Es sind schwere Zeiten für den Einzelhandel: Seit über zwei Wochen haben die Geschäfte in Bayern geschlossen, wann sie wieder öffnen dürfen, ist derzeit noch nicht abzusehen. Viele Ladeninhaber fürchten um ihre Existenz – umso mehr, je länger die Corona-Krise andauert. In Mellrichstadt haben am Marktplatz die Apotheken und das Bürocenter Sterzinger mit angeschlossener Postfiliale geöffnet, am Roßmarkt können sich die Einkäufer bei Kupsch mit Lebensmitteln eindecken. Bei anderen Geschäften sind jedoch die Türen zu. Und die Inhaber haben Sorgen: Weicht die Kundschaft jetzt auf Online-Angebote aus?
Brigitte Proß, Geschäftsführerin des Stadtmarketingvereins Aktives Mellrichstadt, kennt die Ängste und Nöte der Geschäftsleute. Und hatte eine Idee: Mit einem Plakat, das auch an den Scheiben von Geschäften prangte, rief sie die Leute dazu auf, auf Online-Einkäufe zu verzichten und bei den lokalen Händlern einzukaufen, wenn diese wieder geöffnet haben. "Jetzt sind Solidarität und Zusammenhalt wichtiger denn je", hieß es da unter anderem. Und: Wer gezielt vor Ort einkauft, wenn dies wieder möglich ist, trägt dazu bei, "dass Mellrichstadt liebens-, lebens- und erlebenswert bleibt".
Hitstorm für das Kauf-vor-Ort-Plakat
Die Werbung schlug ein wie eine Bombe. "Das war ein regelrechter Hitstorm", freut sich Proß. Das Bild wurde auf Facebook rege geteilt, in What's-App-Gruppen verschickt und zigfach von Nutzern in den Status gestellt. Das Bewusstsein der Leute um die bedrohliche Lage für die Geschäftsleute war geschärft. "Geschäfte und Gastronomie bringen Leben in die Stadt. Wenn der Einzelhandel, der ohnehin seit Jahren mit der Online-Konkurrenz kämpft, noch mehr leidet, wird es für die Ladenbetreiber schwierig, sich halten zu können, und die Stadt verliert dabei auch", so die Chefin des Aktiven Mellrichstadt.
Die große Resonanz, die Proß auf ihre Kampagne erhalten hat, ist für sie ein Indiz, dass die Corona-Krise bei den Leuten ein Umdenken bezüglich ihres Kaufverhaltens bewirken kann, wenn nicht gar schon bewirkt hat. Regionale Produkte, der Einzelhandel vor Ort, das rückt bei den Menschen stärker in den Fokus, die Wertigkeit nimmt zu, ist sie sich sicher. Nicht nur bei den Händlern, auch bei den Kunden wächst die Angst, dass die großen Unternehmen staatlich unterstützt werden, während die Kleinen durch das Raster fallen. "Die Kunden haben es in der Hand, sich dem entgegenzustellen und den Handel vor Ort zu unterstützen", hebt Proß hervor.
Vier Werbekreise, eine gemeinsame Aktion
Darauf gründend entwickelte sie eine weitere Idee, um die Gemeinschaft in der Region und den Einzelhandel zu stärken. "Der Handel leidet, und zwar überall, nicht nur in Mellrichstadt", so Proß. Also nahm sie Kontakt zu den Werbekreisen in Bad Königshofen, Bad Neustadt und Ostheim auf und fragte an, ob Interesse besteht, gemeinsam eine Aktion für die Geschäftswelt zu starten. Die Geschäftsführerin des Aktiven Mellrichstadt lief offene Türen ein. Gemeinsam mit Carmen Lang von der Werbegemeinschaft Bad Königshofen, Christel Lux vom Stadtmarketing NES und Joachim Leyh vom Verein für Stadtmarketing Ostheim gab Proß eine Anzeigenseite für die lokalen Tageszeitungen in Auftrag, die am vergangenen Samstag für Aufmerksamkeit sorgte.
Der Aufruf, auf Online-Einkäufe zu verzichten und statt dessen vor Ort zu kaufen, damit der stationäre Handel die Corona-Krise übersteht und keine Arbeitsplätze verloren gehen, gilt für die ganze Region, damit auch in Zukunft weiter Leben in den Städten herrscht. "Wir sitzen alle im selben Boot, und vielleicht gelingt es uns in den Werbegemeinschaften, künftig auch bei anderen Projekten zusammenzuarbeiten und uns gemeinsam auf die Region zu fokussieren", so Proß. "Ich sehe die Region als eine große Stadt mit ganz viel Grün dazwischen", macht sie ihre Sicht der Dinge deutlich.
Bürocenter Sterzinger: Mehr Post und Pakete für Ostern
Dass das öffentliche Leben seit den Corona-Beschränkungen weitgehend zum Erliegen gekommen ist, zeigt ein Blick auf den Mellerschter Marktplatz. Nur wer etwas erledigen muss, ist unterwegs. Zum Beispiel im Bürocenter Sterzinger, wo Poststelle und Ladengeschäft weiterhin geöffnet sind. Die Kunden sind dabei laut Tina Härter-Thau und Frank Härter sehr diszipliniert und halten sich an die Vorgaben. Es dürfen nur jeweils zwei Personen die Postfiliale betreten, und es gilt, Abstand zu halten. In den ersten Tagen nach dem Shutdown seien die Kunden recht zurückhaltend gewesen, was die Paketflut in der Poststelle angeht, mittlerweile werden aber wieder mehr Pakete und Briefe verschickt, sagt Frank Härter. Man merkt, Ostern steht vor der Tür.
Im Ladengeschäft sind derzeit laut Tina Härter-Thau vor allem Zeitungen gefragt, die Leute haben Zeit zu lesen und wollen sich informieren. Begehrte Ware ist auch Druckerpapier fürs Home-Office, und ab und an wird mal ein Schulheft gekauft. "Natürlich ist der Umsatz weniger als sonst", sagt die Inhaberin, doch das zeige auch, dass sich die Menschen an die gesetzlichen Vorgaben halten. Dass sie weiterhin geöffnet haben dürfen, ist ein klarer Vorteil, dessen sich Frank Härter und Tina Härter-Thau bewusst sind. "Wir haben deshalb auch keinen Antrag auf Soforthilfen gestellt", sagen die beiden, um sich solidarisch mit den Geschäften zu zeigen, die geschlossen haben. Auf der anderen Seite ist bei ihnen die Ansteckungsgefahr natürlich entsprechend hoch. "Wir sind vorsichtig, halten Abstand und waschen unzählige Male am Tag die Hände", sagen die beiden. Und hoffen, dass bald alles wieder seinen normalen Gang gehen kann.
Neue Strategien und ein Aufruf zum Nachdenken
Wann die Ladentüren für die Kunden wieder aufgehen dürfen, ist indes noch völlig ungewiss. Hans Georg Link, Chef von Schuhe & Outdoor Link in Mellrichstadt, tappt auch bezüglich staatlicher Hilfen noch völlig im Dunkeln. "Wir haben alle erforderlichen Anträge gestellt, aber noch keine Antworten bekommen", so der Mellrichstädter. Er und seine Frau Christine haben nun ein Online-Schaufenster auf Facebook gestaltet, in dem sie die neuen Frühjahrskollektionen präsentieren und den Kunden einen Lieferservice anbieten. "Das ist allerdings ein Tropfen auf dem heißen Stein", sagt Link.
Auf seiner privaten Facebookseite ruft er die Verbraucher zum Unterstützen der örtlichen Geschäfte und zum Nachdenken auf: "Mal so ein Gedanke! Nichts gegen das Einkaufen bei Discountern, aber wir haben (noch) kleine Märkte, Dorfläden, Bäcker, Metzger, Hofläden usw, die um ihre Existenz kämpfen. Dauert eventuell nur noch wenige Tage, bis dort wirtschaftlich Ende ist. Kauft dort ein! Haltet sie am Leben! Ein Großkonzern hält länger durch, bzw kommt besser und schneller an Fördermittel ran. Gebt euch mit weniger zufrieden. Es muss nicht immer die spezielle Schnickschnack-Butter sein, die nur der Discounter hat. Denkt bitte darüber nach."