Das 30-jährige Bestehen der Aktion Pflegepartner wäre eigentlich ein Grund gewesen, im vergangenen Jahr groß zu feiern. Immerhin haben pflegende Angehörige im Landkreis Rhön-Grabfeld bereits seit 1990 die Möglichkeit, durch den Einsatz von Ehrenamtlichen für ein paar Stunden in der Woche durchzuatmen und etwas Zeit für sich zu haben. In Zeiten der Corona-Pandemie musste aber nicht nur die große Jubiläumsfeier entfallen, sondern auch die Hilfsangebote der Ehrenamtlichen können aktuell nicht in gewohnter Weise in Anspruch genommen werden.
"Viele Familien haben mir berichtet, dass durch das Aussetzen der Aktion ein Loch bei ihnen entstanden ist. Auf der einen Seite ist es natürlich schön, dass unser Angebot einen solch großen Stellenwert hat, auf der anderen Seite ist aber auch schmerzhaft mit anzusehen, dass die Sorgen und Nöte der pflegenden Angehörige in Corona-Zeiten noch größer sind", sagt Andrea Helm-Koch. Die Diplom-Sozialpädagogin leitet seit 1998 die Fachberatungsstelle für Pflegende Angehörige bei der Diakonie in Bad Neustadt und betreut dabei auch die Aktion Pflegepartner.
Startschuss für die Aktion Pflegepartner im Jahr 1990
Ins Leben gerufen wurde die Aktion des Diakonischen Werkes Bad Neustadt und des Caritasverbandes Rhön-Grabfeld im Jahr 1990. "Damals gab es weder Pflegeversicherung noch Tagespflegeangebote", sagt Helm-Koch. Stattdessen wurde in den Jahren von 1986 bis 1989 in Rhön-Grabfeld ein improvisiertes Kurzzeitpflegeprojekt mit dem Namen "Urlaub von der Pflege" angeboten, das einmal jährlich durchgeführt wurde. Über einen Zeitraum von drei Wochen wurden einige pflegebedürftige Menschen in der Reyersbacher Mehrzweckhalle betreut. Die Angehörigen, die den Rest des Jahres die Pflege übernommen hatten, konnten so zumindest etwas entlastet werden. Impuls für die Aktion Pflegepartner war dann die Frage einer betroffenen Angehörigen: "Was mache ich denn, wenn nicht Urlaub von der Pflege ist und ich zum Arzt oder Einkaufen muss?"
Schnell entstand im Landkreis die Idee, den bekannten Babysitterdienst auf die Situation von alten, kranken und behinderten Menschen zu übertragen. "Unser Ziel ist es, pflegende Angehörige so zu entlasten, damit sie ihre eigene Bedürfnisse wahrnehmen können und auch wieder neue Kraft für den Alltag schöpfen können", erklärt Helm-Koch. Die eingesetzten ehrenamtlichen Pflegpartner sind in dieser Zeit für die Pflegbedürftigen da, hören zu, gehen beispielsweise mit ihnen spazieren oder spielen zusammen. Vor ihrem ersten Einsatz müssen die Ehrenamtlichen jedoch zunächst eine 40-stündige Grundausbildung absolvieren. "Hierbei geht es beispielsweise um die richtige Gesprächsführung oder die Frage, wie ich mit Menschen, die an einer Demenz erkrankt sind, umgehen muss", so Helm-Koch.
Schutz der Pflegebedürftigen und Ehrenamtlichen vor Ansteckung
Anschließend erfolgt ein erstes Kennenlern-Treffen in der Familie des zu Pflegenden, bei dem die Sozialpädagogin ebenfalls anwesend ist. "Wichtig ist, dass die Chemie stimmt. Ich mache mir schon im Vorfeld Gedanken, welcher Ehrenamtliche zu welchem Pflegebedürftigen passen könnte. Die Ehrenamtlichen gehen dann meist einmal pro Woche für ein bis vier Stunden zu den Pflegebedürftigen. Oft ist das auch ein fester Wochentag, sodass die Angehörigen auch eine gewisse Planungssicherheit haben", erläutert Helm-Koch.
Auf dieses Angebot müssen die pflegenden Angehörigen in Corona-Zeiten aktuell jedoch verzichten. Zu groß ist das Risiko, dass sich die Pflegebedürftigen anstecken könnten. "Diese Personen haben oft sehr schwere Erkrankungen", sagt Helm-Koch. Sie hat aber nicht nur die pflegedürftigen Menschen, sondern auch die Ehrenamtlichen im Blick. "Die sind meist selbst schon im Rentenalter und haben Vorerkrankungen. Auch hier habe ich eine Fürsorgepflicht."
Dass die pflegenden Angehörigen aktuell vor großen Herausforderungen stehen und zum Teil nicht wissen, wie sie die Betreuung ihrer Angehörigen organisieren sollen, weiß Helm-Koch aus zahlreichen Telefonaten. Bereits vor der Corona-Pandemie sei vor allem der Bedarf an Haushaltshilfen groß gewesen. In diesem Bereich Hilfe zu bekommen, sei momentan fast unmöglich, so Helm-Koch. Da momentan auch nicht alle Tagespflegeinrichtungen geöffnet haben und die Betreuungskapazitäten zudem verringert sind, gibt es kaum noch Entlastung für die pflegenden Angehörigen. Doch selbst wenn eine Tagespflege möglich ist, kommt sie für viele aktuell nicht in Frage. "Die Angst, dass es dort einen Corona-Ausbruch geben könnte, ist natürlich da. Das hält viele davon ob, ihre Angehörige in die Tagespflege zu geben."
Pflegende Angehörige bei der Impfstrategie zunächst vergessen
In diesem Zusammenhang kritisiert die Sozialpädagogin auch die politischen Verantwortlichen. "Bei den Testungen ist noch viel Luft nach oben. Gäbe es mehr Tests, dann wäre in einigen Bereichen auch wieder viel mehr möglich", ist sie sich sicher. Auch bei der Impfstrategie seien die pflegenden Angehörigen zunächst vergessen worden. Und das obwohl 70 Prozent der Pflegebedürftigen in Deutschland zu Hause gepflegt werden. "Ich habe mit einer Frau gesprochen, die ihre 80-jährige Mutter zu Hause pflegt. Die Mutter ist noch nicht geimpft und die Tochter hat daher Angst, dass sie sich beim Einkaufen oder beim Arztbesuch infizieren könnte und anschließend ihre Mutter anstecken könnte", erzählt Helm-Koch.
Sorgen bereitet den Angehörigen darüber hinaus, dass sie sich im Falle einer Coronainfektion zeitweise nicht mehr selbst um die Pflegebedürftigen zu Hause kümmern könnten. Zumindest bei der Impfverordnung gibt es seit Kurzem aber einen Lichtblick. Enge Kontaktpersonen von älteren Pflegebedürftigen gehören nun zur zweiten Gruppe mit hoher Priorität und können mit einer schnelleren Impfung rechnen.
Unterstützung und Kontaktpflege per Telefon
Bis die Aktion Pflegepartner wieder wie gewohnt stattfinden kann, wird es allerdings wohl noch einige Zeit dauern. Andrea Helm-Koch und ihre Ehrenamtlichen versuchen daher, auf anderen Wegen so gut es geht zu helfen. "Viele Pflegepartner telefonieren regelmäßig mit den Pflegebedürftigen, sofern das möglich ist. Den direkten Kontakt ersetzt das aber natürlich nicht." Von den Angehörigen vermisst werden auch die normalerweise einmal pro Monat stattfindenden Gesprächsrunden. "Hier können sie sich in der Gemeinschaft über Probleme austauschen und Anregungen für den Alltag mit nach Hause nehmen", sagt Helm-Koch. Aktuell ist sie dabei, diese Lücke durch Telefonkonferenzen zu schließen.
Ihre große Hoffnung ist es aber natürlich, dass sich im Frühjahr die Lage entspannt und auch wieder reale Treffen möglich sind. Dann könnten auch die im Sommer neu dazu gekommenen ehrenamtlichen Pflegepartner erstmals zum Einsatz kommen. "Wir hatten im letzten Jahr so viele neue Ehrenamtliche wie noch nie. Sie freuen sich darauf, wenn sie endlich los legen dürfen." Pflegende Angehörige, die Interesse an einer kurzzeitigen Entlastung durch die Aktion Pflegepartner haben, können sich gerne aber schon jetzt bei Andrea Helm-Koch (Telefon: 09771/63090713) melden.