Auf dem Briefkasten thront eine Art Adventskranz, eine Gardine mit Musterung ist an den Seitenwänden drapiert, dazu zwei kleine Nierentische, ein orangebrauner Sessel und auf der anderen Seite ein Buchregal. Das sind die Zutaten zu einem ÖPNV-Projekt der besonderen Art. Denn mit diesen Gegenständen wurde das Bushaltehäuschen auf dem Bischofsheimer Marktplatz zu einem Hingucker der besonderen Art umgestaltet, an dem die Holzbildhauerschule ihren Anteil hat.
Bischofsheim auf Facebook großes Thema
"Supertolle Idee" heißt es bei Facebook unter einem Fotobeitrag zu der aufgehübschten Bushaltestelle. "Scheußlicher geht's nicht - Verunstaltet das ganze Bild der Bushaltestelle und das mitten am Marktplatz" geht die Kommentierung aber auch in eine ganz andere Richtung. Wie immer: Über Kunst und Geschmack lässt sich wie immer trefflich streiten.
Kritisch gesehen wurde, dass die Objekte den Verkehr behindern könnten, weil Vorbeifahrende davon abgelenkt würden. Das offene Bücherregal mit echtem Lesestoff könnte von Schnee oder Regen schnell in Mitleidenschaft gezogen werden, heißt es in den Kommentarspalten der Sozialen Medien zu der Aktion.
Mit viel Humor wird die Aktion in Bischofsheim jedenfalls zur Kenntnis genommen. "Da wartet man gern, wenn der Bus sich verspätet", kommentiert mit zahlreichen Lach-Smileys eine Userin. Insgesamt überwiegt die Zahl der positiven Kommentare auf die Marktplatz-Aktion.
Sie wird als angenehme Abwechslung gesehen, die den Bischofsheimer Marktplatz zu etwas Besonderem macht. Das Ganze hat durchaus etwas Nachdenkliches. Auf einem Blatt an einer Seitenwand kann man die Frage "Was ist Dir heilig?" beantworten, auch ein Gedicht gehört zur Ausstattung des Wartehäuschens.
Dass die Kunstaktion nur von kurzer Dauer sein würde, war von Anfang an klar. Und mittlerweile sind die Objekte auch schon wieder entfernt, das Buswartehäuschen hat die praktische Nüchternheit vergangener Tage wiedererlangt. Bürgermeister Seiffert bedauert das Ende sogar ein wenig. "Also mir hat die Sache sehr gefallen. Und ich fände es sogar gut, wenn die Sachen wieder hinkämen", so das Bischofsheimer Stadtoberhaupt in einer ersten Reaktion. Er gehört zu den Befürwortern der Aktion.
Die Künstlerin hinter dem Projekt ist Silke Kopp von der Holzbildhauerschule. Sie hat damit an einem Europawettbewerb der "Europäischen Bewegung Deutschland" teilgenommen. Der Europäische Wettbewerb konzentriert sich jedes Jahr auf einen neuen Themenschwerpunkt. Das Wettbewerbslaufjahr 2022/23 steht unter der Überschrift "Europäisch gleich bunt".
Schülerinnen und Schüler aller Schularten dürfen teilnehmen. Als Oberstufenschülerin hatte sie drei Themen zur Wahl. "Ich habe mich mit meinem Projekt für das Thema 'Kunst ist divers - künstlerische Freiheit als Grundrecht' entschieden", erklärt die Schülerin. Die Idee dahinter ist die Grenzüberschreitung im öffentlichen Raum, der hier auf kleinstem Raum innerhalb einer Bushaltestelle stattfindet und ebenso stellvertretend für Europa stehen kann.
Nachdenken über Europa
"Mit der Veränderung einer sonst eher standardisierten Bushaltestelle wollte ich die Reaktionen der Bischofsheimer einfangen. Und diese sind ganz unterschiedlich", freut sich die junge Künstlerin über die Resonanz.
Es gab positive Bekundungen und rege Beteiligung am Bücher-Tausch und dem Mitmachplakat zum Poetry Slam von Marko Michalzik unter dem Titel "Was ist dir heilig?". Dann habe es Kommentare gegeben der Art, dass hier einfach nur Sperrmüll unsachgemäß abgeladen worden sei. "Es ging bis hin zu keiner feststellbaren Reaktion, was bekanntlich ebenfalls eine Reaktion ist", sagt Silke Kopp.
Was ist den Menschen in Bischofsheim heilig?
Im Großen und Ganzen, so erklärt die Schülerin, lasse sich dieses kleine Experiment auch auf das große Europa übertragen. "Da gibt es ebenfalls engagierte und interessierte Menschen, da gibt es Menschen, die sich gerne über Dinge aufregen und dann gibt es natürlich auch die, die einfach mit der Masse mitschwimmen, ohne über andere Optionen nachzusinnen oder um den Weg des geringsten Wiederstandes zu gehen", so weitere Gedankengänge der angehenden Holzbildhauerin.
Ein wichtiger Aspekt der Installation war die Konfrontation der Bürgerinnen und Bürger mit der Frage "Was ist dir heilig?". Ein achtsames, selbstkritisches Nachdenken über sich selbst wurde angeregt. "In Zeiten, in denen uns tägliche Fluten von negativen Nachrichten überrollen zu drohen, finde ich es extrem wichtig, sich auf seine wirklichen Werte zu besinnen und sich immer wieder selbst klar zu werden, was uns tatsächlich wichtig ist", nennt Kopp einen ernsteren Aspekt ihres Wettbewerbsbeitrags.
Die Antworten, die von den Bischofsheimerinnen und Bischofsheimern auf dem Plakat gegeben wurden, gehen allesamt in die Richtung universeller Werte: Familie, Umwelt, Gesundheit und Liebe. "Wie können wir diese Werte schützen und erhalten? Was können wir gemeinsam bewegen? Mir war es wichtig, einen positiven Denkanstoß zu geben und freue mich über so viel Resonanz", so die Künstlerin abschließend.