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Meiningen
Landtagswahlen in Thüringen: Wer holt am 1. September die Direktmandate in den Rhön-Grabfelder Nachbarlandkreisen?
Steht das benachbarte Thüringen vor einem Politbeben? Welche Parteien und Abgeordnete machen bei der Wahl das Rennen in Schmalkalden-Meiningen und Hildburghausen?
Mit dem Slogan 'Zukunft statt Landflucht' wirbt die Partei Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) in Ottstedt am Berge (Landkreis Weimarer Land) in Thüringen um Wählerstimmen.
Foto: Hannes P Albert/dpa | Mit dem Slogan "Zukunft statt Landflucht" wirbt die Partei Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) in Ottstedt am Berge (Landkreis Weimarer Land) in Thüringen um Wählerstimmen.
Eike Kellermann
 |  aktualisiert: 02.09.2024 02:37 Uhr

Bodo Ramelow gilt zwar nach wie vor als beliebtester Politiker in Thüringen. Doch die Partei des Ministerpräsidenten ist nur noch ein Schatten ihrer selbst. Während den etablierten Parteien Linke, CDU, SPD, Grüne und FDP allesamt hohe Verluste vorhergesagt werden, stehen bei der Landtagswahl in Thüringen am 1. September zwei Außenseiter des Politikbetriebs vor historischen Wahlerfolgen. Die AfD kann hoffen, mit rund 30 Prozent stärkste Kraft zu werden. Das erst im März gegründete Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) kommt den Umfragen zufolge mit um die 18 Prozent knapp hinter der CDU auf Platz 3. AfD und BSW zusammen hätten die Mehrheit im Landtag in Erfurt.

Das belegt, dass sich die politischen Verhältnisse in den ostdeutschen Bundesländern von denen in Bayern oder Nordrhein-Westfalen erheblich unterscheiden. Spätestens seit der Europawahl im Juni ist das offensichtlich. In den Wahlgrafiken war der Osten nahezu komplett AfD-blau gefärbt, während die alte Bundesrepublik in Unions-Schwarz getaucht war. Der frühere ZDF-Moderator Peter Hahne witzelte deshalb jüngst bei einem Auftritt vor 1.500 Zuhörern aus der Querdenker-Szene in Schmalkalden: "Endlich wissen wir, wo Dunkeldeutschland ist."

Wie viele Direktmandate holt die AfD in Hildburghausen und Schmalkalden-Meiningen?

So dürfte im Rhön-Grabfelder Nachbarlandkreis Hildburghausen die schon 2019 direkt gewählte AfD-Bewerberin Nadine Hoffmann gute Chancen auf den Wiedereinzug in den Thüringer Landtag haben. Auch im anderen Nachbarlandkreis Schmalkalden-Meiningen gewann die AfD 2019 ein Direktmandat. Ob sie das wiederholen kann, ist offen. Denn der Landkreis gilt als SPD-Hochburg. Meiningen und Schmalkalden werden von beliebten SPD-Bürgermeistern regiert, auch die parteilose Landrätin Peggy Greiser wurde mit SPD-Unterstützung wiedergewählt.

Der Ampel-Gegenwind aus Berlin verringert jedoch die Chancen der SPD-Bewerber Janine Merz (Meiningen) und Carsten Feller (Schmalkalden). Die CDU, die mit ihrem Urgestein Michael Heym bisher den Meininger Wahlkreis holte, rechnet sich deshalb einiges aus. Sie hofft, über die eigenen Anhänger hinaus Stimmen zu ziehen, weil die Wähler Kandidaten der vom Verfassungsschutz als rechtsextrem eingestuften AfD verhindern wollen.

Das gilt für ganz Thüringen. Bis zu 28 Direktmandate werden der CDU vom Internet-Portal "Wahlkreisprognose" vorhergesagt. Bei den Zweitstimmen kommt sie dagegen nur auf 21 Prozent. Regulär, also ohne Überhang- und Ausgleichsmandate, sind 88 Abgeordnete im Erfurter Landtag vorgesehen.

Der erwartete Siegeszug der AfD bereitet Unternehmen Sorgen

Der Siegeszug der Thüringer AfD unter ihrem umstrittenen Chef Björn Höcke sorgt freilich auch für große Sorgen. Die als zuwanderungskritisch, wenn nicht fremdenfeindlich zu bezeichnende Partei, die zudem EU und Euro infrage stellt, gilt der Wirtschaft zunehmend als Standortnachteil.

Michael Petry, Geschäftsführer eines Beschichtungs-Spezialisten aus Neuhaus am Rennweg, sagte im Juli der Zeitung "Die Welt": "Wir als Thüringen haben mittlerweile ein Image, bei welchem man schlichtweg Angst haben muss, als Faschist bezeichnet zu werden, einfach weil du von hier herkommst."

Allerdings hat der AfD-Aufstieg wohl auch mit der realen und empfundenen Benachteiligung Ostdeutschlands zu tun. Millionen Menschen haben nach der Wiedervereinigung den Schock der Arbeitslosigkeit erlebt, kein einziger Dax-Konzern hat hier seinen Sitz, die Vermögen sind dreimal niedriger als im Westen, so gut wie keine Ostdeutschen sind in Führungspositionen. Und in Westmedien wird das Gebiet zwischen Thüringer Wald und Ostsee nicht selten als "Dunkeldeutschland" gebrandmarkt.

Grüne und FDP könnten laut Umfragen an der Fünf-Prozent-Hürde scheitern

In der DDR-Diktatur wurden die Menschen naturgemäß anders sozialisiert als in der bürgerlich-freiheitlichen Bundesrepublik. Doch nicht der Stolz, die Diktatur 1989 aus eigener Kraft überwunden zu haben, bestimmt häufig die kollektive Mentalität, sondern das mit der Wiedervereinigung verbundene Gefühl, Deutscher zweiter Klasse zu sein – eben ein "Ostdeutscher", wie ein nicht geringer Teil der Bevölkerung seine Identität inzwischen selbst sieht. Der bekannte Theaterregisseur Frank Castorf sagte dieser Tage der "Berliner Zeitung" über die Motive der AfD-Wähler: "Ich denke, sie sind angetrieben von einem ganz einfachen Gedanken: Die AfD ist die Rache des Ostens."

Dieser Rache fallen in einer Art Friedlichen Revolution 2.0 nun die etablierten Parteien zum Opfer. Die beiden Ampel-Koalitionäre Grüne und FDP werden den Umfragen zufolge in Thüringen an der Fünf-Prozent-Hürde scheitern. Selbst die Kanzlerpartei SPD ist mit den vorhergesagten sechs bis sieben Prozent nicht sicher. Schafft sie es in den Landtag, wird sie als Koalitionspartner für eine neue Landesregierung mit CDU und BSW gehandelt. Die voraussichtlich stärkste Kraft AfD könnte bei der Regierungsbildung aber leer ausgehen. Sie wird bislang von den anderen Parteien als Bündnispartner ausgeschlossen.

 
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