Ein jeder ist irgendwie eine gespaltene Persönlichkeit. Doch dieser Kopf ist es ganz besonders. Mehr als mannshoch blickt der hölzerne Schädel über die Rhöner Hügel ins Streutal hinunter. Senkrecht gehen tiefe Schnitte durch den Kopf, der sich somit aus mehreren Scheiben bildet. Durch die Schnitte hindurch sieht man die Herbstfärbung des Laubes, durch sie dringt das Kreischen spielender Kinder im nahen Schullandheim.
Neue Skulptur
Noch steht der riesige Holzkopf an der Kapelle des Franziskusweges. Er soll aber einmal seinen Abschluss bilden, am letzten Wiesenstück mit dem herrlichen Ausblick ins Tal. Dann könnte er ein frappierendes Bild ergeben: Der Kopf als das Geistige, und die durch die Schnitte hindurch strahlende umgebende Natur der Schöpfung bilden eine neue, versöhnte Einheit. Das wäre ja auch der Kerngedanke dieses Franziskusweges nahe der Thüringer Hütte: in der Natur geistige und geistliche Impulse erfahren und die Symbolik in der Natur wiederzusehen, die hin zur Spiritualität führt.
Bildhauerschüler
Michael Stenzel aus Schönau (Lkr. Rhön-Grabfeld), Schüler der Bischofsheimer Holzbildhauerschule, hat den Kopf geschaffen. Er ist als Geschenk gedacht zum zehnjährigen Bestehen des Franziskusweges, der im Mai 2007 eröffnet wurde. Womöglich erzählt der geteilte, im Moment des Zerspringens festgehaltene Moment auch von Belastung, von Stress, von widerstreitenden inneren Erfahrungen. Auf jeden Fall bereichert er den Franziskusweg.
Zu jeder Jahreszeit zeigt er sich anders. Im Frühjahr und Sommer wächst alles rund um den Weg der Sonne entgegen, Gräser, Farne und Blumen, um die zahllose Insekten schwirren.
Jetzt, im Herbst, ist es stiller geworden. Kein Zirpen mehr. Stumm liegen die Schafe im Gras, die vor dem Aussichtsturm der Rother Kuppe dösen. Rot und gelb und grün leuchten die Buchenblätter in der Herbstsonne, die sich erst spät am Tag gegen den Nebel durchsetzen kann.
Spirituelles Symbol
Der kleine Quellbach neben der Verbindungsstraße vom Rhön-Park-Hotel zur Thüringer Hütte, den der Franziskusweg passiert, plätschert unablässig. Es ist der Oberelsbacher Graben, der sich etwas weiter oben schon zum Fotografen-Hotspot „Nixenteich“ ausgebreitet hat.
Die kleine Tafel mit einem Zitat aus dem Franziskanischen Sonnengesang adelt das Rhöner Bächlein zum spirituellen Symbol: „Gelobt seist Du, mein Herr, für das Wasser, sehr nützlich ist es, und demütig und kostbar und keusch“, heißt es im Sonnengesang. Der Franziskusweg bietet einen Kurzgedanken an: „Die Quelle spendet Wasser – unablässig – ein immerwährendes Angebot. Ich entscheide, ob ich es in mich aufnehmen will.“
Helle und dunkle Themen
Später führt der Weg in den Wald hinein. Es wird schattiger, dunkler, und damit auch die Themen. „Bruder Tod“ heißt eine der Stationen. Ein sich zum Sterben zusammenkauerndes Reh, ebenfalls eine Holzskulptur, zwingt zum Innehalten. Nebenan auf einer Stele eine Menschengruppe, die sich von einem anderen abwendet. Der Tod tritt schon ins Leben, wenn Menschen ausgegrenzt werden. Die Botschaft der Nächstenliebe ist auch eine gesellschaftliche.
Der Sonnengesang
Wind, Feuer, Gestirne, die Sonne: die Elemente des Sonnengesanges aus dem 13. Jahrhundert werden auf dem etwa zweistündigen Rundweg meditativ betrachtet. Was vor zehn Jahren begann als Idee von Monika und Günter Werner, der mittlerweile verstorben ist, hat schon Hunderte Freunde in der Region gefunden. Manche gehen immer wieder den Franziskusweg, gerade um ihn zu unterschiedlichen Jahreszeiten zu erleben. Dann verlagern sich Schwerpunkte. Aus der erwachenden Schöpfung wird die vergehende Natur.
Ein rühriger Freundeskreis kümmert sich um den Weg. Die Stationen müssen frei von Bewuchs gehalten werden, Prospektmaterial muss ausgelegt, die kleine Kapelle am Startpunkt unterhalb des Schullandheims instand gehalten werden.
Freundeskreis
Es gibt über das Jahr genug zu tun für die Helfer, die den Weg am Leben halten. Anfangs haben „Wegbegleiter“ die Wanderer bei Sonntagsführungen in das Konzept des Meditationsweges eingeführt. Mittlerweile gibt es Führer in Buchform und viele Franziskusweg-Freunde führen selbst ihre Bekannten. Die Sonntagsführungen werden deshalb erstmals 2018 ausgesetzt. Der Freundeskreis denkt im zehnten Jahr seines Bestehens darüber nach, ergänzend zu den Führungen digitale Führungen anzubieten, wobei vor Ort über das Internet erläuternde Texte zu jeder Station heruntergeladen werden können.
Die alte Botschaft von der Versöhnung des Menschen mit Gott und von der Sichtbarwertung Gottes in seiner Schöpfung gelangt dann auf die Smartphones der Wanderer.
Kurzgedanken
Die wunderbarste Station ist vielleicht der Schlussgesang: „Alles, was atmet, lobe den Herrn. Lobet und preiset den Herrn und dankt und dient ihm mit großer Demut.“ Der Kurzgedanke dazu: „Ich werfe meine Freude wie Vögel an den Himmel. Was aus mir kommt, was da um mich ist, ist Hochachtung, Lob und Dank.“
Eine Art hochkantiger Holzrahmen fasst eine eiserne Sonne und schwirrende Vögel als Silhouette. Der Blick geht wiederum durch das Kunstwerk hindurch zum dahinterliegenden herbstlichen Farbenspektakel. Bald wird ihm eine kahle, unwirtliche Landschaft weichen. So, wie es der Kreislauf der Jahreszeiten vorschreibt.
Versuchungen
Das letzte Stück des Franziskusweges folgt steil neben der Verbindungsstraße von Urspringen zur Thüringer Hütte. Wie es sich für einen spirituellen Weg gehört, darf ein Moment der Versuchung nicht fehlen. Sie ist nicht geistiger, wohl aber leiblicher Art. Es locken die berühmtesten Windbeutel der Region in der Thüringer Hütte. Der luftige Brandteig türmt sich, als wolle er sich mit der Rother Kuppe messen.
Der Brandteig hat einen gewiss verändert, jede Personenwaage wird es bezeugen. Was hat aber der Franziskusweg in einem bewirkt? Hunderte Antworten zu einer persönlichen Wahrheit dürfte es geben. So viele, wie Menschen den Weg gelaufen sind.
Franziskusweg
Der Franziskusweg an der Thüringer Hütte ist ein sogenannter Besinnungsweg. Auf 17 Stationen mit Kunstwerken der Holzbildhauerschule in Bischofsheim wird der berühmte, zehnstrophige Sonnengesang des Franz von Assisi vorgestellt und um spirituell-meditative Impulse ergänzt.
Der Rundweg hat eine Gesamtlänge von circa fünf Kilometern. Er verläuft auf Forst- und Wanderwegen und führt immer wieder an Kernzonen des Biosphärenreservats entlang, in denen keine Waldbewirtschaftung mehr stattfindet. Im Echter-Verlag Würzburg ist ein Buch „Atem-Wege“ von Monika und Günter Werner erschienen: ISBN (13) 978-3-429-02800-8, Preis: 12 Euro