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Bad Neustadt
Glosse: Vom Schnuffeltuch zur Schnabelmaske
Corona stellt nicht nur das öffentliche Leben auf den Kopf. Auch die Mode hat das Virus radikal verändert. Dabei gilt: Alte Trends werden neu belebt.
'Der Doktor Schnabel von Rom'. (Ein Pestarzt in Rom 1656). Kupferstich von Paul Fürst nach J.Columbina; spätere Kolorierung.
Foto: akg-images | "Der Doktor Schnabel von Rom". (Ein Pestarzt in Rom 1656). Kupferstich von Paul Fürst nach J.Columbina; spätere Kolorierung.
Björn Hein
 |  aktualisiert: 27.06.2020 02:11 Uhr

Die Corona-Krise hat in Deutschland vieles verändert. Allein die modischen Accessoires sind ganz andere geworden. So die Schutzmaske: Fristete sie früher ein tristes unbeachtetes Dasein im OP oder beim Zahnarzt, so ist sie heute das modische Statement schlechthin. Ohne das allseits geliebt-gehasste "Schnuffeltuch" geht der verantwortungsbewusste (und modische) Bürger nirgendwo mehr hin. Während alternativ angehauchte Freigeister für die Maske farbenfrohe, ökologisch-erzeugte Stoffe bevorzugen, gibt es für den angepassten "Bürohengst" auch die neutral-zurückhaltende Version von der Stange. Sparfüchse nähen sich die Schutzmaske natürlich selbst und so mancher Liebestöter erfährt als Mund- und Naseschutz einen zweiten Frühling.

Verschwörungsideologen würden die Schutzmaske am liebsten ablegen und stattdessen den Aluhut verpflichtend machen. Denn "Corona ist überall", wie auf den Plakaten im beschaulichen Rhönstädtchen zu lesen war. Schutz gibt es da ihrer Meinung sowieso nicht. Und das Coronavirus höchstpersönlich würde sich gegen eine Impfplicht stemmen, so denn ein Mittel gefunden wird.

Ab in die Gartenlaube

Den historisch Bewanderten können solche Zeitströmungen natürlich nicht aus der Ruhe bringen. Er hat sich längst in seine Gartenlaube vom Trubel der Welt zurückgezogen. Passend zur Situation ist er in das Decamerone von Boccaccio vertieft. Trotz aller Horrormeldungen freut er sich, dass es "nur" Corona und nicht die Pest ist, die die Welt heimsucht. Anders als vor 700 Jahren bei der Pest weiß man heute, wie Corona übertragen wird. Auch wenn Verschwörungsideologen dies naturgemäß anders sehen.

Wenn der "Weise" seine Gartenlaube verlassen und in die lärmende Welt zurückkehren muss, trägt er der Geschichte eingedenk natürlich keine schnöde Schutzmaske. Eine Schnabelmaske schützt viel besser und ist zudem sehr praktisch. Auch wenn dieses überaus nützliche Accessoire der spätmittelalterlichen Pestdoktoren mittlerweile etwas aus der Mode gekommen ist: Jetzt besteht die Möglichkeit, dass die Schnabelmaske eine Renaissance erlebt. Sicherlich, die etwas ungewohnte Form der Gesichtsmaske mit langgezogenem Schnabel mag anfangs ein ungewohntes Bild abgeben. Aber die Vorteile sind nicht zu unterschätzen. Nicht nur, dass der Schnabel dafür sorgt, dass der Mindestabstand eingehalten wird. Im hohlen Schnabel der Maske kann man Duftstoffe wie Melisse, Minze oder sogar Weihrauch mitführen und so ganz nebenbei die frühsommerlichen Ausdünstungen der Mitwelt erträglicher machen.

Ein Trend aus dem späten Mittelalter lebt wieder auf: Die Schnabelmaske (im Hintergrund). Andere wiederum bevorzugen das 'Schnuffeltuch'. Alles eine Frage des persönlichen Geschmacks.
Foto: Bernd Thissen/dpa | Ein Trend aus dem späten Mittelalter lebt wieder auf: Die Schnabelmaske (im Hintergrund). Andere wiederum bevorzugen das "Schnuffeltuch". Alles eine Frage des persönlichen Geschmacks.

Solche Ausflüge des "Weisen" in Schnabelmaske sind aber nur kurz, dann geht es schnell zurück in die Gartenlaube. Denn gegen Corona hilft nur der Abstand zu den Mitmenschen. Dass dies bei Pandemien das beste Rezept ist, wusste man schon zu Zeiten der Pest. Wie schrieb der Nürnberger Wundarzt Hans Folz im 15. Jahrhundert dazu: "Fleuch pald, fleuch ferr, kumm wieder spat!" (Flieh bald, flieh weit, komm erst viel später wieder).

 
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