Die Muse Kalliopé hatte den letzten Beitrag für „Mellrichstadt liest“ in der Saison 2017/18 inspiriert. Einen Monat länger als sonst hatte diese gedauert, weil einer der insgesamt neun Termine einmal ausgefallen war und darum von David Henkes, dem Moderator und Organisator dieses Vorleseforums, nun am vergangenen Sonntag nachgeholt wurde.
Seit vielen Jahren steht „Mellrichstadt liest“ immer unter einem Leitthema, das den einzelnen Beiträgen übergeordnet ist. Zuletzt waren es die neun Musen der Antike. Kalliopé galt als die Muse, die die antiken Geschichtenerzähler, Philosophen und Redner um Beistand anriefen. Henkes hatte allerdings nur den ersten Aspekt bei der Auswahl der von ihm vorgelesenen Texte berücksichtigt. Vor allem Humor kam zum Ausdruck, schon mit dem ersten Beitrag aus Ephraim Kishons Satirensammlung „Mein Freund Jossele“.
In der Erzählung „Das Einstein-Jossele-System“ hat der famose Freund des Erzählers ein System entwickelt, wie er durch einen geistigen Salto Mortale sich die hässliche Wirklichkeit zu einem triumphalen Erfolg umbiegt. Beispiel: Wenn die israelische Mannschaft mit ihren weiß-blauen Trikots bei einem internationalen Fußballspiel von den in Gelb spielenden Bulgaren geradezu Dresche kriegt, wird einfach die Nationalität gewechselt. „Von jetzt an spielen die Israeli in Gelb!“ Und gewinnen auf diese Weise 5:0. Denn: „Alles ist relativ!“
Jossele ist auch nicht verlegen um Erzählideen mit Knalleffekt. Gleich drei solche Ideen breitet er in „Rohmaterial für drei Geschichten“ aus. In der ersten dieser Geschichten wird ein Miesepeter, nachdem er seinen Chef, den Minister, massiv beleidigt hat, zum Generalsekretär ernannt. In der zweiten heiratet der Cafetier Gusti nicht die pummelig-dicke Berta, sondern deren Masseuse Abigail. Denn nicht Berta hatte bei der Massage an Gewicht verloren, sondern die Masseuse und war zu einer hübschen Frau erblüht.
In der dritten Geschichte erzählt Jossele, wie ein Bildhauer sich in die von ihm geschaffene Skulptur einer jungen Frau verliebt. Durch göttliche Fügung erlangt diese Leben, und Coco, der Bildhauer ist der glücklichste Mensch. Nur kann er seine Geliebte nicht der Öffentlichkeit zeigen, denn sie „besteht aus einem nierenförmigen Marmorblock mit einem ovalen Loch in der Mitte und zwei schrägen Metallstangen, die oben durch eine Dachrinne verbunden sind“.
Lehrhaft-gleichnishaft war die Erzählung von dem angeketteten Elefanten von dem Argentinier Jorge Bucay. Trotz seiner riesigen Kraft reißt sich der Elefant nicht von dem lächerlich schwachen Pflock los, an der angekettet ist. Erklärung: Er war es von klein an nicht anders gewöhnt. Er flieht nicht aus dieser Fessel, weil er glaubt, dass er es nicht kann. Vom selben Autor stammte auch die Erzählung von dem analphabetischen „Portier des Freudenhauses“.
Seine Unfähigkeit, lesen und schreiben zu können, beschert ihm die Kündigung in dem Bordell und ist zugleich der Grund, weshalb er, notgedrungen nach einem Lebensunterhalt suchend, zu einem höchst erfolgreichen Unternehmer wird. Die dritte Erzählung von Bucay gibt Aufschluss über die unehrlich-schlitzohrige Natur des Menschen. „Wegen eines Kruges Wein“ heißt sie.
Von Saki stammte die nächste Erzählung, die Henkes vortrug. In „Die offene Tür“ tritt ein Mädchen auf, das spontan fantastische Lügengeschichten erzählt, so glaubhaft, dass sie anderen Menschen damit einen höllischen Schrecken einjagt.
Henkes schloss den vergnüglichen Vorlesenachmittag und damit auch die Saison mit einer weiteren Erzählung von Kishon. In „Wegweisung“ beschreibt Jossele, seinem Freund auf geradezu groteske Weise, wie dieser zu Josseles neuer Wohnung findet.
Die Vorlesereihe soll in der nächsten Saison fortgesetzt werden, unter Umständen mit einer neuen Ausgestaltungsidee.