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WECHTERSWINKEL
Hochkarätiges beim Rezitieren
Das Quartett von „Text und Ton“ bei ihrem jüngsten Auftritt in Kloster Wechterswinkel: Urs John am Klavier, Rezitator Andreas Werner beim Gedichtvortrag, Frank Stäblein an seinen Schlagzeug-Instrumenten und die Rezitatorin Janette Fraas, die auch durch das Programm führte.
Foto: Carolin Fritz-Reich | Das Quartett von „Text und Ton“ bei ihrem jüngsten Auftritt in Kloster Wechterswinkel: Urs John am Klavier, Rezitator Andreas Werner beim Gedichtvortrag, Frank Stäblein an seinen Schlagzeug-Instrumenten ...
Fred Rautenberg
 |  aktualisiert: 15.04.2017 03:33 Uhr

„Das war hochkarätig!“, zog eine Besucherin ihr persönliches Fazit, als die Stimmen, das Klavier und die Rhythmusinstrumente verklungen waren. In der Tat, es war für die zahlreichen Besucher aus dem ganzen Landkreis schwer, nicht in schwärmerische Euphorie zu verfallen, im großen Saal des Klosters Wechterswinkel. Denn was sie gehört hatten, war die Kunst der Rezitation von lyrischen Texten in Perfektion und in einer Aufbereitung, die Ihresgleichen sucht.

Die Kulturagentur, vertreten durch Carolin Fritz-Reich, hatte zum Jubiläumskonzert von „Text und Ton“ eingeladen. Dieses Amateur-Quartett von profihaften Könnern, bestehend aus der Anglistin und Romanistin Janette Fraas, den Musiklehrern Urs John und Frank Stäblein sowie aus Mellrichstadts evangelischem Pfarrer Andreas Werner (alle vier Lehrkräfte am Martin-Pollich-Gymnasium Mellrichstadt), hatte seinem neuesten Auftritt den Titel „das Beste von 4 aus 5“ gegeben.

Aus dem Repertoire ihrer Auftritte der vergangenen fünf Jahre hatten sie das Programm zusammengestellt: Stücke, die ihnen eine besondere Herausforderung gewesen waren, weil sie ihnen etwas Besonderes bedeuteten – ein „empathisches Destillat“, wie es Werner charakterisierte.

Prinzipiell nichts Neues

Das Prinzip ihrer Rezitationskunst ist eigentlich einfach: Zum Sprechvortrag der ausgewählten Texte spielen Urs John und Frank Stäblein synchron musikalisch-rhythmische Elemente dazu. Nichts Neues prinzipiell. Doch wie es die vier machen, ist und war es doch wieder ganz anders. Da schwollen Klangteppiche auf, galoppierte ein Pferd, säuselte ein Lufthauch, flüsterte, grollte oder brüllte die Meeresbrandung, da knisterte eine Flammenlohe, da verschwebten Glockentöne in der Nacht! Durch Urs Johns musikalische Zitate oder intuitive Improvisationen auf dem Klavier, auf dem Akkordeon oder dem Cello, durch Frank Stäbleins Einsatz seiner Perkussionsinstrumente wurde den gesprochenen lyrischen Texten eine dramatische Aussagedichte verliehen, die normale Rezitation nie und nimmer erreichen kann.

Normale Rezitation gab es allenfalls bei der einzigen Erzählung „Das Cello“ (von Ferdinand von Schirach). Doch auch hier gaben Hintergrundklänge dem Text die Düsternis, die diese schicksalhafte Erzählung von zwei gebrochenen Menschen zum Inhalt hat. Das Haupt-Textkontingent waren Gedichte von Autoren wie besonders Christian Morgenstern (sieben Beiträge), aber auch von Ingeborg Bachmann, Arno Holz, Rainer Maria Rilke (anspruchsvoll in der Musikalität das dreistimmig von allen vier Künstlern gesungene „Ich bin zuhause zwischen Tag und Traum“), von Thomas Bernhard, Georg Trakl, Kurt Schwitters, Friedrich Nietzsche, Astrid Lindgren und einem englisch-deutsch vorgetragenen Gedicht von E. E. Cummings. Goethe war mit dem „Erlkönig“ vertreten. Ein Programm mit harten Kontrasten, bei dem Grauenvolles durch Humor aufgefangen wurde, Existenzielles durch (scheinbare) Alltagsbanalitäten, Bedrohliches durch sanftes Sich-Ergeben.

Janette Fraas und Andreas Werner lebten ihre Vorträge aus, schöpften aus einer unglaublichen inneren Freiheit der Deklamation und Feinfühligkeit für den jeweiligen Text, zogen alle Register auch des theatralischen Vortrags von Wispern, von fistelndem Falsetto bis Kreischen (z. B. in „Vereinsamt“ von Nietzsche), von kehligem Raspeln wie in Morgensterns „Meeresbrandung“, von Klagen und Anklagen wie in Lindgrens „Wäre ich Gott“, von romantisch-sehnsüchtigem Schwärmen bis zum Verstummen. Sogar Schmatzen und Schnarchen (bei den humorvollen Texten wie Morgensterns „Gespräch einer Hausschnecke mit sich selbst“ oder „Schwerer Alpdruck“ von Arno Holz) waren dabei. Modulation des Sprechtempos, Staupausen, Accelerando und Ritardando, hartes Punktieren, weich-flüssiges Fließen des Sprachduktus gehörten dazu, Steigerung der Dynamik und Decrescendo – und das immer mitgetragen von den musikalisch-akustischen Elementen auf kongenialer Ebene. Das alles ging unter die Haut. Hendrik Schiefhauer (Martin-Pollich-Gymnasium-Abiturient) am Steuerpult tat das Seine, um die Vortragswirkung zusätzlich zu steigern.

Alles auf Augenhöhe

Nein, eine bloße Hintergrunduntermalung waren die musikalischen Elemente nicht, das so zu definieren lehnte Andreas Werner strikt ab: „Alle vier Beitragsweisen begegnen sich gleichberechtigt auf Augenhöhe“, fügte er hinzu, es gebe keine künstlerische Rivalität beim Konzipieren ihrer Vorträge untereinander, so, wie sie sich auch auf zwischenmenschlicher Ebene einander gleichberechtigt aus einer gemeinsamen Gestimmtheit begegnen. „Wir freuen uns immer auf die Proben“, bekannte Janette Fraas, „auf den Austausch unserer Gestaltungsideen, auf das Ausprobieren, Optimieren“, – „aber auch auf das Sich-Einfügen in einen Mehrheitsbeschluss“, fügte Werner hinzu.

Kaum nötig zu erwähnen, dass alle vier, Rezitatoren wie Musiker, eine Affinität für die zeitlose Bildersprache der Lyrik besitzen, aus der heraus das Verständnis für die oft hermetischen Inhalte der Texte entspringt, wo andere Leser resigniert das Gedicht zur Seite legen.

Doch mit ihrer akustisch-musikalischen Textausgestaltung gaben und geben die vier von „Text und Ton“ dem Zuhörer einen zusätzlichen Schlüssel zum Verstehen in die Hand, stoßen die Herzen zum Sich-Öffnen an für die Metasprache der Dichtung, die die Alltags- und Sachsprache weit unter sich lässt und Dinge erfahrbar macht, die sonst verborgen blieben.

 
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