"Die Täter waren auch Christenmenschen." Diesen Satz setzte Dekan Matthias Büttner an den Anfang seiner Predigt beim Gottesdienst in der evangelischen Christuskirche, der anlässlich der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz vor 75 Jahren gehalten wurde. Eine Ehre sei es, dass an diesem Gedenkgottesdienst Sara Atzmon mit ihrem Mann Uri teilnahm, eine Überlebende des Holocaust.
Traurige Hymnen
Der evangelische Pfarrer Lutz Mertten verwies in seinem Predigtimpuls auf den jüdischen Liedermacher Mordechai Gebirtig, der eigentlich lustige Volkslieder komponieren wollte. Sein Heim, sein Zuhause waren zerstört. Zusammengepfercht im polnischen Ghetto Podgorze lebte er mit seiner Familie und vielen anderen Vertriebenen, dem Hass und der Verfolgung durch die Nazis ausgeliefert. Seine Lieder wurden zu traurigen Hymne des verzweifelten Widerstandes eines verfolgten Volkes. Er wurde 1942 im Krakauer Ghetto erschossen.
Ein grausame Geschichte von der Hinrichtung einer Familie mit Kind, thematisierte Dekan Matthias Büttner. Aufgeschrieben hatte sie der jüdische Schriftsteller und Friedensnobelpreisträger Elie Wiesel, der Auschwitz überlebte. Er erzählt in seiner Trilogie "Die Nacht" von einer Hinrichtung in Auschwitz. Die Familie wurde erhängt. Da der Junge aber kaum Gewicht hatte, dauerte sein Todeskampf eine halbe Stunde. "Wir mussten ihm als Gefangene zuschauen und konnten nichts tun," vermerkt der Schriftsteller. Im Hintergrund der Umstehenden sei die Frage aufgeworfen worden, wo denn Gott sei. "Eine innere Stimme sagt mir: Wo er ist? Am Galgen."
Wie konnte dies geschehen?
Christen würden an den Gekreuzigten glauben, der tiefstes menschliches Leid auf sich nahm und selbst auf der Seite der Gepeinigten stand. Wie konnten dann Christenmenschen zu solchen Peinigern werden oder die Peiniger gewähren lassen?, fragte der Dekan.
Ganz persönliche Eindrücke schilderte Fritz Schroth, dessen Vater Widerstand gegen den Nationalsozialismus leistete. Fritz Schroth habe deshalb einen Antrag auf die Änderung des Grundartikels der Kirchenverfassung gestellt, weil dort aus der Abgrenzung heraus nichts über die Wurzel Israel stand. Nun sei festgehalten, dass Gott nie seinen Bund mit Israel gekündigt hatte, sondern zu seinem Volk steht.
Die Lieder der Musikgruppe "Spilerey" taten das ihre, die Gläubigen still und nachdenklich werden zu lassen.
In einer kurzen Stille erinnerte Pfarrer Lutz Mertten an die sechs Millionen Toten. Besonders erinnert wurde an die jüdischen Mitbürger in Rhön-Grabfeld. Ergreifend dann ein Lied, das Sara Atzmon auf der Mundharmonika spielte. "Das hat mein Vater immer gesungen", erklärte sie. Mit dem Fürbittgebet, Vater unser und dem gemeinsam gesungenem "Heven Schalom Alejchem", wir wünschen Frieden euch allen", endete ein Gedenkgottesdienst, der allen sicher noch lange in Erinnerung bleiben wird.