
Die Markthalle in Mellrichstadt war am Dienstagabend erstaunlich gut gefüllt. Angekündigt war ein Vortrag über den Einsatz im Krisengebiet, der auf Initiative von Dr. med. Bernhard Öhlein, Vorstand des deutschen Zweigvereins von Medair, zustande kam. Während seiner aktiven Zeit bei Medair habe ihn die Geschichte vom Barmherzigen Samariter aus der Bibel bewegt, begrüßte er die interessierten Zuhörer. Angesichts der Not vieler wird sich jeder fragen müssen, ob er helfen kann. Keiner sei an diesem Abend da, der nicht helfen könne.
Romy Schneider, Geschäftsführerin im deutschen Länderbüro von Medair in Dortmund, deren Vorgesetzter Dr. Öhlein ist, freute sich über den regen Zuspruch an diesem Abend. Medair sei eine internationale Organisation. Eine große Leinwand sollte einerseits unser Zuhause darstellen, die zweite Dimension bedeutete heute daheim, morgen auf der Flucht - momentan erleben das 65 Millionen Menschen -, und die dritte Dimension ist die Antwort von Medair, wie sie Flüchtlinge, Binnenflüchtlinge oder Menschen, die in ein anderes Land fliehen mussten, unterstützen. In einem kurzen Film wurde exemplarisch am Beispiel der Demokratischen Republik Kongo gezeigt, wie hart der Einsatz der Mitarbeiter von Medair sein kann, um Menschen zu erreichen.
Sie bringen Medikamente, schulen Personal und wollen - im Film begleitet - einen solarbetriebenen Kühlschrank einsetzen. Über unwegsames, schlammiges Gelände ging es mit dem wertvollen Gerät. Am Ziel angekommen, kamen viele Leute, um die Ladung zu tragen und zu verteilen. Rund 24 km ging es über 8 Stunden durch den Dschungel. Anstrengend, aber es lohnte sich. Die Menschen waren begeistert. „Wir glauben, jedes Leben ist eine Extrameile wert“, war das Resümee des Kurzfilms. Medair leistet schnelle Hilfe nach Katastrophen, kürzlich in Nepal, damit Menschen überleben, fuhr Romy Schneider fort. Der zweite Aspekt ist der Wiederaufbau. Das geschieht durch Schulung von einheimischen Kräften. Mit medizinischer Hilfe aus der Luft hat es vor 25 Jahren angefangen. Hinzugekommen sind - neben Wiederaufbau und Gesundheit und Ernährung - Wash (Wasser, sanitäre Anlagen und Hygiene) und der dritte Bereich Unterkunft und Infrastruktur. Medair ist eine christliche Organisation. Die Mitarbeiter treibt an, dass jeder Mensch von Gott geliebt ist und Hilfe verdient. Die Hilfe ist bedingungslos. Die internationale Organisation wurde in der Schweiz gegründet und hat in Deutschland ein kleines Länderbüro.
Insgesamt gibt es 5 Länderbüros, 144 internationale Mitarbeiter in Projekten und 998 einheimische Mitarbeiter. Jeder 2. Flüchtling auf der Welt kommt aus Afghanistan, Somalia und Syrien. In all diesen Ländern, aktuell in Syrien, hat Gabriele Fänder, die Referentin des Abends, gearbeitet. Vor 5 Jahren hatte sie bereits über Afghanistan erzählt, an diesem Abend ging es um den Nahen Osten. Zu ihrer Vita: sie kommt aus Falkenau bei Flöha in Sachsen und arbeitet seit 20 Jahren in der Entwicklungshilfe. Sie ist gelernte Fachkrankenschwester für Anästhesie- und Intensivtherapie. Im Tropeninstitut Tübingen hat sie eine tropenmedizinische Ausbildung absolviert. Bevor sie vor 12 Jahren bei Medair in Afghanistan angefangen hat, war sie 8 Jahre in Indien und ist seit 4 Jahren im Nahen Osten, wo sie verantwortlich war für Gesundheits- und Ernährungsprojekte in Jordanien, Libanon und Irak. Seit eineinhalb Jahren ist sie in Damaskus für ein Projekt als Gesundheits- und Ernährungsberaterin in Syrien zuständig und verantwortlich für die Qualität. In der Koordinierung der Nothilfe für Syrien kommt sie viel zusammen mit den internationalen Organisationen und der UN und mit dem Gesundheitsministerium.
Sechs Jahre dauert nun schon der Konflikt im Nahen Osten, wo Menschen alles verlieren und flüchten. Durch die verschiedenen vielen Krisen ist ein großes Chaos entstanden. Bereits in den 40er Jahren mussten die Länder im Nahen Osten viele Flüchtlinge aufnehmen, angefangen mit der Palästinenserkrise. Damaskus hat im Moment 2 Millionen Einwohner. Die Dasmaszener sind sehr stolz auf ihre Stadt, die nach ihren Aussagen noch nie zerstört war. Vor dem Krieg muss Syrien ein wunderschönes Land gewesen sein. Bilder zeigen die Umayyaden-Moschee in Aleppo vor und nach ihrer Zerstörung. Viele Menschen haben mehrmals auf ihrer Flucht alles verloren, sie erwarten ein Ende des Konflikts. Flüchtlinge erleben jetzt ein Europa, wo Stacheldrähte aufgebaut und Flüchtlinge abgewehrt werden. Aber Gabriele Fänder ist stolz darauf, dass Deutschland die Türen aufgemacht hat. „Gut gemacht“, lobt sie. Der Libanon trägt den größten Teil der Flüchtlinge, über eine Million. Jeder Vierte dort ist ein Flüchtling, was politisch sehr brisant ist. An einem Ort, wo mehr als 50 % der Bevölkerung syrische Flüchtlinge sind, ergibt sich eine schwierige Situation. In Jordanien ist jeder 10.
ein Flüchtling. Irak hat nur eine kleine Zahl aufgenommen, weil sie eine eigene große Krise hatten. Die Türkei zählt drei Millionen Flüchtlinge. Innerhalb Syriens sind mehr als 6 Millionen Menschen auf der Flucht, oft mehrmals vertrieben. 13 Millionen Syrer sind von humanitärer Hilfe abhängig. Seit 2012 ist Medair in der Region des Nahen Ostens tätig. Mit Programmen in Jordanien und Libanon für die syrischen Flüchtlinge haben sie begonnen, sind später zu den kurdischen Flüchtlinge in den Irak gegangen, die vor dem IS geflohen sind und arbeiten seit letztem Januar direkt in Syrien. In einem kurzen Film schildert Khalid, ein Mitarbeiter von Medair, seine Geschichte der Flucht. 84 Menschen wohnen jetzt in einem 200 qm großen gemieteten Haus. Alle sehnen sich nach einem friedlichen Land. Khalid bot mit seiner Geschichte ein Bild für die vielen Millionen Menschen, die Gleiches erlebt haben, fuhr Gabriele Fänder fort. Im Irak hat Medair begonnen mit Flüchtlings-Camps. Sie arbeiten jetzt auch in arabisch-irakischen Gebieten, wo die Kurden wieder zurückkehren. Wo sie nichts mehr vorfinden, weil alles zerstört ist. Medair hilft nicht nur beim Wiederaufbau, sondern deckt mit einer mobilen Krankenstation auch die Grundbedürfnisse ab.
Es gibt viele Probleme, weil die Kurden sagen, sie hätten früher mit ihren arabischen Nachbarn in Frieden gelebt, diese hätten sie aber an den IS verraten. Viele große Konflikte sind zu bewältigen, damit Menschen wieder zusammen in Frieden leben können. In Jordanien lebt ein großer Teil der Flüchtlinge in organisierten Flüchtlingscamps, geleitet vom UN-Flüchtlingswerk, zeitweise haben dort 120.000 Flüchtlinge gelebt. Syrien ist ein grünes Land, für die Flüchtlinge ist es schwer, plötzlich in der Wüste zu leben. Medair hat Cash-Programme, wo sie den Flüchtlingsfamilien Geld geben, um die Grundbedürfnisse zu decken. Dadurch bekommen sie ein Stück Würde zurück. Zur Überwachung der Programme kann Medair auf moderne Technik zugreifen. Im Libanon leben die Flüchtlinge vorwiegend im Osten des Landes in kleineren Camp-Siedlungen. Medair arbeitet in 220 dieser Siedlungen mit Wasserprojekten, verbessert den Campaufbau, betreibt Unterkunfts- und Gesundheitsprojekte. Mit Shelter wurde ein Zelt entwickelt, das höher aufgebaut und nicht vom Wasser überschwemmt wird. Für die Flüchtlingserfassung wird das Geographische Informationssystem (GIS) von den Hauptverantwortlichen benutzt.
In Syrien war es ein langer Weg, um als Hilfsorganisation registriert zu werden, schilderte Fänder ihre Erfahrungen. Über ein Jahr hat es gedauert, bis Medair direkt in Damaskus stationiert war und in Syrien Projekte umsetzen konnte. Direkte Hilfe vor Ort ist am wichtigsten. Begonnen haben sie mit Gesundheit und Ernährung und mit Wasser, Sanitär und Infrastruktur. In diesem Jahr wurde mit Unterkünften angefangen. Gesundheitsprojekte werden koordiniert mit dem Gesundheitsministerium, weil es schon ein Gesundheitssystem gegeben hat. Viele der Gesundheitsstandorte sind zum Teil zerstört, es gibt keine Ausstattung und keine Mitarbeiter. Medair rehabilitierte Kliniken, hat sie funktionsfähig gemacht. Es erfolgte ein Zustrom an Binnenflüchtlingen. Wo vor dem Konflikt 50.000 Menschen waren, sind es jetzt 500.000. Eine der Hauptaufgaben ist die Umsetzung der Qualitätsprogramme. Im Gesundheitswesen sollen die Leute strategisch weitergebildet werden und eine Anweisung bekommen. Fänder schaut, dass in den Einrichtungen selbst Qualität geleistet und umgesetzt wird und die Menschen die beste Gesundheitsversorgung bekommen. Krankenschwestern, Krankenpfleger und Hebammen müssen so ausgebildet werden, dass sie die Aufgabe der Ärzte übernehmen und die momentanen Lücken füllen können.
Fänder weiß aber auch, dass sie von ihren Mitarbeitern aufgrund ihrer Erlebnisse keine 100%ige Produktivität verlangen kann und muss schon mal „einen Gang zurückschalten“. Neu im Nahen Osten ist die akute Unterernährung. Gab es ursprünglich dort extrem fettleibige Menschen, verhungern die Menschen jetzt, besonders Kinder unter 5 Jahren sind betroffen. Ärzte geben den Müttern aber auch oft falsche Ratschläge. Wichtig sind Hausbesuche. Menschen, die Hilfe von Medair bekommen, sind damit zufrieden.
Mit dem Wasserprojekt soll der Dorfbevölkerung in der Stadt wieder die Wasserzufuhr ermöglicht werden. Große Wassersysteme, Pumpen und Brunnen sind teilweise zerstört. Medair repariert die Brunnen, um sie wieder funktionstüchtig zu machen. So bekommen Hunderttausende Menschen wieder sauberes Trinkwasser. Familien, die in Rohbauten leben, bekommen neue Wassertanks. Beim Wasserprojekt arbeitet Medair mit dem Roten Halbmond zusammen.
Zum Ende ihrer aufschlussreichen Informationen zeigte Gabriele Fänder noch auf, wie viel Hilfe kostet. Ein Wasserspeicher für eine Familie kostet 138 Euro, 5 medizinische Mitarbeiter können für 461 Euro geschult werden und eine Notunterkunft für eine Flüchtlingsfamilie ist für 1.500 Euro zu haben. Beim dritten Bein Infrastruktur sollen Rohbauten so ausgebaut werden, dass Flüchtlingsfamilien in Würde dort leben können.
Bei der anschließenden Fragerunde wollte ein Besucher wissen, ob die Eigentumsfrage bei den Rohbauten geklärt ist. In diesem Bereich arbeitet Medair in enger Koordinierung mit dem Ministerium für lokale Administration zusammen, das verantwortlich ist für die Flüchtlingsunterbringung, war die Auskunft.
Auf die Frage, ob Schulen funktionieren, sagte, Gabriele Fänder, dass es in sehr vielen Gebieten extern keine Schulen mehr gibt. Die in sicheren Gebieten vorhandenen sind hoffnungslos überfüllt, ebenso im Libanon und in Jordanien. Dort wurde das Problem damit gelöst, dass sie im 2-Takt-System Schule halten. In Syrien gibt es nur 14 internationale Hilfsorganisationen, das ist zu wenig. Deshalb können sich nur zwei Organisationen um Erziehung und Schulbildung kümmern.
Dass Hilfsorganisationen erst nach längerer Zeit aktiv werden können, liegt am aktiven Krieg in Syrien. Die Regierung ist deswegen sehr misstrauisch, bestimmte Nationalitäten werden aussortiert. Medair hat es geholfen, dass es eine Schweizer und eine christliche Organisation ist.
In welcher Position die Regierung zur Flüchtlingsfrage steht, wollte ein Besucher wissen. In den Ministerien, mit denen Medair zusammenarbeitet, möchte niemand, dass Fachkräfte weg gehen, aber man kann die Menschen nicht aufhalten. Die meisten Menschen beschäftigen sich mit der Frage, wie komme ich nach Europa. Junge Männer kommen nach Deutschland, um sich dem Militärdienst zu entziehen. Außerdem suchen Familien meist einen Jungen aus, dem sie es ermöglichen, nach Europa zu gehen. Fänder versucht, den Menschen klar zu machen, dass es nicht einfach sein wird in Deutschland. Niemand in der syrischen Regierung ist glücklich, aber man kann die Menschen nicht aufhalten. Im Bürgerkrieg in Syrien kämpft die Regierung gegen die eigene Bevölkerung, der IS spielt mit rein. Es ist ein komplizierter Konflikt, in dem es kein schwarz und weiß gibt. Viele ungelöste Fragen spielen mit, Kurden, Armenier, kalter Krieg Russland-Amerika, Konflikt zwischen Saudi-Arabien, schiitischen und sunnitischen Moslems, in der Regierung von Assad sitzen Alawiten.
Der arabische Frühling wurde sofort blutig niedergeschlagen, weil Könige oder Präsidenten, die an der Macht waren, die Angst gepackt hat. Der Krieg in Syrien ist außer Kontrolle geraten, weil so viele Gruppen sich bekämpfen.
Romy Schneider erzählte noch, dass, als sie im März im Libanon war, sie sehr stolz auf ihr Heimatland war, weil das zivilgesellschaftliche Engagement anerkannt wurde. Im Libanon selbst gibt es keine Solidarität.
Abschließend waren alle Besucher eingeladen, die syrischen Spezialitäten zu probieren, die Esther Öhlein mit ihrer Freundin gezaubert hatte.