Kaum angekommen, sind sie schon vom Charme des historischen Ensembles verzaubert: Rund 100 Architekturstudenten der Hochschule München lassen sich eine Woche lang von den architektonischen Besonderheiten der Gebäude rund um das Wasserschloss in Roßrieth begeistern. Ihr Auftrag: Im Rahmen einer großen Bauaufnahme untersuchen und vermessen sie verschiedene Stallgebäude des zum Schloss gehörenden Gutshofs. Für die jungen Leute steht dabei im Fokus, Baugeschichte zu verinnerlichen und Verständnis für historische Baukonstruktionen zu entwickeln.
Das Seminar, das die jungen Leute besuchen, heißt Bauen im Bestand und beinhaltet ebenso die Denkmalpflege. Die Bauaufnahme ist eine Vorleistung zur Teilnahme an der Klausur "Bauen im historischen Kontext". Das Ergebnis fließt in die Benotung der schriftlichen Arbeit ein. Kein Wunder also, dass dieser Tage emsige Betriebsamkeit auf dem historischen Gutshof des Roßriether Schlosses herrscht. 32 Gruppen mit jeweils drei Studenten, ausgestattet mit Zollstock, Wasserwaage, Maurerschnur und Skizzenheft, bevölkern die verschiedenen Stallgebäude.
Keine leichte Aufgabe
Die Schlossbesitzer, Inge Frantz-Schumacher und Gerd Schumacher, haben für diese Arbeit gern ihren Gutshof zur Verfügung gestellt. In diversen Stallungen und Scheunen, dort, wo einst Kühe und Schweine gehalten wurden und landwirtschaftliches Gerät untergestellt war, ebenso im ehemaligen Kornlager und auf dem Heuschober dürfen die Studenten das Vermessen üben. Die Aufgabe ist keine leichte: Im Gegensatz zu Neubauten sind in den historischen Gebäuden Wände auch mal krumm, gebogene Balken wurden eingearbeitet, bauliche Besonderheiten sind zu berücksichtigen. Doch gerade das macht die Aufgabe für die Studenten im vierten Semester so spannend.
Den Kontakt zwischen Gutsbesitzern und Hochschule hat Ilse Frantz-Loske, die Schwester von Inge Frantz-Schumacher, hergestellt. Die Diplom-Ingenieurin für Innenarchitektur und Grafikdesign lebt in München. Ihr Interesse gilt dem Leben, Wohnen und Arbeiten auf dem Land in einer innovativen Architektur, wie sie sagt, und das möglichst generationenübergreifend. Über Kontakte zur Fakultät Architektur der Hochschule München kam die Verbindung zu Professorin Silke Langenberg und ihrem Mitarbeiter, dem Ingenieur Reinhold Winkler zustande. Und mit ihnen nahm das Projekt "Bauaufnahme Roßrieth" durch die Studierenden Gestalt an.
Junge Leute mit innovativen Gedanken
Die Studenten, die bereits Exkursionen ins Altmühltal und in die Schweiz unternommen haben, um zu lernen, wie Gebäude mit baulichen Besonderheiten vermessen werden, sind nun erstmals im nordbayerischen Raum zugange. Die Landschaft gefällt ihnen, das Gut mit seinen historischen Gebäuden hat sie vom ersten Anblick an gefesselt. Für Inge Frantz-Schumacher ist damit eine Intention, die sie hinsichtlich des Studentenbesuchs hatte, schon erfüllt: die Region bei jungen Leuten bekannt zu machen und aufzuzeigen, welche Schönheiten das flache Land bietet. "Und natürlich, innovative Gedanken und Ideen der Studenten zu erfahren und damit auch Möglichkeiten anzudenken, wie man Projekte zur Belebung von Mellrichstadt und der umliegenden Dörfer entwickeln und umsetzen könnte."
Das ist ein Aspekt, der auch Michael Kraus von den Freien Wählern und Freund der Familie Frantz brennend interessiert. "Bauen im Bestand ist ein Thema, das für die Stadt von großer Bedeutung ist", so Kraus. "Wenn 100 Experten vor Ort sind, kann es nur von Vorteil sein, zu erfahren, welche Ideen sie auch zur Innenentwicklung der Stadt und der Stadtteile haben", macht er deutlich. Zweiter Bürgermeister Thomas Dietz hatte die Studenten, die in der ganzen Region von Mellrichstadt über Ostheim und das Schullandheim Rappershausen bis nach Münnerstadt Ferienwohnungen und Pensionen bezogen haben, zum Auftakt begrüßt und Mellrichstadts Besonderheiten vorgestellt.
Wie sind die Gebäude aufgebaut?
Diese können die jungen Leute nach Feierabend unter die Lupe nehmen. Tagsüber gilt ihr ganzes Interesse bis kommenden Freitag der Vermessung der Gebäude auf dem Gutshof, das Schloss selbst ist allerdings nicht Bestandteil der Untersuchungen. Die praktische Woche dient der Übung, wie man überhaupt historische Gebäude vermisst und dafür, Verständnis für die ursprüngliche Baukonstruktion und deren Weiterentwicklung in den folgenden Jahrhunderten aufzubauen. "Wie funktionieren die Gebäude, wie sind die Wände aufgebaut, was wurde in den verschiedenen Epochen angebaut – all diese Fragen stehen im Blickpunkt", machen die Tutoren Katharina Döhring, David Glöckler, Dominik Malz und Andreas Reiser deutlich. Sie sind vor Ort, um die Viertsemester bei ihren Aufgaben zu unterstützen und sind Ansprechpartner, wenn die Teams mal nicht weiterwissen.
"Kern des Projekts ist das Bauen im Bestand – was ist vorhanden und wie geht man mit den Gebäuden um", sagt Andreas Reiser. Auch mit Blick auf die Denkmalpflege und den Aspekt, wie Bauherren in früheren Zeiten gearbeitet haben. "Es gibt hier tolle architektonische Besonderheiten", sagt Dominik Malz, der nun überlegt, seine Masterarbeit darüber zu schreiben. Ein Blick in den Heuschober, verrät Inge Frantz-Schumacher, hat die jungen Leute besonders fasziniert, die alte Baukunst und Berge von Heu, die seit Jahrzehnten darin lagern, sieht man in der Stadt nicht alle Tage.
Mitzuerleben, dass das historische Gut Eindruck auf die Studenten macht, bereitet auch Ilse Frantz-Loske Freude. "Es ist schön, wenn wir ein Gefühl dafür schaffen können, dass man sensibel und behutsam mit dem Vorhandenen umgeht und das Augenmerk auf Nachhaltigkeit richtet. Dass man alte Gebäude nicht verbaut, sondern Strukturen und Formen wahren kann."
In Dreier-Teams unterwegs
Marc, Patrick und Angelika, die ein Vermessungsteam bilden, haben sich ihren Arbeitsplatz eingerichtet. Mit dem Legen eines Messnetzes und dem Anlegen einer maßhaltigen Skizze im Bereich der alten Stallungen waren sie am Montag voll beschäftigt. Mit der Vermessung der Raumkanten und der Übertragung in den Plan ging es ab Dienstag bereits in die Detailausarbeitung der Pläne. Auch das Vermessen und Zeichnen der Türen, Fenster und Treppen gehört dazu, die Erstellung von Baubeschreibungen wie Materialien, Böden und Decken inbegriffen. Ebenso ist die Dokumentation von Schäden und Auffälligkeiten in die Pläne ein Aufgabenfeld für die Studenten.
Der Weg nach Roßrieth hat sich gelohnt, da sind sich die Studenten schon nach wenigen Stunden einig. Die dörfliche Idylle mit dem baulich historischen Ambiente gefällt den jungen Leuten. "Wir kommen aus dem Münchner Umland, nicht direkt aus der Stadt, deshalb ist das jetzt für uns kein Kulturschock", sagen Angelika, Patrick und Marc verschmitzt. Viel Zeit zum Plaudern haben die drei aber nicht. Ausgestattet mit allerhand Utensilien gehen sie frohgemut ans Werk. Am Freitag, 31. Mai, endet die Exkursion, um 17 Uhr fahren die Studenten zurück nach München. Dort werden die Pläne nachbearbeitet, bevor die Arbeiten abgegeben werden. Natürlich hoffen alle jetzt schon auf gute Noten.