Dass die Heimat schrumpft, ist an sich nichts Neues. Jedes Jahr nimmt der Bestand an Ureinwohnern in unserer Zukunftsregion um rund 500 Exemplare ab. Dass allerdings auch für unsere Kreisstadt ein Einwohnerrückgang von 4,3 Prozent erwartet wird, verwundert. Was treibt Menschen in die Stadtflucht? Man braucht sich nur umzuschauen. Nehmen Sie das Bahnhofsareal. Während seiner gesamten 24 jährigen Regentschaft hat Altbürgermeister Altrichter dort eine Verbesserung in Aussicht gestellt und um Geduld gebeten. Geschehen ist so gut wie nichts. Sicher, die Güterhalle wurde saniert und die Bahnhofstoilette reaktiviert. Aber das war's auch schon. Der erste Eindruck auf moderne Menschen, die klimabewusst mit der Bahn anreisen, ist verheerend. Auf sogenannten "Parkplätzen" stehen inmitten von Dreckpfützen dicht an dicht die glamourösen Spitzenerzeugnisse der Automobilindustrie herum. Wohlstandsverwahrlosung in Reinform.
Über eine hässliche Industriebrache schweift der Blick hinüber zum "Pappophag", einem 40 Meter hohen Pappkartonlager, dem traurigen Wahrzeichen der Stadt. Der Neuankömmling weiß sofort Bescheid. Folgende Institutionen könnten an dem desaströsen Bild etwas ändern: die Deutsche Bahn AG, die Siemens AG und die Stadt Bad Neustadt. Alle können allerdings auch genau erklären, warum daraus nichts wird. Der amtierende Bürgermeister bittet um Geduld.
Auch die Ortsteile Mühlbach und Neuhaus sind längst zu Brennpunkten verkommen. Glaubt man den Einwohnern, herrscht dort ein "Klima der Angst". Das Problem beginnt schon damit, dass man nicht so recht weiß, wie man es benennen soll. Man will ja schließlich "politically correct" bleiben. Über wen also regen sich die Einwohner denn da seit Jahren auf? Über "Randgruppen"? Über "Menschen mit sozialen Defiziten"? Das klingt alles irgendwie diskriminierend, finden Sie nicht? Auf jeden Fall gibt es ständig Ärger in der "Neuschter Bronx". Obwohl die Polizei mutig einschreitet, schafft sie es nicht, sich bei ein paar chronischen Randalierern Respekt zu verschaffen. Auch der Stadt kann man nichts vorwerfen.
Die Stadt gibt ihr Geld bekanntlich lieber für Prestigeprojekte wie das dringend benötigte Kulturzentrum in der Alten Amtskellerei aus. Es ist wie beim Bahnhofsareal: Man kann nichts machen. Außer reden. Dann sollen die Nachbarn eben wegziehen. In der Ruinenlandschaft von "Bad" Neuhaus stellt das denkmalgeschützte "Schmitts-Mary-Haus" seit Jahrzehnten einen echten Hingucker dar. Die Besitzerin, die Rhön-Klinikum AG, hat im Lauf der Jahre schon fast 130 Euro für seine Erhaltung investiert. Denn die aufgenagelten grünen Plastikplanen, die das "alte Gerütsch" zusammenhalten, müssen regelmäßig erneuert werden. Trotzdem fallen gelegentlich Trümmer auf die Straße. Der Bürgermeister bittet um Geduld. Warum sich die Stadt das denn bieten lasse, wollte ein verzweifelter Anwohner bei der letzten Bürgerversammlung wissen. Na warum wohl? Weil die Rhön-Klinikum AG eben nicht Hinz und Kunz ist. Sie zahlt zwar keinen Cent Gewerbesteuer, gilt aber als der größte Arbeitgeber im Landkreis. Und als solcher kann sie von der Stadt eben auch eine gewisse "Unterwürfigkeit erwarten.
Sicher, auch bei uns herrscht Fachkräftemangel. Deshalb wirbt der Konzern ja auch Personal aus aller Welt an, was gelegentlich zu Verständigungsproblemen mit den Patienten führt. Von wegen "Bauch-Aua". Kein Wunder, dass der "Campus Babylon" voll auf Spracherkennung mittels künstlicher Intelligenz (KI) setzt. Man muss sich das vorstellen.