Bad Neustadt ist der ideale Standort für den Weg in die digitale Zukunft der Industrieproduktion. Davon ist man im Weltkonzern Siemens überzeugt. Und deshalb wurde hier im Mai in der Halle 1 die sogenannte „Arena der Digitalisierung“ eröffnet.
Sechs Stationen
An sechs Stationen werden die Stufen der Digitalisierung im Produktionsalltag dargestellt. Mitarbeiter aus ganz Europa, vor allem aber Kunden des Siemenskonzerns, sollen sich an der Saale über die komplexen Bemühungen hin zum digitalen Workflow informieren.
Nachdem die Hauptkundschaft mittelständische Unternehmen sind und der Standort Bad Neustadt in ein solches mittelständisches Umfeld eingebettet ist, wurde das Rhöner Siemens-Werk als perfekter Standort einer solchen Arena gesehen.
Lange ausgebucht
Das Interesse an dieser Arena ist von Anbeginn groß. „Wir sind auf Monate hin ausgebucht“, sagte Uwe-Armin Ruttkamp, Leiter des Segments „Machine Tool Systems“, am Dienstag vor etwa 50 Fachjournalisten aus Deutschland und dem europäischen Ausland. Sie informierten sich über die digitalen Strategien, die auch im Werk Bad Neustadt entwickelt werden.
Mit von der Partie waren auch Wolfgang Heuring, CEO der Geschäftseinheit Motion Control in der Siemens-Abteilung Digital Factory, sowie Ralf Wagner, Leiter des Geschäftsbereiches Plant Data Services bei Siemens.
Sie gaben dem Fachpublikum einen detaillierten Einblick in die Strategien des Hauses bei der Digitalisierung im Werkzeugmaschinenbau.
„Die Verknüpfung von realer und digitaler Welt ermöglicht deutliche Produktivitätsschübe.“
Kurz gesagt, geht es dabei darum, alle Stufen von der Entwicklung bis zur Serviceleistung für eine Werkzeugmaschine zu digitalisieren. So kommen nicht nur bei der Entwicklung einer Maschine Computer zum Einsatz. Auch die Einrichtung einer Maschine, die Kontrolle und Optimierung der Bewegungsvorgänge der Maschine, digitalisierte Informationen über Standzeiten, Wartungseinsätze und vieles weitere mehr schaffen Möglichkeiten, die Auslastung und Wertschöpfung von Werkzeugmaschinen zu steigern.
Wenn dann zum Beispiel die Kapazitätsauslastung um 20 Prozent gesteigert oder die Einrüstzeit um 60 Prozent gesenkt werden kann, dann lässt sich die Digitalisierung schnell in größere Konkurrenzfähigkeit und schließlich in bare Münze umrechnen.
„Die Digitalisierung wird die gesamte Werkzeugmaschinenindustrie gravierend verändern und nach vorne bringen. Die völlig neuen Möglichkeiten durch die Verknüpfung der digitalen mit der realen Welt ermöglichen deutliche Produktivitätsschübe und völlig neue Geschäftsmodelle“, so Heuring bei seinem Einführungsvortrag.
Vorbereitung auf EMO-Messe
Die Digitalisierung in der Werkzeugmaschinenwelt wird ein Schwerpunkt des Siemens-Messeauftritts auf der EMO in Hannover im September sein. Sie ist die größte internationale Fachmesse der Werkzeugmaschinenindustrie. Siemens verfolgt einen einzigartigen, ganzheitlichen Ansatz: Die realen Prozessketten des Maschinenbauers und gleichzeitig des Maschinenbetreibers werden durchgängig in der virtuellen Welt (Digital Twin) abgebildet.
Deutlich ist also, dass am Standort Bad Neustadt nicht nur Motoren gefertigt werden, sondern dass das digitale Wissen im Werkzeugmaschinenbau und entsprechend sozusagen ein eigenes Produkt und somit Geschäftsmodell ist. Ein wichtiger Begriff ist dabei der „digitale Zwilling“.
Ein Werkstück und die dazugehörige Maschine zur Fertigung liegen praktisch vollständig digital vor. Auf virtueller Ebene kann also der Prozess der Maschinen-Entwicklung, der Werkzeug-Einrichtung und der Wartung deutlich detaillierter vorgeplant werden.
Dass all diese Dinge nicht im luftleeren Raum geschehen, machte Heuring deutlich. „Wir haben Bad Neustadt gewählt, weil hier der Mittelstand dominiert. Wir arbeiten also bei der Digitalisierung mit Kunden der Region zusammen, aber auch die nahe Fachhochschule Würzburg-Schweinfurt sitzt mit im Boot“, freut sich der Siemens-Manager. Für das gemeinsame Arbeiten gibt es Fördergelder aus München, ungewöhnlich für ein Nicht-Forschungs-Projekt.
Flexibilität gefragt
Wie wichtig Digitalisierung ist, wurde auch in einem Nebenaspekt deutlich. War in der Kurzpräsentation noch von einer jährlichen Motorenproduktion von 600 000 Stück an den beiden Standorten in Bad Neustadt die Rede, so musste diese Zahl aktuell auf rund 700 000 Stück nach oben korrigiert werden. Eine solche Produktionssteigerung verlange Flexibilität, die nur mithilfe digitaler Optimierungen geleistet werden könne, hieß es beim Pressegespräch.
In rund 30 000 Varianten werden die Bad Neustädter Elektromotoren angeboten. Auch hier helfe die Digitalisierung der Produktionsprozesse, flexibel zu bleiben. Wie weit die Digitalisierung der Produktion im Werk Bad Neustadt fortgeschritten ist, erfuhren die Journalisten, die zwei Tage in Bad Neustadt weilten, schließlich bei einer Werksführung.