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BAD NEUSTADT
Frühchen: Der kleine Janik wird groß
Ines Renninger
 |  aktualisiert: 03.12.2019 09:37 Uhr
„Wir wollen Hoffnung geben, das Ende der Geschichte erzählen und zeigen: Es kann gut ausgehen.“
Nadine Breitinger, Mutter von Janik

Wenn Janik diesen Sonntag seinen dritten Geburtstag feiert, blicken seine Eltern in einer Mischung aus Dankbarkeit, Glück und Erleichterung auf den 12. März 2014 zurück. Mit nur 475 Gramm war der Kleine damals in der 25. Schwangerschaftswoche als extremes Frühchen zur Welt gekommen. Das Risiko, dass er die ersten Wochen nicht überleben und wenn, ein bleibendes Handicap zurückbehalten würde, war hoch. Doch Janik lebt und lacht – uneingeschränkt.

Ein langer Kampf ins Leben

„Wir hatten erstaunliches Glück“, sagen die Eltern Nadine und Heiko Breitinger aus Bad Neustadt (Lkr. Rhön-Grabfeld). Rund eineinhalb Jahre ist es her, dass diese Redaktion den kleinen Janik zum ersten Mal traf. Einen langen Kampf ins Leben hatte der damals Eineinhalbjährige schon hinter sich. Doch was die Zukunft bringen würde, war in vielerlei Hinsicht unsicher. Kurz vor dem dritten Geburtstag des Jungen sehen die Eltern nun klarer: „Die Geschichte hat sich zum Guten gewendet.“

Ein Glucksen, Stimmengewirr, ein Poltern. Eben noch war Janik mit seinem siebenjährigen „Buder“ – so nennt er Jonas – im Nebenzimmer zugange. Plötzlich ist es erstaunlich still, einige Momente zu lang. Bis Janik strahlend um die Ecke stolziert, Kinn und Backe schwarz bekritzelt. „Mama, Pirat“, das einnehmende Seeräubergrinsen bewahrt die Brüder nicht vor der Schelte. „Ihr habt doch nicht etwa den teuren Kajal dafür genommen?“

Ein Video über die ersten Lebensmonate

Lange hatten Nadine und Heiko Breitinger überlegt, ob sie Janiks Geschichte öffentlich machen. Letztlich entschieden sie sich dafür und veröffentlichten im Sommer 2015 auf YouTube ein Videoüber Janiks erste Lebensmonate. Über 125 000 Mal ist das mittlerweile geklickt. Auch diese Redaktion war darüber auf die Familie aufmerksam geworden.

Ursprünglich sollte das Video von Patenonkel Marco Schmitt nur ein Taufgeschenk sein, „damit die Eltern die Zeit verarbeiten können, aber vor allem auch als Erinnerung für Janik“. Dann aber wurde der Familie bewusst, Janiks Geschichte könnte anderen Menschen helfen. „Wir wollen Hoffnung geben, das Ende der Geschichte erzählen und zeigen: Es kann gut ausgehen“, sagt Mutter Nadine.

Familienkur für Frühchen

„Kann, das ist natürlich kein Muss.“ Im Frühjahr letzten Jahres waren die Breitingers drei Wochen auf einer speziell auf Frühchen ausgerichteten Familienkur im Allgäu. Dort lernten sie andere Schicksale kennen. „Da wurde uns erst richtig bewusst, wie glimpflich wir davon gekommen sind.“ Einerseits machte sie diese Erkenntnis froh, andererseits waren ihnen die Familien – „Respekt vor der Leistung dieser Eltern“ – sehr nah.

Janik habe das große Glück gehabt, keine Hirnblutung bekommen zu haben. „Er ist geistig total fit“, berichtet Mutter Nadine. Mittlerweile spricht der Dreijährige ganze Sätze, Farben ordnet er problemlos zu, Puzzeln ist seine Leidenschaft. Seit Juni besucht er den Kindergarten St. Konrad in der Gartenstadt, hat dort Freunde gefunden. Einer seiner Kumpel wird mit ihm Geburtstag feiern.

„Der Kopf ist manchmal weiter als der Körper“

„Aber der Kopf ist manchmal weiter als der Körper.“ Was die grobmotorische Entwicklung angeht, hinkt der im Vergleich zu Gleichaltrigen kleine und zierliche Janik etwas hinterher. Frei laufen kann er, doch Hüpfen und Balancieren fällt ihm schwer. Wenn Bruder Jonas die Treppe freihändig herunter stürmt, schiebt er sich rückwärts auf Knien die Stufen hinab – fast genauso schnell. Wegen einer Fußfehlstellung trug er zwischenzeitlich eine Orthese, durch die Beatmung wurde ein Auge beschädigt, eine Brille gleicht das aus.

Janiks starker Wille

Dass Janik feinmotorisch auf der Höhe ist, beweist er gleich mal anhand seines „Kinder Pinguis“. „Alleine!“, wehrt er sich, als Mutter Nadine ihm beim Öffnen des Schokoriegels helfen will, und friemelt so lange am Papierchen herum, bis er die Süßigkeit in Händen hält. Da ist er wieder, Janiks „extrem starker Wille“ – so formulieren es die Eltern. „Er hat ihm sein Leben gerettet, jetzt haben wir damit zu kämpfen“, schmunzeln sie.

„Der Alltag ist schon extrem schwierig“, blass und müde wirken die Breitingers. Nicht nur, dass das Hoffen und Bangen um Janiks Überleben, das monatelang währte, noch immer nachwirkt. Bis zum Sommer dieses Jahres war es beispielsweise an der Tagesordnung, dass Janik sich immer wieder übergab. Bei jeder Erkältung, wenn das Essen eine ihm unangenehme Substanz hatte, beim Autofahren. Die Breitingers waren gewohnt, ihm das Unwohlsein vom Gesicht abzulesen. „Das wirst du nicht mehr los“, sagt die Mutter.

Der Alltag fordert die Familie

Dazu kommen im Alltag die zahlreichen Termine, die sie noch immer mit Janik wahrnehmen, Frühförderung, Ostheopathie, Arzttermine. Nebenbei arbeitet die Mutter wieder drei Vormittage in einem Büro, der große Bruder braucht Unterstützung bei den Hausaufgaben und will zum Fußballtraining gebracht werden.

„Janik wird immer ein anderes Kind bleiben“, sagt der Vater. „Wenn er hinfällt, steht er wieder auf“, dachten sie beim großen Bruder. „Vorsichtig, langsam“, rufen sie bei Janik. Familie Breitinger weiß um ihr Glück, sie wissen aber auch um den „langen, langen Weg dorthin“ und „wieviel ihnen in den vergangenen drei Jahren geklaut worden ist“. Die Vorfreude in der Schwangerschaft, die schöne erste Babyzeit – nichts davon konnten sie erleben.

Die Anfangszeit noch nicht verarbeitet

Und die Angst, die sie um Janik ausgestanden haben, können sie bis heute nicht abschütteln. Kürzlich fing er plötzlich das Humpeln an. „Schlaganfall“, fürchtete die Mutter sofort, bis ihr der Kinderarzt erklärte, dass es sich um einen vergleichsweise banalen Hüftschnupfen handele, den sich auch „Nicht-Frühchen“ einfangen können.

Verarbeitet hat vor allem Nadine Breitinger die schlimme Anfangszeit noch nicht, das wurde ihr während der Kur klar. An Gesprächsgruppen konnte sie nicht teilnehmen „Die Geschichten gingen mir zu nah. Eine Sitzung habe ich komplett durchgeweint.“ Oft hat sie schon daran gedacht, das Erlebte mit Hilfe eines Psychologen aufzuarbeiten. „Aber die Wartezeiten sind so lang.“ Akute Hilfen bekomme man kaum, „da hab ich mich dann einfach immer wieder selbst berappelt.“

Familienprojekt Wohnwagen

Das Gardetanzen hilft ihr. Breitinger trainiert das Tanzmariechen der Bad Neustädter Stadtgarde. Ihr Mann hingegen entspannt eher beim Werkeln und im Baumarkt. Ein gemeinsames Projekt steht diesen Sommer an: Urlaub in Italien im eben erst erworbenen Wohnwagen. „Wir müssen einfach mal raus aus dem Alltag, weg von den Ängsten und Sorgen.“ Jonas freut sich schon, Janik lässt der Ausblick auf einen Wohnwagen-Urlaub derzeit noch kalt. Was ihn gerade interessiert sind die Spielzeugautos vor ihm und die Parkgarage.

Janik und sein Bruder: Ein Herz und eine Seele

Quatsch machen und den großen Bruder ärgern, das könne Janik besonders gut, verrät der vier Jahr ältere Jonas. Der monatelange Kampf um Janik wirbelte auch sein Leben von heute auf morgen durcheinander. Aggressiv oder eifersüchtig, wie von manchen Ärzten befürchtet, hat Jonas aber nie reagiert. „Sie waren von Anfang an ein Herz und eine Seele.“

Doch jede Liebe hat Grenzen. „Janik, nein!“ Als der Kleine das Autospiel des Älteren durcheinanderbringen möchte, ist Jonas Gutmütigkeit aufgebraucht. „Buder seins“, erkennt Janik denn auch mit schuldbewusster Unschuldsmiene und rückt das stibitzte Spielzeug wieder raus.

Das größte Geschenk der Familie

Tagsüber funktionieren die Breitingers. „Erst am Abend, wenn Stille einkehrt, kommt vieles wieder hoch“, sagt Vater Heiko. Vermutlich erst recht an Janiks Geburtstag. Wahrscheinlich, sagen die Eltern, werden sie sich dann gemeinsam besagtes Taufvideo noch einmal ansehen. „Dabei wird uns immer bewusst, dass das Leben keine Selbstverständlichkeit ist und was für ein riesiges Glück wir doch hatten. Dass wir diese Momente jetzt als Familie mit Janik erleben dürfen, das ist das größte Geschenk.“

Eine Handvoll Mensch: Janik, der als extremes Frühchen mit unter 500 Gramm zur Welt kam.
Foto: Breitinger | Eine Handvoll Mensch: Janik, der als extremes Frühchen mit unter 500 Gramm zur Welt kam.
Das kleine Wunder der Familie Breitinger: Als extremes Frühchen war Janik (links) am 12. März 2014 mit nur 475 Gramm zur Welt gekommen. Drei Jahre später lebt und lacht er quasi uneingeschränkt mit seinem großen Bruder Jonas.
Foto: Ines Renninger | Das kleine Wunder der Familie Breitinger: Als extremes Frühchen war Janik (links) am 12. März 2014 mit nur 475 Gramm zur Welt gekommen.
 
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