Die Kirchturmuhr bestimmt den Vormittag des Untereßfelders Guido Jörg. "Ich fütter' früh die Hühner, dann lese ich Zeitung, danach geh' ich auf den Kirchturm", berichtet er. Der 66-Jährige ist einer der etwa zehn Kirchturmuhr-Aufzieher, die es in Bayern noch gibt. Alle 24 Stunden müssen die Gewichte hochgezogen werden, sonst steht die Uhr still.
Inge Warmuth zog 36 Jahre lang die Uhr auf
Seit rund einem Jahr hat Jörg den "Job" von seiner Vorgängerin Inge Warmuth übernommen. Nachdem sie über 80 Jahre alt geworden war und nicht mehr so gut Treppen steigen konnte, gab sie das Amt nach 36 Jahren auf. Sie hatte damit ihre Rente etwas aufgebessert, aber viel Geld bringt die Aufwandsentschädigung nicht ein. Pro Gang gibt es einen Euro, die Stadt hat noch etwas aufgerundet, sodass im Monat 45 Euro auf dem Konto landen.
Inge Warmuth selbst wollte nicht in die Zeitung, ihr Rat wird jedoch immer noch gebraucht. "Zweimal habe ich das Aufziehen vergessen, dann brauche ich die Inge, damit die Uhr wieder mit dem Glockenschlag übereinstimmt", gibt Jörg zu. Seine Vorgängerin war sehr pflichtbewusst und ging schon mal nachts um elf Uhr in den Turm, wenn sie nicht sicher war, ob alles in Ordnung ist. Die Umstellung von Sommer- auf Winterzeit ist kompliziert, aber da weiß sich Jörg inzwischen zu helfen. Er hält die Uhr so lange an, bis sie wieder stimmt.
Kirchturmuhr wohl um 1708 entstanden
Die heutige Kirche in Untereßfeld wurde 1708 von Weihbischof Bernhard Mayer geweiht, sie hatte mehrere Vorgängerbauten und bestand laut Überlieferungen als Pfarrei wohl schon im achten Jahrhundert. Der Kirchturm wurde im 15. Jahrhundert erbaut und im Jahr 1612 erhöht, er ist der älteste Teil des Gebäudes. Wie Kreisheimatpfleger Reinhold Albert bestätigte, könnte die Kirchturmuhr ebenfalls um 1708 entstanden sein. Eine Jahreszahl ist am Gehäuse nicht zu finden, es ist aber wahrscheinlich, dass im Zuge des Neubaus eine Uhr eingebaut wurde. Sie war damals, als kaum jemand eine Uhr besaß, ein wichtiger Bestandteil des Gemeindelebens. "Alle haben automatisch zur Kirchturmuhr geschaut. Die Bäuerlich haben beim Vorbeifahren an der Kirche sogar ihre Kappe gezogen", weiß Jörg zu berichten.
Guido Jörg kam als Rentner zu dem neuen Amt. "Du wohnst neben der Kirche, du kannst das doch machen", überredeten ihn seine Mitbürger. "In unserem klee Dörfle mit rund 250 Einwohnern verteilen sich die Ämter auf wenige Leute. Jeder muss sich einbringen", sagt Jörg. Er weiß, wovon er spricht, den er war 34 Jahre bei der Kirchenverwaltung, 18 Jahre als Küster tätig, ist bei der Feuerwehr, beim Sportverein, beim Radfahrverein und bei den Jagdgenossen aktiv. "Wir wohnen auf dem Dorf und müssen darauf schauen, dass alles ordentlich läuft, man kann nicht alles auf die Stadt schieben", sagt er. Was er allerdings gern von der Stadt Bad Königshofen hätte, ist ein elektrischer Uhrenaufzug. Die Stadt hat die Baulast am Turm und wäre dafür zuständig. Nach seinen Informationen würde das rund 5000 Euro kosten.
Täglich 34 Stufen hochsteigen zum Uhrwerk
Bis es soweit ist, steigt er täglich die historischen, unregelmäßigen Stufen hinauf, 34 sind es bis zur Hälfte des Turms, wo sich das Uhrwerk befindet. Ein lautes Tick-Tack zeigt an: Hier läuft alles ordentlich. Mit einer Kurbel, die er an drei Stellen einstecken muss, werden die großen Gewichte per Muskelkraft nach oben gezogen. Nach 24 Stunden sind sie fast am Boden, eine Stunde ist Karenzzeit, sonst steht die Uhr still. Jörg stellt die Uhr immer eine bis zwei Minuten vor, damit sich der Stunden-Glockenschlag nicht mit dem Läuten vor Messen, Andachten oder Hochzeiten kreuzt. Das Glockenläuten wird schon elektrisch betrieben. Die robuste Mechanik des Uhrwerks ist unverwüstlich, findet Jörg, sie muss nur ab und zu geölt werden. Eine Aussicht über das Dorf hat er auf dieser Höhe nicht, richtige Fenster gibt es weiter oben, wo die Glocken befestigt sind. Dafür kann er den Turmfalken bei Brüten beobachten, der in einer Fensternische sein Nest hat.
"Interessiert es die Leute überhaupt noch, ob die Uhr geht oder nicht", fragt sich Jörg manchmal, wenn er die Gewichte hochkurbelt. Seinen Sohn hat er vorsichtshalber eingelernt, damit er einspringen kann, sollte er selbst einmal verhindert sein. Bis eventuell ein Elektroantrieb seine Arbeit übernimmt, ist die Kirchturmuhr ein fester Bestandteil seines Alltagslebens an jedem Tag des Jahres.
Dort ist übrigens auch eine Uhr Made in Rhön zu sehen.