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Mellrichstadt
Integrationskurs: Die Vhs hat dem Amtsschimmel getrotzt
Julia Back
 |  aktualisiert: 27.04.2023 03:08 Uhr

Ein wichtiger Faktor, dass Integration gelingen kann, ist die gemeinsame Verständigung. Dass es jedoch gar nicht so einfach ist einen Deutschkurs zu veranstalten – diese Erfahrung hat die Volkshochschule Rhön und Grabfeld gemacht.

„Als die Flüchtlingswelle begann, sind wir vor eineinhalb Jahren mit Deutschkursen eingestiegen“, erklärt Klaus Schemmerling, der als Geschäftsführer die Vhs leitet. „Das haben wir aus dem Stegreif gemacht, weil die zuständigen Stellen nachgefragt hatten, ob dies möglich sei.“

Integrationskurse in Rhön und Grabfeld

Seit dem Frühjahr 2016 bietet die Volkshochschule nun auch den sogenannten Allgemeinen Integrationskurs in Mellrichstadt und Bad Königshofen an. Dieser wird vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) finanziert und ist für Asylbewerber und Flüchtlinge, die vom Amt eine Zulassung erhalten. Dazu kommen noch Teilnehmer als Selbstzahler. „Das sind Ausländer, die hier leben und deutsch lernen wollen, wie Thailänder oder Russen“, erklärt die pädagogische Leiterin der Vhs, Renate Knaut.

„Vielen in der Region ist aber gar nicht klar, was mit dem Angebot dieser Kurse zusammenhängt“, sagt Schemmerling und fügt an: „Ich habe jetzt kennengelernt was ein Amtsschimmel ist und wie er wiehert.“ Die Volkshochschule bietet nicht einfach nur die Kurse an, sie übernehmen Aufgaben für das Bamf mit. „Wir nehmen hier die Anträge entgegen, kontrollieren ob alles vollständig ist und reichen die zusammengetragenen Unterlagen schließlich ans Bundesamt weiter“, so der Leiter der Vhs.

Warten demotiviert

Dann heißt es warten. Für den Antragsteller und die Vhs. „Am Anfang hat es sieben Monate gedauert bis eine Antwort kam. Das ist natürlich schwierig, wenn jemand hier ist, der deutsch lernen will und ständig nachfragt, was mit seinem Antrag ist“, erzählt Annett Golly-Gottwald, die die Kurse organisiert. Das hat auch zu Unwillen bei ehrenamtlichen Helfern und Teilnehmern geführt. „Mittlerweile geht es zum Glück schneller, der Bearbeitungszeitraum schwankt zwischen einem Monat und einer Woche“, sagt Golly-Gottwald.

Wie viel Aufwand hinter der Organisation der Kurse steckt hat sie schnell gemerkt. Die Mediengestalterin ist in Mellrichstadt eigentlich für Kommunikation und Marketing zuständig. Mittlerweile nutzt sie 90 Prozent ihrer Arbeitszeit nur noch für die Organisation der Kurse. „Es geht ja nicht nur um die Verwaltung. Wir sind auch Ansprechpartner hier“, sagt Golly-Gottwald. Manch Teilnehmer klopft auch gerne mal bei den Mitarbeitern an und hat Fragen zur Busfahrkarte. „Den schicken wir dann auch nicht fort“, erzählt sie.

Kursleiter fehlen

Das Hauptproblem der VHS ist derweil ein anderes: Woher die vielen Lehrkräfte nehmen? „Es ist äußerst schwierig Kursleiter zu finden, die die Qualifikationen haben, die das Bundesamt vorschreibt“, sagt Schemmerling. „Wir reden zwar alle deutsch, aber deutsch zu vermitteln ist wieder etwas anderes.“

Sieben Lehrkräfte unterrichten zurzeit einen Integrationskurs mit 15 Teilnehmern sowie zwei Alphabetisierungskurse mit insgesamt 24 Schülern in Mellrichstadt. Dazu gibt es noch einen Integrationskurs in Bad Königshofen, in dem 25 Teilnehmer deutsch lernen.

Viele Interessenten

Genügend Interessenten für die nächsten Kurse stehen schon in den Startlöchern – nur die Lehrer fehlen. „Es sind alle so motiviert, aber wenn ich sie zum vierten Mal wegschicken muss, weil ich ihnen immer noch keinen Kurs anbieten kann, tut das schon weh“, sagt Golly-Gottwald. Auch sei es in der Region nicht einfach Teilnehmer auf andere Kurse zu verweisen, da beispielsweise die Busverbindungen nicht ausreichen. „Wir erleben hier, dass die Motivation deutsch zu lernen sehr groß ist, aber auch die Enttäuschung wenn es dann nicht klappt“, sagt Knaut.

Die Verantwortlichen in der Volkshochschule fühlen sich vom Staat teilweise im Stich gelassen. „Wir sind keine riesengroße Volkshochschule. Es ist nicht selbstverständlich, dass wir das hier wuppen“, sagt Schemmerling. „Es ist ein wahnsinnig kompliziertes und aufwendiges System und der Verwaltungsaufwand ist irre“, erklärt Golly-Gottwald.

Auch die Vhs musste lernen

Und auch für die Vhs war die Kursorganisation ein Lernprozess: hatte zum Beispiel ein Kurs begonnen, merkte man, dass nicht alle Teilnehmer alphabetisiert waren. Der Kurs musste neu aufgeteilt werden. Zudem sei nie klar, ob Teilnehmer den Kurs hier zu Ende machen können oder davor wegziehen. „Es war oft ein Aha-Erlebnis für uns“, sagt Knaut.

Dass sie den Stress um die Verwaltung auch einmal vergessen, dafür sorgen die Teilnehmer der Integrationskurse. „Es lohnt sich, wenn man die Leute sieht“, sagt Golly-Gottwald. Zwischen Vhs-Verantwortlichen und den Teilnehmern herrschen mittlerweile fast familiäre Verhältnisse. „Das Klima in den Kursen ist sehr positiv“, sagt Knaut. Die Mitarbeiter der Vhs werden auch schon einmal bekocht oder bekommen massenweise Weihnachtsgrüße der Sprachschüler.

Freundschaften sind entstanden

Auch Kursleiterin Renate Brandstädter hat nur positive Erfahrungen gesammelt, wie sie erzählt. Sie hat mittlerweile ein freundschaftliches Verhältnis zu ihren Schülern aufgebaut. „Wir kommen sehr gerne her, auch wenn die Sprache schwer ist“, erzählt das Ehepaar Mamoun Azmahamid und Nisren Almasalma. Andere Kursteilnehmer sehen das genauso. Sie kommen aus Nordheim, Mellrichstadt, Fladungen, Hausen, Stetten, Oberstreu, Stockheim oder Unsleben und schwärmen wie gut sie aufgenommen wurden. Von Bürgermeister, Sportvereinen, Nachbarn und eben der Vhs.
 

lntegrationskurse des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge:

Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge finanziert die Integrationskurse. Sie bestehen aus einem Sprachkurs und einem Orientierungskurs. Der Sprachkurs dauert 600 Stunden und schließt mit der Prüfung „Deutsch-Test für Zuwanderer“ ab. Inhalte des Kurses sind Themen aus dem täglichen Leben in Deutschland. Zudem lernen die Teilnehmer Briefe und Emails auf Deutsch zu schreiben, zu telefonieren oder sich eine Arbeitsstelle zu suchen. Im 100-stündigen Orientierungskurs geht es um deutsche Rechtsordnung, Geschichte und Kultur sowie Werte und Formen des Zusammenlebens in Deutschland.

Asylbewerber aus Ländern mit guter Bleibeperspektive (Eritrea, Irak, Iran, Syrien und Somalia), Geduldete oder Ausländer mit Aufenthaltserlaubnis können durch das neue Integrationsgesetz verpflichtet werden an einem Integrationskurs teilzunehmen. Die Vhs Rhön und Grabfeld hat seit dem Frühjahr 2016 die Anerkennung als Träger solcher Kurse.

Der, die oder das? Deutsche Sprache, schwere Sprache! Die beiden Syrer Ahmad Ezzo (links) und Scheruan Khalil pauken fleißig Deutsch an der Vhs in Mellrichstadt. Probleme bereiten den Teilnehmern vor allem die Artikel und Vergangenheitsformen.
Foto: Julia Back | Der, die oder das? Deutsche Sprache, schwere Sprache! Die beiden Syrer Ahmad Ezzo (links) und Scheruan Khalil pauken fleißig Deutsch an der Vhs in Mellrichstadt.
Daumen hoch für fleißiges Lernen: Die Integrationskurse bei der Vhs in Mellrichstadt sind heiß begehrt. Es fehlen jedoch qualifizierte Lehrkräfte.
Foto: Julia Back | Daumen hoch für fleißiges Lernen: Die Integrationskurse bei der Vhs in Mellrichstadt sind heiß begehrt. Es fehlen jedoch qualifizierte Lehrkräfte.
 
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