
Der Königin war der Schwung ausgegangen. In der Orgel in der Oberstreuer Kirche St. Andreas war im wahrsten Sinne des Wortes der Wurm drin, die Technik veraltet, der Klang ließ auch zu wünschen übrig. Die Kirchenverwaltung entschied sich für eine Sanierung im großen Stil. Ein Jahr lang wurde die Königin der Instrumente in der Werkstatt der Orgelbaumeister Günter Hoffmann und Christoph Schindler in Ostheim gereinigt, instand gesetzt und erweitert. Am Samstag wird die Kirchenorgel von Weihbischof Ulrich Boom geweiht, am Sonntag können sich Musikfreunde bei einem Konzert mit Regionalkantor Peter Rottmann vom kraftvollen Klang des nun wieder königlichen Instruments überzeugen.
Bei einem Pressegespräch samt Konzerteinlage in der Kirche eine Woche vor der Orgelweihe zeigten sich die Orgelbauer Hoffmann und Schindler, Kirchenpfleger Michael Türk, Organist Wolfgang Heuring und Pfarrer Thomas Menzel begeistert. Von zarten Tönen bis hin zum donnernden Akkord in auf- und abschwellender Lautstärke zeigte Wolfgang Heuring die ganze Bandbreite des Möglichen und wollte sich gar nicht mehr von seinem neuen Instrument trennen. Auch Pfarrer Thomas Menzel war hingerissen: „Ich habe Gänsehaut“, bekannte der diplomierte Kirchenmusiker. Günter Hoffmann und Christoph Schindler freuten sich über viel Lob von allen Seiten für ihre gelungene Arbeit, in die auch Regionalkantor Peter Rottmann intensiv eingebunden war.
Über 100 Jahre alt
Die Oberstreuer Orgel wurde in der Zeit von 1916 bis 1921 von der Orgelbaufirma Hofmann aus Hofheim gebaut, das ist dokumentiert. In der Vorgängerkirche stand eine Orgel aus dem Jahr 1751, womöglich stammen Teile der Verzierung des Gehäuses noch aus dieser Zeit. Ab 1949 hat der damalige Ortspfarrer Josef Stöger, selbst passionierter Orgelspieler, die Orgel erweitert, Anfang der 1960-er Jahre wurde sie von der Orgelbaufirma Hey aus Urspringen überholt. Seither wurden keine nennenswerten Maßnahmen mehr an der Orgel vorgenommen. Lediglich vereinzelte Wartungs- und Reparaturarbeiten waren erfolgt, blickte Wolfgang Heuring zurück.
Dementsprechend befand sich die Oberstreuer Kirchenorgel in einem „jämmerlichen Zustand“. Der Orgelraum war massiv verschmutzt, teilweise lag Vogelkot auf den Pfeifenbänken, der Holzwurm hatte sich eingenistet. Der Winderzeugermotor war beschädigt, der Blasebalg ebenfalls stark in Mitleidenschaft gezogen. Einige Pfeifen und Register funktionierten gar nicht mehr. Insgesamt war die Orgeltechnik stark veraltet. Höchste Zeit also, die Dinge anzupacken, so Kirchenpfleger Michael Türk. 2016 wurde Peter Rottmann mit einer Bestandsaufnahme beauftragt, im vergangenen Jahr wurde die Orgel dann Stück für Stück zerlegt und in die Ostheimer Werkstatt transportiert. Dort stand unter anderem die Reinigung jeder einzelnen der 1545 vorhandenen Orgelpfeifen an.
Neue Klangvielfalt
Den Wunsch von Rottmann und Heuring, die Orgel zu erweitern, um insbesondere den klangprächtigen Kompositionen der Spätromantik Raum zu geben, konnten die Orgelbaumeister umsetzen. Die Orgel wurde um einige Register erweitert, durch die neue Elektronik wurden zusätzliche Möglichkeiten zur Klangvielfalt geschaffen. Nun könne auch moderne Orgelliteratur gespielt werden, was Heuring als eine Bereicherung für die ganze Region sieht.
Aus 29 vorhandenen Registern ist durch die neue Technik ein Klangspektrum von 45 Registern entstanden, so die Fachleute, zudem wurde ein Schwellwerk eingebaut, das Klänge in auf- und abschwellender Lautstärke möglich macht. Allein 1072 Pfeifen sind im Bereich des Schwellkastens eingebaut, der sich mit Lamellen öffnen und schließen lässt. Insgesamt wurden die Orgelpfeifen um gut 500 auf nunmehr 2049 erweitert. Die kleinste Pfeife misst vier Millimeter. Die längsten Pfeifen mit 5,60 Metern, die zuvor liegend neben dem Orgelgehäuse an der Wand angebracht waren, stehen nun auch im Orgelraum. Dazu musste das Gehäuse allerdings um über einen Meter verlängert werden. Die Restaurierungswerkstatt Georg Hille aus Oberelsbach hat die Bemalung so hinbekommen, dass praktisch kein Unterschied zum alten Gehäuse zu sehen ist, lobte Michael Türk.
Himmlische Stimmen
Dass das neue Instrument auch Trompeten-, Oboen- und Querflötenklänge erzeugen kann, erfreut das Organistenherz. Und, wie es sich für eine Kirchenorgel gehört, erklingt nun in Oberstreu die Vox coelestis, die Himmelsstimme, die aus einer Kombination von zwei Registern entsteht, die leicht unterschiedlich gestimmt sind, so dass ein schwebender Ton entsteht, wie Wolfgang Heuring verzückt erklärt. Für alle Liebhaber des alten Orgelklangs in Oberstreu hat er auch gute Nachrichten: Es gibt ihn noch, wenn auch leicht verändert, und sicher wird er auch noch seinen Platz im neu möglichen Repertoire finden.
Insgesamt rund 270 000 Euro lässt sich die katholische Kirchenstiftung St. Andreas die Sanierung und Erweiterung der Orgel kosten. Zuschüsse gibt es vonseiten der Diözese, der Gemeinde und der Robert-Elsie-May-Stiftung, zudem sind bereits zahlreiche Spenden eingegangen, die natürlich weiterhin zur Restfinanzierung höchst willkommen sind, so Michael Türk.
Stehempfang mit dem Weihbischof
Wer nun hören will, wie das neue Instrument in der Oberstreuer Kirche klingt, hat mehrere Möglichkeiten. Am Samstag, 21. April, beginnt um 18 Uhr der Gottesdienst zur Orgelweihe mit Weihbischof Ulrich Boom, dabei sitzt Wolfgang Heuring am Orgeltisch. Nach dem Gottesdienst findet ein Stehempfang mit dem Weihbischof im Pfarrheim statt, zudem werden die Orgelbaumeister Günter Hoffmann und Christoph Schindler anhand einer Präsentation erläutern, welche Maßnahmen an der Orgel umgesetzt wurden. Am Sonntag, 22. April, erklingt dann um 19 Uhr ein Orgelkonzert mit Regionalkantor Peter Rottmann.



