Die Regeln für einen Poetry Slam sind simpel: Alle Texte müssen selbst geschrieben, bis sieben Minuten lang sein und das Publikum entscheidet, wer gewinnt. Beim ersten Open-Air-Poetry Slam der Kulturwerkstatt Rhön-Grabfeld im Bildhäuser Hof führte Moderator Flemming Witt das Publikum durch einen bunten Abend mit gefühlvollen und lustigen, lauten wie leisen Texten, Erzählungen und Gedichten.
Der Jubel der Gäste ist entscheidend
Die sechs angereisten Poetinnen und Poeten traten in zwei Gruppen gegeneinander an. Nach dem Ausscheiden zweier Kandidierenden trafen im Halbfinale vier und im Finale nur noch zwei Vortragende aufeinander. Wer weiterkommt, wird durch die Lautstärke des Jubels der Gäste entschieden, "Applausometer" nennt man das beim Poetry Slam. Als Preis erhält der Sieger oder die Siegerin traditionsgemäß einen Eimer voller Kleinigkeiten, die das Publikum zusammensammelt.
In der ersten Runde traten Jan Cönig und Jakob Schwerdtfeger aus Frankfurt am Main und Leticia Wahl aus Kassel gegeneinander an. Jan Cönig begeisterte die jungen Gäste mit seinem Text ,"Höher - Schneller – Walter!", indem er das moderne, oft hektische Stadtleben humorvoll darstellt, während "Walter" nur versucht, sein geliebtes Brot zu kaufen. Doch das kann in der heutigen Zeit schon mal zu einem waghalsigen und stressgeladenen Unterfangen werden.
Das vierte Mitglied der drei Fragezeichen
Jakob Schwerdtfeger erzählte mit Witz von Kindheitsträumen, Privatdetektiven und vom berühmten "Dietrich", dem vierten Mitglied der "Drei Fragezeichen ???". Abwechslung brachte Leticia Wahl aus Kassel mit einem abstrakten Liebesgedicht als Ode an Erich Kästner und die Literatur.
Die zweite Gruppe eröffnete der Erfurter Julius Keinath mit "Die Dialektik der Pandemie" oder "Noch mehr arrogantes Zeug". Der "Mann mit dem Schnauzer" präsentierte seinen Text voller Humor und Charme mit einem breiten Panorama über App-Tracking und digitale Werbung, Social Media und die Rückkehr in die sogenannte Normalität vor der Pandemie. Mit genialen Wortwitzen und gnadenloser Ehrlichkeit begeisterte er sein Publikum.
Nach Keinath trugen Pauline Puhze und Suse Bockspringer zwei gefühlvolle und bewegende Gedichte vor. Puhze erzählte von Trennungsschmerz und die Erinnerung an das Gefühl der Jugend. Bockspringer thematisierte häusliche Gewalt in Beziehungen aus einer neuen Perspektive im Text "Es hat so nicht angefangen".
Mama, die Allwissende des Familienlebens
Das Halbfinale bestritten Jan Cönig mit einer humorvollen Ode an Holz, Leticia Wahl mit ihrem Text über Menstruation, Hormonschübe und ihrer Parodie des Tokio Hotel Hits "Durch den Monsun" mit "Ich hab’ Menstruation". Es folgten Julius Keinath mit Klassifizierungsversuchen der schrecklichsten Typen von Lehrenden und Suse Bockspringer über die Bürokratie der Haushaltsführung und "Mama" als Allwissende des Familienlebens.
Das Publikum entschied sich für Jan Cönig und Leticia Wahl für das Finale. Wahl thematisierte Schönheitsideale und Probleme durch Rollenbilder in einem Text, der komplett aus berühmten Songtexten und –zitaten verfasst war. Mit dem Text "Mam(m)a Mia!" konnte Jan Cönig schließlich den Poetry Slam für sich entscheiden, indem er die wichtigsten Lebensweisheiten seiner Mutter teilte. Gemäß dem Motto "Zieh dich warm genug an!", "Nimm dir einen Schirm mit!" und "Du bleibst immer mein kleiner Sohn!".
Der "Wordbaddle" war als erster Poetry Slam unter freiem Himmel eine Premiere für die Kulturwerkstatt und ein voller Erfolg. Der kurzweilige Abend war mit dem bunten Programm der ideale Wiedereinstieg ins Slamen nach der Zwangspause durch den Lockdown. Darüber freuten sich merklich nicht nur die Poeten und Poetinnen, sondern auch Moderator Flemming Witt, das Team der Kulturwerkstatt und das gesamte Publikum.