Eine Linie aus doppelt gelegten Basaltpflastern weist im Freilandmuseum Fladungen (Lkr. Rhön-Grabfeld) den Weg in die Alte Büttnerei. Innen führt eine blaue Kunststoffleiste am Holzboden an der Werkbank vorbei, am großen Hobel, den Fassdauben, zur Schleifmaschine und weiter in den Maschinenraum, wo sich die Farbe der Leiste von Blau in Schwarz ändert.
Diese Kunststoffleiste macht in regelmäßigen Abständen einen Knick wie ein „V“. Dort ist sie mit einem Blech verkleidet. „Wenn der Knauf des Taststocks darüberfährt, verändert sich auch der Klang“, sagt Simone Doll-Gerstendörfer. Kommt also ein Sehbehinderter oder Blinder mit dem Stock hier an, spürt und hört er, dass er eine spannende Station erreicht hat. Er kann die entsprechende Nummer seines Audio-Guides (Hörführer) wählen, und schon erfährt er, was es etwa mit den Antriebsriemen und dem Holzkasten neben der Tür auf sich hat: In dem Kasten war einst der Motor verborgen, der die Schleifmaschine antrieb. All die Hobel des Sulzthaler Büttners wurden hier scharf gehalten.
Das erste historische Gebäude, das dem Inklusionsgedanken entspricht.
Wenig später setzt sich Simone Doll-Gerstendörfer in einen Rollstuhl und schiebt sich nah an die Werkbank, wo ein kleines 15-Liter-Holzfass zukünftig begutachtet und angefasst werden darf. „Vielleicht noch ein Stück weiter nach vorne, damit auch Kinder noch hinfassen können“, meint die Kulturwissenschaftlerin.
Ariane Weidlich, Leiterin des Fladunger Freilandmuseums, nickt zufrieden. Bis zur Eröffnung der Alten Büttnerei an diesem Samstag werden die letzten kleinen Hürden überwunden sein – dann hat das Museum sein erstes historisches Gebäude, das voll und ganz dem Inklusionsgedanken entspricht.
Nicht nur das beschriebene Leitsystem am Boden für die Blindenstöcke gehört dazu. Hinweistafeln in erhabener Schrift und in Braille-Schreibweise, Videos mit Erläuterungen in Gebärdensprache oder Hörführer-Texte in ganz einfachen Worten für Menschen mit kognitiver Beeinträchtigung bilden ein umfangreiches Angebot für Besucher mit einer Behinderung.
Bereits von 2012 bis 2014 wurde die Alte Büttnerei aus Sulzthal (Lkr. Bad Kissingen) nach Fladungen transloziert, also Stein für Stein versetzt. Ariane Weidlichs Vorgängerin Sabine Fechter machte sich dafür stark, das Handwerksgebäude zu einem Inklusionsprojekt zu machen. 2016 wurde der entsprechende Beschluss gefasst. Ein Jahr lang hat dann Weidlich mit ihrem Team an dem Konzept gearbeitet.
Inklusion ist schwierig in Gebäuden aus einer Zeit, in der es noch keinen Inklusionsgedanken gab.
„Die ebenerdige Büttnerei ist das erste Gebäude hier, das sich für das Inklusions-Thema eignet“, sagt Weidlich. Enge Zimmer oder winklige Treppen verhinderten in den meisten anderen Häusern bisher, dass die historischen Gebäude zum Beispiel für Rollstuhlfahrer erreichbar gemacht werden konnten. Inklusion ist schwierig in Gebäuden aus einer Zeit, in der es noch keinen Inklusionsgedanken gab.
Mit der Büttnerei ist das anders. In den beiden großen Werkräumen können sich auch Rollstuhlfahrer gut bewegen. Die detailreich ausgestattete Werkstatt bietet zudem viele Gelegenheiten für taktile Erfahrungen über Berühren und Tasten.
„Das ist ein Pilotprojekt, nicht nur für unser Haus, sondern für die Freilandmuseen in Bayern überhaupt“, erklärt Ariane Weidlich, die seit Herbst 2016 in Fladungen die Museumsleitung innehat. „Das alles in einem Jahr zu verwirklichen, war ein sportlicher Zeitplan.“ Nun aber, kurz vor der Eröffnung, kann Weidlich dann doch lächeln.
Mit der Kulturwissenschaftlerin Doll-Gerstendörfer aus Randersacker bei Würzburg hat man sich eine Spezialistin ins Boot geholt. Ihr Arbeitsschwerpunkt ist die inklusive Kulturvermittlung. Neben dem Leitsystem wurde unter anderem auch ein Lageplan erarbeitet, den auch Blinde ertasten können. Gleiches gilt für die Fassade, die als Miniatur ertastbar sein wird. Über eine sogenannte Audiodeskription werden für Sehbehinderte Gegenstände im Raum und ihre Funktionen erklärt.
Inklusion ja, aber auch den Originalzustand erhalten.
„Immer wieder war eine Prüfgruppe da, um das Konzept unter realistischen Bedingungen zu testen“, erklärt Weidlich. Mitglieder des Blinden- und Sehbehindertenbundes aus Würzburg probierten die Angebote aus, so konnte das Konzept optimiert werden.
Die Detailarbeit geht so weit, dass zum Beispiel am Deckel einer Butterschleuder innen ein Spiegel angebracht ist, damit auch ein Rollstuhlfahrer von seiner Sitzposition aus das Innenleben der Schleuder beobachten kann.
„Unser langfristiges Ziel ist es, das gesamte Museumsgelände über ein Leitsystem für Blinde und Sehbehinderte autonom erlebbar zu machen“, blickt die Museumsleiterin in die Zukunft. Ganz einfach ist das allerdings nicht. „Wir wollen Inklusion, fühlen uns aber auch dem Originalzustand der Gebäude verpflichtet“, macht Weidlich deutlich, was mitunter ein Dilemma ist.
Bei der Alten Büttnerei war es anders, hier gingen beide Welten zusammen. Wenn am Samstag also zahlreiche neugierige Besucher, Sulzthaler, Rhöner und Mitglieder des Blindenbundes nach Fladungen kommen, wird gewiss ein neues Kapitel der Inklusion in Museen eröffnet werden.