„Ein toter Esel hat keine Angst vor Hyänen.“ Es ist dieses äthiopische Sprichwort, das den damaligen Gemütszustand von Waliyi Kadar, heute 29 Jahre, und seiner Ehefrau Iman Haji, heute 26 Jahre, am ehesten wiedergibt. Abgestumpft, jenseits der Angst – so fühlte sich das Ehepaar, als sie auf ihrer Flucht aus Äthiopien nach Europa mit ihrem kleinen Sohn die Sahara durchquerten.
Sonne, Wind, Sand, sonst nichts. „Kein Tier, kein Vogel, kein Leben“, Waliyi Kader, der mit seiner Familie in einer dezentralen Unterkunft in Bad Königshofen lebt, erinnert sich viel zu gut. Sand in den Augen, auf den Zähnen, in den Ohren. „Eine Welt ohne Farben.“
Eine Welt ohne Farben
Der Äthiopier verbrachte Tag und Nacht mit 25 anderen Flüchtlingen auf der Ladefläche eines Pick Ups, Iman Haji und das Kind durften ins Führerhaus. „Wir hatten Glück.“ Das Kind saß geschützt, die Ladefläche hätte noch voller sein können.
Furcht hatte Waliyi Kadar bis zu diesem Zeitpunkt oft genug verspürt: Etwas über 20 Jahre war er alt, als er, Angehöriger der Volksgruppe der Oromo, einen Protestmarsch an seiner Schule organisierte. Die äthiopische Regierung hatte entschieden, für Entwicklungsprojekte Land zu beschlagnahmen, das traditionell den Oromo zusteht.
Gefoltert und misshandelt
„Sie wollten es den Bauern wegnehmen und ausländischen Investoren geben.“ Dass Großfarmen mit dem Export von Lebensmitteln Gewinne erzielen, während einfache Bauern vertrieben werden – „wir konnten das nicht akzeptieren“. Auch habe er die zunehmende Zensur nicht mehr hinnehmen wollen.
Brutal sei die Regierung gegen die Demonstranten vorgegangen, viele habe man willkürlich verhaftet. Als Organisator der Demo landete auch Kadar im Gefängnis. Acht Monate lang. „Ich wurde ohne Gerichtsverhandlung gefoltert und misshandelt.“ Kooperation mit Guerilla-Kämpfern habe man ihm vorgeworfen, ihn unter Terrorverdacht gestellt. Irgendwann unterschrieb er. Was genau, weiß er bis heute nicht.
Hals über Kopf geflohen
Plötzlich war er frei. Die Mutter konnte nicht aufhören zu weinen, als sie ihn sah. Gegängelt fühlte er sich dennoch: Für den Schulbesuch war Kadar zwei Jahre gesperrt, also half er im Schuhgeschäft des Vaters. Der verheiratete ihn mit Iman Haji, in der Hoffnung, dass sich der politisch engagierte Sohn aufs Private konzentrieren würde.
Zwei Monate war alles gut, bis kritische Flugblätter auftauchten – und Soldaten wieder begannen, sich nach Kadar zu erkundigen. Er floh Hals über Kopf, seine Frau folgte ihm. Ohne Vorbereitung, ohne Planung standen sie plötzlich in der Fremde. Drei Jahre sollte ihre Flucht dauern, im Juni 2014 kamen sie nach Deutschland.
Enttäuscht von Deutschlands Haltung
Dass sein Asylantrag zunächst abgelehnt wurde, kann Waliyi Kadar nicht verstehen. Er weiß, Äthiopien gilt als stabiler Partner der westlichen Staatengemeinschaft, um Migration nach Europa zu verhindern. Zudem kämpft Äthiopien gegen Terrorismus in Somalia. Dennoch enttäusche ihn, dass Deutschland Menschenrechtsverletzungen nicht deutlicher kritisiert. Für sich und seine Familie ist Kadar ins Widerspruchsverfahren gegangen. Derzeit wartet er auf die Gerichtsverhandlung.
Auch in Deutschland engagiert er sich für die Oromo-Volksgruppe, beim TSV Bad Königshofen spielt er Fußball. Seit Dezember 2015 arbeitet er in einer Zimmerei vor Ort. Womit natürlich Miet- und Energiekosten für die dezentrale Unterkunft anfallen, in der die äthiopische Familie leben muss, bis ihr Asylverfahren abgeschlossen ist.
Plötzlich über 5000 Euro Schulden
Ein entsprechender Bescheid über den fälligen Geldbetrag sei der Familie aber erst fast zwei Jahre nach Arbeitsantritt, im Oktober 2017, zugestellt worden, bestätigt Felicitas Hein, von der Flüchtlings- und Integrationsberatung der Diakonie. Über 6000 Euro sollte der äthiopische Familienvater von einem Tag auf den anderen plötzlich rückwirkend zahlen. Zumindest habe man ihm erlaubt, das in Raten von monatlich 50 Euro abzustottern.
Mit der Wohnsituation ist die Familie nicht glücklich. Zu Beratungsgesprächen im Winter kommt Felicitas Hein mit Daunenjacke, so kalt ist es im Gemeinschafts-Wohnzimmer. Bei Regen tropft Wasser auf den Esstisch, im Dach gebe es Ratten. „Musst du putzen!“, habe man Waliyi Kadar gesagt, als er sein Anliegen an entsprechender Stelle vorbrachte.
Die falsche Nationalität für den Deutschkurs
Die Kinder, ein zweiter Sohn wurde vor drei Jahren in Rhön-Grabfeld geboren, besuchen den Kindergarten in Bad Königshofen. Anders als Kadar, der sich sprachlich noch immer schwer tut, können sie mittlerweile sehr gut deutsch. Oft versteht er sie nicht mehr.
Kein Wunder, Plätze in Integrationskursen, erläutert Hein, werden nach Nationalität vergeben. Als Äthiopier hatte Kadar da wenig Chancen. Letztlich hatte er sich dann sowieso fürs Geld verdienen entschieden. Ohne Geld, kein Anwalt, ohne Anwalt, keine Chance vor Gericht.
Immer wieder stieß er an Grenzen
Sein Chef, Oliver Schmitt vom Zimmerei-Betrieb Bulheller Bad Königshofen, ist „durchaus zufrieden“ mit Kadar. Klar, in Deutschland habe man auf dem Bau andere Qualitätsansprüche als in Afrika, das habe dieser lernen müssen. Das hat er gelernt.
Aber auch Schmitt hat durch die Begegnung mit Kadar dazu lernen dürfen. Er habe miterlebt, wie man diesem zwei Jahre lang immer wieder „Stöcke zwischen die Beine“ geworfen habe. Egal worum sich der junge Mann bemühte, er sei immer wieder an Grenzen gestoßen.
Kein Führerschein, keine Ausbildung
Schmitt nennt nur ein Beispiel: Kadar wollte eine Ausbildung absolvieren. Dafür hätte er die Berufsschule in Bad Kissingen besuchen müssen. Um regelmäßig von Bad Königshofen dorthin zu kommen, hätte es eines Führerscheins bedurft. Angezahlt hatte Kadar den bereits, als er erfuhr, dass er gar nicht berechtigt ist, diesen zu erwerben. Ob er eine Ausbildungsgenehmigung bekommen hätte? Auch das ist ungewiss.
Kürzlich habe der sechsjährige Sohn einen Kindergartenfreund besucht. Als er nach Haus kam, schlug er sich immer wieder an die Stirn. Warum seine Familie so anders lebe als die anderen? „Dass wir keinen Pass haben, konnte ich ihm doch nicht erzählen“, sagt der Vater, „er soll sich hier ganz normal fühlen.“ Etwas anderes als Deutschland kennen seine Kinder nicht.
Nachtrag: Am Freitag, 18. Mai, entschied der Bayerische Verwaltungsgerichtshof über die Unterkunftsgebühren in Gemeinschaftsunterkünften und dezentralen Unterkünften für Flüchtlinge und Asylsuchende. Die Gebührensatzregelung in ihrer derzeitigen Form wurde für ungültig erklärt. Für die Familie Kadar bedeutet das konkret: Die monatliche Ratenzahlung der Familie wird vorerst eingestellt und die bis heute erlassenen Gebührenbescheide werden geprüft. „Für die Familie ist das ein Schritt in die richtige Richtung!“, freut sich Felicitas Hein von der Flüchtlings- und Integrationsberatung der Diakonie.
Die Familie wurde politisch verfolgt, es sind keine Wirtschaftsflüchtlinge.
Man will sich anpassen, nicht der Allgemeinheit auf der Tasche liegen.
Kriminelle Wirtschaftsflüchtlinge werden durchgefüttert, hilfsbedürftigen macht man das (Über-) Leben schwer.
Das CSU/CDU Kasperlestheater ist hier auch nicht hilfreich. Die einzigen die was produktiv erarbeiten ist die SPD.
Seit über 20 Jahren wird ein Einwanderungsgesetz blockiert, welches auch unseren Behörden die Arbeit deutlich erleichtern würde.
Jetzt nochmal zur Unterkunft: Zig Auflagen für Bauherren wegen Energiesparen etc. Wie kann es sein das dies so ne Bruchbuche zu sein scheint?