
Es ist still in Waltershausen im Hölderlinjahr. Dort, wo der Dichter einst als Hauslehrer arbeitete, findet in Corona-Zeiten keine Veranstaltung statt. Eigentlich wollte ein Vertreter der Hölderlin-Gesellschaft das Schloss besuchen, das seit 1968 Karin und Ulrich Moebius gehört, er hat jedoch aus gegebenem Anlass abgesagt. Hölderlin hätte in diesem Jahr seinen 250. Geburtstag gefeiert. Grund genug, die Stätten seines früheren Wirkens zu besuchen.
Eigentlich ist der junge Dichter versehentlich in Walterhausen gelandet, denn er verwechselte Waltershausen bei Gotha mit Waltershausen im Grabfeld, und landete so irrtümlich weit weg von Jena, in dessen Nähe er ziehen wollte. Dort war das Zentrum der Philosophie, dort wirkte Friedrich Schiller, mit dem Hölderlin in Kontakt kommen wollte. So trat der junge Magister Hölderlin seine erste Hauslehrerstelle an.
Empfang im Schloss war niederschmetternd
Hölderlin war Absolvent des Tübinger Stifts und hatte sich verpflichtet, eine Pfarrstelle anzutreten, dafür hatte er ein Stipendium erhalten. Durch seine Hauslehrerstelle war er von dieser Verpflichtung befreit. Hölderlin, der von Coburg aus per Extrapost nach Waltershausen fuhr, fand sich in einer Gegend wieder, die eine Tagesreise von Jena entfernt war. Der Empfang im Schloss war niederschmetternd, denn der zukünftige Hauslehrer, damals als Hofmeister bezeichnet, wurde nicht erwartet, weil Hausherrin Charlotte von Kalb versäumt hatte, ihrem Mann und dem Hauslehrer-Vorgänger Münch (von Charlotte von Kalb als "Nullität" bezeichnet) davon Mitteilung zu machen. So traf Hölderlin auf seinen ahnungslosen Vorgänger und den überraschten Major von Kalb – eine peinliche Situation.
Tapfer beschreibt der Berufsneuling in den Briefen an seine Mutter die Natur, den Park und das "angenehmste Zimmer" sowie das schöne Schloss und die Wälder. Ein Lichtblick waren die Wiener Köchin und das fränkische Bier, das er gern mit dem Pfarrer gemeinsam trank. Er sei etwas dicker geworden, berichtete er nach Hause. Erfüllt von den Gedanken Kants, dessen Buch "Über Anmut und Würde" er studiert hatte, wollte Hölderlin seinen Zögling Fritz "zum Menschen" machen und fand in seinen Briefen zunächst nette Attribute für den Zehnjährigen. Bald verlor er jedoch seine Begeisterung, denn er bemerkte, dass sich der Junge mehr mit seinem pubertierenden Körper befasste, als mit der Philosophie.
Briefe des neuen Hofmeisters
Nüchterner und realistischer wurden die Briefe des neuen Hofmeisters im Verlauf der Monate, immer dringlicher wurden seine Ambitionen, endlich sein "Jenaisches Projekt" anzugehen, für dessen Realisierung er die Hauslehrerstelle eigentlich angetreten hatte. Das hinderte ihn nicht, ein Auge auf die Gesellschafterin Wilhelmine Marianne Kirms zu werfen, eine junge Witwe, die Monate später ein uneheliches Kind in Meiningen zur Welt brachte. Das kleine Mädchen, dessen Vater nicht in den Papieren verzeichnet ist, starb sehr jung.
Schon 1794 war die Euphorie verblasst. Charlotte von Kalb, die in brieflicher Verbindung mit Schiller und Goethe stand, beendete das Angestelltenverhältnis und Hölderlin konnte nach Jena umziehen. Auch dort erlebte er Enttäuschungen und verließ die Stadt nach kurzer Zeit. Hölderlin ist nie wieder nach Waltershausen zurückgekehrt, er stand jedoch noch lange im Briefwechsel mit Charlotte von Kalb.

Im Schloss in Walterhausen befindet sich eine kleine Hölderlinausstellung und es ist bis heute das Hölderlinzimmer zu besichtigen. Dort kann man nachempfinden, wie der Dichter dort gelebt und gewirkt hat.
