Leer ist das Mühlfelder Pfarrhaus noch nicht, man findet noch leicht ein Platz zum Sitzen. Vieles fehlt aber schon. Schließlich ist Pfarrer Gerhard Jahreiß auf dem Sprung. Genau genommen verlässt der 64-Jährige nach 35 Jahren seine erste Pfarrstelle und geht gleich in den Ruhestand. „Die erste Fuhre an Hausrat ist schon weg“, sagt der Geistliche. Die zweite folgt nach der offiziellen Verabschiedung an diesem Sonntag in der Kirche in Sondheim.
Dann endet der Dienst von Jahreiß für die Kirchengemeinden Mühlfeld, Sondheim/Gr., Roßrieth und Bahra – und „für die paar evangelischen Gläubigen“ aus Eußenhausen. Nicht leicht für beide Seiten, so eine Trennung nach so vielen Jahren. Denn dass eine Pfarrer so lange bleibt, ist eher ungewöhnlich. Noch dazu, wenn er wie Jahreiß damals praktisch ans Ende der Welt geschickt wurde. So ähnlich war das damals ja, als der neue Pfarrer an der Zonengrenze eintraf. Hinter dem Grenzzaun war Thüringen in der DDR – unerreichbar. Dafür hat er Jahre später aber die Grenzöffnung erlebt und bis heute den guten Kontakt und Austausch mit den Gemeinden in Thüringen.
Nicht um die Stelle beworben
Beworben hatte sich Jahreiß nicht um die Stelle. „Ich gehe dahin, wo mich der Herr hinschickt“, so seine Haltung damals am Ende seiner zweijährigen Vikarszeit im Frankenwald. Geschickt hat ihn dann die evangelische Kirche Bayern. Offensichtlich eine gute Entscheidung. Wie sonst hätte es 35 Jahre gut getan zwischen Pfarrer und Gläubigen.
Dabei kann sich Jahreiß noch gut erinnern, wie seine Aufnahme hier zunächst mit verhaltener Begeisterung aufgenommen wurde. „Aber so sind die Menschen hier halt“, sagt er mit einem verständnisvollen Lächeln. Und dieses Zusammenleben hat sich dann ja offensichtlich gut entwickelt, sodass viele bedauern, dass ihr Pfarrer nun geht.
Offenes Pfarrhaus
Auf die Frage, wie das denn so ist, wenn man nach so langer Zeit Abschied nimmt, muss der 64-Jährige erst einmal kurz schlucken. Doch dann erzählt er. Von dem offenen Haus beispielsweise, zu dem er und seine Frau Bärbel das Mühlfelder Pfarrhaus machten. In dem jeder willkommen war. Von Referenten, die dort übernachteten, von Praktikanten bis zu Menschen, die einfach einen Platz zum Schlafen suchten. „Das ging aber nur, weil meine Frau von Anfang an mitgezogen hat“, macht er klar. Für ihre sieben Kinder, die alle dort aufwuchsen, sei das eine Lebensschule gewesen. Beispielsweise, wenn sie mit einem Bischof aus Tansania am häuslichen Tisch saßen und sich unterhielten – über Gott und die Welt.
Da war die große weite Welt zu Gast im Pfarrhaus. Und die lag und liegt Jahreiß mindestens genauso am Herzen wie die Arbeit vor Ort. Deshalb setzte er sich beispielsweise dafür ein, dass seine Kirchengemeinde sogenannte Missionspartnerschaften in Tansania gründete und dort Hilfe leistete. Bei all der Verantwortung und Arbeit in der eigenen Gemeinde sollte man nämlich nicht das Große und Ganze aus den Augen verlieren, davon ist Jahreiß überzeugt. Immer über die Grenzen hinausschauen ist für ihn selbstverständlich. Deshalb ist er beispielsweise auch im Netzwerk Rhön aktiv, dem er auch nach seinem Wegzug verbunden bleibt.
Einige Wechselangebote
Im Rückblick sagt Jahreiß, gab es zwischendurch schon manchmal Situationen, in denen er und seine Frau daran dachten wegzugehen, etwas Neues anzufangen. „Es gab ein paar Angebote, zu wechseln“, sagt der Pfarrer. „Wir haben uns das angeschaut und sind dann doch geblieben“.
„Man muss das Leben und den Glauben zusammenbringen“, das hat Jahreiß immer als eine seiner Hauptaufgaben gesehen. Auf die Menschen zuzugehen, das war ihm wichtig. „Trotzdem bleibt man den Menschen immer etwas schuldig“, ist er sich bewusst, dass man manchmal etwas vergisst oder übersieht.
Ökumene gut entwickelt
Dankbar ist er, dass sich die Ökumene so gut entwickelt hat. Dass es kaum noch konfessionelle Schranken gibt und die Zusammenarbeit mit den katholischen Kollegen in der Regel bestens funktioniert. Dass es einmal einen gemeinsamen Bibelkreis von Katholiken und Evangelischen geben würde, habe man sich beispielsweise vor einigen Jahrzehnten nicht vorstellen können. „Aber das Fundament ist schließlich das gleiche.“
Zur Routine ist ihm seine Arbeit als Seelsorger nie geworden, sagt Jahreiß auf eine entsprechende Frage – auch nicht nach Tausenden von Gottesdiensten. Es ist doch jedes Mal wieder anders. „Routinierter wird man aber schon“, bestätigt er. Waren die Predigten früher beispielsweise ausgearbeitete Manuskripte, so genügen ihm heute ein paar Stichpunkte. „Im Lauf der Jahre kommt einfach mehr an persönlicher Erfahrung dazu, wen man zu einem bestimmten Thema predigt“, sagt er. Trotzdem schaut er hin und wieder gerne mal in die Ordner mit den alten Predigten und vergleicht wie er ein Thema damals beleuchtet hat.
Noch viel zu tun
Mitte November, so die Kalkulation von Jahreiß, dürfte er komplett aus dem Mühlfelder Pfarrhaus ausgezogen sein. Dann wohnt er mit seiner Familie auf dem kleinen Bauernhof seines Großvaters bei Kulmbach. Dann wird er zwar nicht mehr die Verantwortung für eine Gemeinde tragen, aber „auch wenn ich als Pfarrer entpflichtet werde, die Ordination gilt lebenslang“. Und so wird sich Jahreiß beim dortigen Dekan „zur Stelle“ melden. Schließlich lautet sein Motto: „Man macht, was man kann, so lange man kann.“
Das Mühlbacher Pfarrhaus wird dann wieder in Schuss gebracht. Denn schließlich wird die Pfarrstelle wieder ausgeschrieben, sagt Jahreiß. Das freut ihn, denn eigentlich hatte er damit nicht mehr gerechnet. Mit rund 600 liegt die Zahl der Gläubigen nämlich deutlich unter der Mindestanforderung für eine Pfarrstelle.
Das Programm der Abschiedsfeier

