
"Woyzeck" ist im Deutschunterricht höherer Schulstufen eine verlässliche Figur, an der man die Verfassung eines hilflosen Menschen in einer zynischen Gesellschaft diskutiert. Georg Büchners Dramenfragment von 1836 ist nun in einer Inszenierung des Jungen Staatstheaters Meiningen in Regie von Gabriela Gillert zu sehen.
Woyzeck hat in seinem Bühnenleben viele Gestalten eines misshandelten Geschöpfs angenommen. In einer Inszenierung des Eisenacher Theaters wurde er vor Jahren durch eine Zirkusmanege gezerrt. Auf welcher Bühne Woyzeck auch immer vorgeführt wird: Man erfährt fundamental Wahrhaftiges über das Menschsein. So ist Woyzeck von Beginn an gefangen in einem teuflischen System von Mächten, denen er nicht entrinnen kann: Seiner Armut. Seinen schizophrenen Halluzinationen. Der Gewalt des höhnischen Hauptmanns. Der Ausbeutung durch einen Arzt, bei dem er sich als Versuchsobjekt ein paar Groschen verdient, mit denen er seine Geliebten Marie und das gemeinsame Kind unterstützt. Er ist Gefangener seiner Eifersucht, die ihn übermannt, als er erfährt, dass sich die lebens- und liebeshungrige Marie mit einem aufgetakelten Tambourmajor vergnügt.
Ein Blick in die Abgründe der Menschen

Büchners Fragment besticht durch eine außergewöhnlich nüchterne, rohe Sprache mit kurzen Sätzen, an denen es nichts zu deuteln gibt. Man blickt klaren Auges in die Abgründe der Menschen, selbst auf einer leeren Bühne. In den Meininger Kammerspielen gibt es, eingerichtet von Helge Ullmann (auch Kostüme), allerdings etwas mehr als nichts: Eine umrandete, mit schwarzer Folie ausgelegte Grundfläche. Ein paar metallene Sitzobjekte, riesige Lautsprecher-Licht-Maste. Das erinnert an die Tanzfläche einer Heavy-Metal-Disco, dann an ein flaches Wasserbecken. Alsbald schwebt ein Bett vom Theaterhimmel herunter – zerbrechliches Symbol für kärgliche Geborgenheit. Und es regnet und regnet, bis der Kunstnebel, von Lichteffekten verstärkt, wabert oder der Boden sich in eine einzige glitschige Fläche verwandelt, auf der Woyzeck – drehbuchgemäß – häufig in Schlittern gerät.
Dazu ist aus den Lautsprecherboxen lautes Heavy-Metal-Gewummer zu hören, das zu puls-getakteten leisen Passagen wechselt, bei denen das stete Prasseln des Regens die Geräuschkulisse beherrscht (Sounddesign und Komposition: Xell.). Nur einmal stimmen Franz und Marie, im Bett liegend, einen zarten Song an, in dem vom Himmel über den Wolken die Rede ist und von Unendlichkeit. In dieser wabernden, wummernden und wässrigen Kulisse bewegt sich Leonard Pfeiffer als Woyzeck bewundernswert sicher. In Gestus und Sprache nimmt man ihm das geknechtete Wesen fraglos ab. Auch Alonja Weigert (Marie), Max Rehberg (Doktor, Kamerad Andres) und Johannes Schönberg (Hauptmann, Tambourmajor) interpretieren ihre Rollen glaubwürdig. Dennoch leidet die Inszenierung an einer Explosion an Effekten.
Effekte sollen Botschaften leichter ins Gemüt transportieren

Seit geraumer Zeit ist auch auf Theaterbühnen ein interessantes Phänomen zu beobachten: Selbst bei verständlichsten Szenen trauen die Macher dem Publikum nur noch eine geschrumpfte Aufmerksamkeitsdauer zu. Deshalb kommen mehr denn je Effekte ins Spiel, die die Botschaften leichter ins Gemüt transportieren sollen. Offenbar glaubt man, junge Menschen seien nicht mehr nur durch die Dramatik des bloßen Wortes und der blanken Körperlichkeit bei der Stange zu halten und setzt auch in dieser Inszenierung über alle Maßen auf Transmitter-Effekte. Dass die nach hinten losgehen, kann passieren, wenn Woyzeck akrobatisch über den Discoboden schlittert. Johlendes Gelächter der Teenies ist vorprogrammiert. Und das wird dem armen Mann nun wirklich nicht gerecht. Genauso wenig wie der dramaturgische Effekt, dass Woyzeck Marie fast zu Tode würgt, dann um ihr Leben jammert, um im nächsten Augenblick ungerührt zuzustechen.
Vorstellungen: 16., 27. und 28. März, 5. Mai, 5. und 6. Juni; Kartentel.: (03693) 451222; www.staatstheater-meiningen.de
