Gebietsreformen sind ein heißes Eisen, an dem sich eine Landesregierung die Finger verbrennen kann. So nun auch in Thüringen. Das Verfassungsgericht in Weimar erklärte das Vorschaltgesetz der rot-rot-grünen Koalition für verfassungswidrig. In dem Gesetz sind die Leitlinien der Gebietsreform niedergelegt. So sollen Gemeinden künftig statt 3000 mindestens 6000 Einwohner haben und Landkreise mindestens 130 000, wodurch kein einziger der 17 Thüringer Landkreise in jetziger Form überleben wird.
Gericht bemängelt Formfehler
Allerdings kippte das Gericht das Vorschaltgesetz nicht inhaltlich, etwa weil es die Einwohnerzahlen als unzulässig erachtet. Vielmehr stolperte die Koalition unter Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) über einen formalen Fehler. Das Gericht rügte das Zustandekommen des Gesetzes. Der Innenausschuss des Landtags hatte dazu im Juni 2016 eine Anhörung veranstaltet.
Als der Landtag schon zwei Wochen später über das Gesetz abstimmte, lag das Protokoll der Anhörung den Abgeordneten jedoch noch nicht vor. Damit sei der Landtag seiner verfassungsmäßigen Pflicht, die Kommunen anzuhören, nicht ordnungsgemäß nachgekommen, so das einstimmige Urteil der Verfassungsrichter.
Wer wird nun vereint?
Das mutet beinahe wie ein Treppenwitz an. Und passt doch zu Zeitdruck und Durcheinander bei der Gebiets- und Verwaltungsreform – gerade in Südthüringen, der Nachbarregion des Landkreises Rhön-Grabfeld. Zunächst wollte die Landesregierung die Landkreise Schmalkalden-Meiningen, Hildburghausen und Sonneberg sowie das kreisfreie Suhl vereinen. Dann überlegte es sich Innenminister Holger Poppenhäger (SPD) anders. Nun wurde Schmalkalden-Meiningen herausgelöst und dem Wartburgkreis zugeschlagen. Geplante Kreisstadt: Bad Salzungen.
In Meiningen wurde man darüber schier verrückt. Die Theaterstadt mit ihrer kulturellen Bedeutung in der Region – und künftig nicht mehr Kreissitz? Aber auch der Hildburghäuser Landtagsabgeordnete Uwe Höhn (SPD) kündigte an, er werde, „wenn es keine Veränderungen geben sollte, diesem Gesetz nicht zustimmen“. Da die rot-rot-grüne Koalition im Parlament nur eine Stimme Mehrheit hat, würde ein einziger Abweichler das Vorhaben zu Fall bringen.
Inzwischen hat sich die Koalition wieder auf die ursprüngliche Variante besonnen. Der neue Landkreis entlang des Rennsteigs wäre größer als das Saarland und hätte rund 283 000 Einwohner. Die Landesregierung wollte ihr Kreisreform-Gesetz eigentlich schon nächsten Dienstag beschließen und dem Landtag zuleiten. Nach dem Urteil des Verfassungsgerichts verschob sie den Beschluss jedoch auf unbestimmte Zeit.
Der Widerstand wächst
Und in Südthüringen wächst der Widerstand weiter. So hat der Meininger Landrat Peter Heimrich (SPD) für kommenden Montag zu einer Demonstration gegen die Gebietsreform aufgerufen. „Für einen eigenständigen Landkreis Schmalkalden-Meiningen. Für die Kreisstadt Meiningen“, lautet das Motto. Heimrich ist einer der schärfsten Kritiker des „Monsterkreises“ in Südthüringen, wie er ihn nennt.
In Sonneberg wollen am Montag tausende Einwohner schon zum vierten Mal gegen die Fusion demonstrieren. Der Wunsch in der fränkisch geprägten Region, in den Freistaat Bayern zu wechseln, könnte nun übermächtig werden. Als Gastredner in Sonneberg wird der Coburger Landrat Michael Busch (SPD) erwartet. Ein Auftritt, den der Thüringer Ministerpräsident „schwierig“ nennt.
Das Kernprojekt bleibt
Ramelow und seine Linkskoalition fühlen sich nach dem Urteil des Verfassungsgerichts keineswegs am Boden zerstört. Im Gegenteil: Die Verwaltungs- und Gebietsreform bleibe eine „Kernprojekt“ von Rot-Rot-Grün, sagte der Regierungschef. „Wir fühlen uns inhaltlich bestärkt.“ Nun gehe aber Gründlichkeit vor Schnelligkeit.
Für die Opposition ist das Urteil dagegen eine Steilvorlage. Rot-Rot-Grün habe eine „krachende Niederlage“ erlitten, meinte CDU-Chef Mike Mohring. „Das Verfassungsgericht hat die Linkskoalition auf den Boden der Verfassung zurück geholt.“ Mohring forderte die Koalition auf, nun die Gebietsreform abzublasen.