 75-jährige Ludwig dazu. Mehr oder weniger widerwillig war er nach Heustreu geraten. Auf einer Kreuzfahrt hatte er Helga Roos und über sie die Tanzveranstaltung kennen gelernt. „Er hatte anfangs keinen Mut zu kommen“, erzählt die heutige Lebensgefährtin Ute im Rückblick, „aber sein Schwiegersohn hat ihn geschnappt und hergebracht.“ Ein Jahr lang saßen Ute und Ludwig am selben Tisch, tanzten, redeten. „Aber es hat gedauert, bis es geschnackelt hat“, erklärt Ute.
Ausschlaggebend war letztlich ihr Zuspätkommen zu einer der Tanzveranstaltungen. „Als ich kam, waren alle Stühle besetzt. Ludwig ist aufgestanden, hat mir Platz gemacht und sich einen Stuhl an der Stirnseite des Tisches platziert.“ So ein Kavalier – hat sie gedacht und ihn zum Lebensgefährten gemacht. „Uns geht's super gut seitdem“, die 70-Jährige strahlt.
Körbe verboten
Es gibt ungeschriebene Gesetze beim Seniorentanz in Heustreu: Das mit den Stammplätzen ist eines. Das mit der Fastenzeit ein anderes. Da wird nämlich nicht getanzt. Auch nicht in der Adventszeit oder im August, dafür jedoch umso häufiger im Juli und an Fasching. Normalerweise trifft man sich am letzten Dienstag im Monat. Körbe sollte man natürlich auch nicht verteilen – auch ein solches Gesetz. „Trotzdem haben es allein stehende Frauen hier um 50 Prozent schwerer als allein stehende Männer“, weiß die 71-jährige Anneliese Spiegel aus Waltershausen. Auch wenn sie selbst mit Mann Manfred zum Tanzen da ist. Viele Damen jedoch wissen sich zu helfen: Sie legen einfach gemeinsam eine flotte Sohle aufs Parkett.
Elfriede Ortloff aus Mellrichstadt schwebt in den Armen ihres Mannes vorbei. „Wir sind uns einig“, sagt die 85-Jährige, deren Augenlider golden glitzern, „wir tanzen beide gern flott.“ Allerdings nicht ausschließlich. „Rot, rot, rot sind die Rosen“, ist Ortloffs Lieblingslied, „Rosen so schön wie unsere Liebe.“ 59 Jahre sind die beiden nun verheiratet. „Lass uns mal ein Tänzchen wagen wie anno dazumal“, trällert das Häcker-Duo.