Die gute Nachricht zuerst: Der Neuschter Kreißsaal ist gerettet! Jedenfalls vorerst. Vor allem dank des Engagements vierer Hebammen musste die Geburtshilfe in der Rhön-Kreisklinik Bad Neustadt nicht zum 1. Mai ihre Pforten schließen.
„Frauen können ihre Entbindung in Bad Neustadt wieder sicher planen“, informiert das Hebammen-Team. Mehrfach hätten in der jüngsten Vergangenheit werdende Mütter verunsichert an der Rhön-Kreisklinik rückgefragt, ob die Schließungsgerüchte stimmen. Diesen treten die Hebammen offensiv entgegen: Werdende Mütter können auch in den kommenden Monaten auf den Bad Neustädter Kreißsaal zählen!
Personal-Mangel
Aus der Luft gegriffen waren die Gerüchte nicht: Nachdem Ende Januar eine Hebamme das Haus verlassen hatte und Ende April eine weitere Vollzeitkraft in Ruhestand gehen sollte, fehlte tatsächlich Personal. Auf Dauer hätte die Geburtshilfe-Station in dieser Besetzung wohl nicht aufrechterhalten werden können.
An der Rhön-Kreisklinik sind die Hebammen nicht angestellt, sondern arbeiten freiberuflich als Beleghebammen im Team im Zwölf-Stunden-Schichtdienstmodell. Ein Arbeitsmodell, das sie durchaus schätzen. Verschaffe es ihnen doch die Freiheit, sich und ihre Arbeit nach ihren Vorstellungen zu organisieren und zu strukturieren.
Die Scheu vor der Geburtshilfe
Fünf Hebammen brauche es eigentlich für einen reibungslosen Ablauf, so Hebamme Annette Amend, die seit 25 Jahren in der Geburtshilfe arbeitet. Seit Februar arbeiteten in Bad Neustadt aber eben nur noch vier. Und Unterstützung war erst einmal nicht in Sicht.
„Es gibt einfach deutschlandweit zu wenige Hebammen“, erläutert die Bad Neustädter Hebamme Christine Gröschel das Grund-Problem. Da unterscheide sich der Hebammenberuf nicht von den restlichen Pflegeberufen. Von den Hebammen, die es noch gebe, entschieden sich zu viele dafür, nach der Ausbildung überhaupt nicht in ihrem ureigensten Aufgabenbereich, der Geburtshilfe, zu arbeiten. Sie konzentrieren sich stattdessen auf die Bereiche Vor- und Nachsorge und geben Kurse.
Große Verantwortung und Schichtdienst
Die Gründe, so Amend und Gröschel, seien vielfältig: Manche scheuten wohl die Arbeitszeiten, Nacht- und Wochenenddienste, andere die immense Verantwortung. Wieder andere seien – nach der Ausbildung an den großen Geburtskliniken – desillusioniert ob der Personalknappheit und des Zeitdrucks, die dort mitunter herrschen.
Hinzu komme: Die Verdienstaussichten seien nicht schlecht, aber auch nicht überaus rosig – immerhin erstattet die Krankenkasse mittlerweile einen Teil der teuren Haftpflichtversicherung.
Weil also unsicher war, ob sich in naher Zukunft williges Personal fände, hatten die Hebammen der Rhön-Kreisklinik werdenden Müttern im April ehrlicherweise geraten, sicherheitshalber einen Plan B in puncto Geburtsort in der Hinterhand zu haben. Der musste zum Glück am Ende nicht greifen.
Das Rhön-Klinikum engagiert sich
Denn auch die Klinikleitung war ob des drohenden Aus aktiv geworden. „Die Station ist uns extrem wichtig“, versichert Jochen Bocklet, Geschäftsführer der Rhön-Kreisklinik. Zum Jahreswechsel sei der Umzug der Geburtshilfe-Abteilung an den Rhön-Klinikum-Campus in neue attraktive Räume geplant.
Um geeignetes Personal zu finden, habe man nicht nur entsprechende Stellenausschreibungen geschaltet, sondern außerdem die Hebammen Rhön-Grabfelds und vereinzelt aus Nachbarlandkreisen zu einer Info-Veranstaltung geladen. Auch in anderer Hinsicht arbeite man aktiv daran, die Arbeit für Hebammen in Bad Neustadt attraktiv zu machen.
Anscheinend mit Erfolg. Mit Christine Gröschel stieg eine Bad Neustädter Hebamme – nach einer Elternzeitpause – zum Mai wieder in Teilzeit in die Geburtshilfe ein, obwohl sie eigentlich gut ohne hätte leben können. Eine weitere Hebamme sagte ihre Teilzeit-Mitarbeit ab Juli zu. Weshalb Rhön-Grabfelds Frauen vorerst aufatmen können.
Schon über 30 Kinder im Mai geboren
Das war auch dringend nötig: Über 30 Kinder kamen seit Anfang Mai schon in Bad Neustadt zur Welt. Die Nachfrage ist definitiv da: Über das Jahr verteilt sind es 400 bis 450 Geburten in Bad Neustadt. Seit März 2015 ist die Rhön-Kreisklinik sowieso gefragter denn je. Damals schloss die Geburtsstation in Bad Kissingen. Frauen aus dem Nachbarlandkreis müssen seither in die Kliniken der angrenzenden Landkreise, also Schweinfurt oder eben Bad Neustadt ausweichen, wollen sie ihr Kind nicht zu Hause zur Welt bringen.
Dass Bad Neustadt dasselbe Schicksal ereilt wie Bad Kissingen wollten die vier derzeit an der Klinik tätigen Hebammen – Annette Amend, Guuner Klemann, Heike Günsch und Christine Gröschel – nicht hinnehmen. „Das ist doch ein Armutszeugnis für so ein reiches Land wie Deutschland, wenn es so etwas Wichtiges wie die Geburtshilfe nicht sicherstellen kann“, so Amend.
Die Frauen sind die Armen
Die Station, sagt Christine Gröschel, erhielten sie nicht in erster Linie für sich am Leben. Ihnen als Hebammen gehe es auch ohne Klinik gut. Jammern liegt ihr fern: „Die Frauen müssen endlich mal kapieren, dass sie bei dieser ganzen Story die Armen sind und nicht wir Hebammen. Wir haben auch ohne Geburtshilfe genug Arbeit“, sagt Christine Gröschel.
Entspannt zurücklehnen kann man sich in Rhön-Grabfeld als werdende Mutter aber auch in naher Zukunft nicht. Damit der Kreißsaal rund um die Uhr besetzt ist, arbeiten Annette Amend und Guuner Klemann nach wie vor 20 Schichten im Monat, sprich 60 Stunden pro Woche. Weshalb das Team froh wäre über jede weitere zusätzlich Hebamme, die ab und an Dienste übernimmt und das Konstrukt entzerrt.
Persönliche Atmosphäre, kein Zeitdruck
Zu empfehlen sei es, wie die vier schmunzelnd erklären. Für die Klinik spreche die persönliche Atmosphäre, der fehlende Zeitdruck. „Die Hebamme muss eben keinen Wehentropf anlegen, um den Kreißsaal möglichst schnell wieder freizubekommen“, so Gröschel.
„Obwohl ich mehr arbeite als je zuvor, habe ich mehr Spaß denn je“, schwärmt Annette Amend. Das Schöne sei, dass sie von oben wenig Vorgaben bekämen. All das spiegle sich letztlich in den Geburten wider. Was immer wieder neu motiviere: „Wir bekommen viel zurück von den Frauen.“