Es gibt diese märchenhaften Geschichten mit überraschendem Happy End – wie jene des Turmfalken Frodo, der als Vogeljunges aus dem Nistkasten gestürzt trotz schwerer Verletzung überlebte. Aber es gibt auch die anderen, die im Unglück enden. Die 26-jährige Theresa Kneuer aus Roth bei Steinach (Lkr. Bad Kissingen) denkt da sofort an einen kleinen namenlosen Spatz. Beide Geschichten gehören für sie zusammen. Mehr als das: Eine wäre ohne die andere nicht möglich gewesen.
Ein einschneidendes Erlebnis
Acht Jahre war Theresa Kneuer alt, als sie jenem kleinen Spatz begegnete, der ihr Leben verändern sollte. Mit ihrem Vater Karl-Heinz Kolb, damals Biologe beim Biosphärenreservat Rhön, durchstreifte sie die Natur, als sie den Nestling fand. Das Mädchen wollte das verwaiste Jungtier unbedingt retten.
Doch ihr guter Wille reichte nicht: Das Rotlicht, mit dem sie den Spatz bestrahlte, trocknete ihn aus. Das Futter, das sie ihm gab, konnte er nicht verdauen. Das Tier verendete qualvoll. Für Kneuer damals eine kleine Katastrophe – und ein Initiationserlebnis. „Ab da wollte ich unbedingt lernen, wie's richtig geht.“ Kneuer wurde aktiv: Im Alter von 15 Jahren kannte sie alle Vögel, hospitierte bei Auffangstationen, korrespondierte mit Tierärzten.
Hilfe für Wildvögel aus Rhön-Grabfeld und Bad Kissingen
Aus der vereinzelten Hilfe für in Not geratene Vögel wurde eine große Sache: Seit fünf Jahren betreibt die heute 26-Jährige mit der Wildvogelhilfe Rhön-Saale ehrenamtlich eine private Auffangstation für Wildvögel vorwiegend aus den Landkreisen Rhön-Grabfeld und Bad Kissingen.
Circa 200 Tieren wird dort jährlich geholfen, darunter Greifvögel, Eulen, Kuckucke, Spechte, Meisen, Rabenartige, Mauersegler. Auch Eichhörnchen hat sie schon groß gezogen. Manche bleiben wenige Tage, andere Monate. Ziel ist es natürlich, die Tiere nach medizinischer Versorgung und fachgerechter Pflege wieder erfolgreich auszuwildern.
Theresa Kneuer kämpft mittlerweile nicht mehr alleine. Unterstützt wird sie von zwei engen Mitstreiterinnen aus Rhön-Grabfeld – Iris Freier aus Oberstreu, hautberuflich Filialleiterin beim Fressnapf in Bad Neustadt, und Ute Lohrey aus Kilianshof. Im Hintergrund arbeiten ihr Mann Lucas und ihr Vater.
Die ganz jungen Vögel müssen stündlich mit der Pinzette gefüttert werden
Der Aufwand, den die Gruppe für das Leben der Wildtiere betreibt, ist enorm. „Dafür musst du brennen“, erzählt Iris Freier, die jeden Morgen um sechs Uhr aufsteht, um zunächst das Futter und die Medikamente für ihre Schützlinge zu portionieren. Die ganz Jungen müssten mit einer Pinzette gefüttert, die richtig Schwachen mitunter zwangsernährt werden.
Dann gelte es, die Boxen zu reinigen und desinfizieren. Viele Tiere müssten den Tag über halbstündlich bis stündlich gefüttert werden – bis 22 Uhr abends. Die Filialleiterin von „Fressnapf“ nimmt die Tiere dafür mitunter sogar mit an ihren Arbeitsplatz, nutzt alle Pausen zur Fütterung, kommt früher, bleibt länger.
Nachmittags stünden – das übernimmt häufig Theresa Kneuer, die als Krankenschwester extra Nachtschicht arbeitet, um sich tagsüber um die Schützlinge zu kümmern – häufig Besuche bei den Tierärzten auf dem Programm. Dazu kämen jede Menge Beratungstelefonate und Schriftkram mit und für die Behörden.
Eine Vereinsgründung ist in Planung
Weil vor allem auch der finanzielle Aufwand das für Privatpersonen leistbare mittlerweile weit übersteigt, plant die Gruppe, in Kürze einen gemeinnützigen Verein zu gründen. Finanziert werden soll der dann, so hoffen die Ehrenamtlichen derzeit, mittels behördlicher Unterstützung als auch durch Spendengelder.
Vorbildlich verhalte sich in dem Zusammenhang schon die Untere Naturschutzbehörde Rhön-Grabfeld, die zumindest zehn bis fünfzehn Prozent der Kosten für Rhön-Grabfelder Tiere trage. „Mit den anderen Landkreisen sind wir noch in Verhandlung“, so Kneuer hoffnungsvoll.
Allein die Aufzucht eines einzelnen Mauerseglers koste 80 bis 120 Euro Futter, Ausrüstung wie Boxen oder Inkubator und Medikamente noch nicht eingerechnet. All diese Kosten tragen die Ehrenamtlichen. „In Bayern fehlt da einfach die staatliche Unterstützung“, blickt Kneuer neidisch auf andere Bundesländer wie Nordrhein-Westfalen, in denen es mehr Unterstützung gebe.
Große Unterstützung von Seiten der Tierärzte
Zumindest habe die Gruppe das Glück, dass die Tierärzte, vor allem Dr. Heiko Grappendorf in Bad Kissingen und Dr. Renate Diestel in Unsleben, die kranken oder verletzten Wildtiere kostenlos behandeln. „Und an manchen Nachmittagen komme ich mit vier Vögeln zum Röntgen“, schmunzelt Kneuer.
Die Vögel sind weit mehr als ein Hobby für die Kneuers. „Urlaub gibt's natürlich nicht“, berichtet Ehemann Lucas. Auch sonst wird der Familienalltag um die Vögelvorsorge herumgebaut. Doch er wusste, worauf er sich einlässt. „Vor vier Jahren hat er mir einen Vogel gebracht. So haben wir uns kennengelernt“, erzählt seine Frau.
Als vor fast zwei Jahren der gemeinsame Sohn geboren wurde, wollten die Kneuers eigentlich eine Vogel-Rettungspause einlegen. Sie schafften es nicht und versorgen seither neben zahllosen Piepmätzen eben auch noch ein Kleinkind.
Ihre Arbeit werde immer wichtiger, ist das Ehepaar überzeugt. Die wachsende Zahl an Tieren, die den Weg zu ihnen finden, erklärt sich für die Kneuers nicht nur durch die gute Mundpropaganda. „Eigentlich nimmt der Singvogelbestand europaweit ab“, erzählt Theresa Kneuer, „trotzdem kommen immer mehr kranke und verletzte Tiere zu uns“.
Gerade wenn das Ökosystem nicht mehr funktioniert, müsse man eingreifen
Verletzt würden die Tiere durch Scheibenanflug, Windenergieanlagen oder verwilderte Hauskatzen. Doch Kneuer glaubt auch, dass der Pestizid-Einsatz die Vögel krank macht. Und dass der Verlust der Lebensräume durch Zersiedelung und industrielle Landwirtschaft Auswirkungen habe. „Wird die Nahrung der Tiere knapp, wird das schwächste Junge aus dem Nest gestoßen, um die anderen durchzubringen.“
Die Nahrungsquellen und Brutplätze der Tiere würden immer mehr dezimiert. „Es ist unsere Aufgabe das, was wir durch unsere Eingriffe zerstören, auch wieder aufzufangen.“ Im Jahr 2015 hätten sie allein 18 Mauersegler retten und wieder auswildern können. Das entspreche zahlenmäßig der gesamten Kolonie des Klosters Wechterswinkel. „Aus dem Blickwinkel betreiben wir nicht mehr nur Tier-, sondern schon Naturschutz.“
Auch Turmfalke Frodo bekam dank der Wildvogelhilfe Rhön-Saale seine Chance. Als Nestling, noch komplett mit Flaum, war er am 8. Juni dieses Jahres in Bad Königshofen aus dem Nistkasten gefallen. Eine Anwohnerin hatte ihn in der Hecke gefunden und sich an Theresa Kneuer gewandt.
Entgegen aller Vorhersagen konnte Theresa Kneuer den kleinen Frodo retten
Dieser fiel schon bei der Übergabe auf einem Parkplatz der fehlende Greifreflex des Tieres auf. Beim Röntgen stellte der Tierarzt eine Unterschenkelfraktur fest. „Operieren konnte man nicht, weil die Knochen noch zu weich waren, die wären gesplittert.“ Eine Diagnose, die also eigentlich das Todesurteil für das Tierchen bedeutete.
Theresa Kneuer aber wollte nicht aufgeben. Sie kontaktiert die Greifvogelhilfe Michael Schanze, die wiederum eine auf Greifvögel spezialisierte Tierärztin kannten. Telefonisch berichtete man Kneuer von einer Möglichkeit der Schienung. Die Krankenschwester wagte sich daran, bastelte die beschriebene Vorrichtung und das Wunder geschah. Beim Kontrollröntgen zehn Tage später zeigte sich: Die Knochen waren stabil zusammengewachsen. Der Greifreflex kehrte zurück und Frodo begann seine Flugmuskulatur zu trainieren. Mittlerweile ist er längst in die Freiheit entlassen. „Ein unbeschreibliches Gefühl.“
Vogelrettung: Erste Hilfe für junge/verletzte Wildvögel
Sie haben einen verletzten Vogel oder Jungvogel gefunden und wissen nicht was tun? Die Verantwortlichen der Wildvogelstation Rhön-Saale haben Tipps:
• Befindet sich ein Nestling auf dem Boden, braucht er unverzüglich Hilfe. Nestlinge sind nicht oder nur teilweise befiederte Vögel, die auf den Beinen – der Laie würde wohl sagen „Unterschenkeln“ – aufliegen
• Ästlinge brauchen nur Unterstützung, wenn sie offensichtlich verletzt sind, Katzenkontakt hatten oder über vier bis fünf Stunden nicht von den Eltern versorgt wurden. Ästlinge sind voll befiederte Jungvögel, die sich schon außerhalb des Nestes hüpfend vorwärts bewegen.
• Braucht ein Vogel Hilfe, muss man das Tier zunächst sichern. Dafür darf man es im Zweifel auch anfassen: Denn Vögel haben kein besonders gutes Riechvermögen und stören sich nicht an menschlichem Geruch.
• Unterbringen sollte man einen Vogel in einem Karton mit Luftlöchern und einem Handtuchnest
• Wichtig ist es den Vogel zu wärmen! Geeignet sind eine Wärmflasche oder ein Kirschkernkissen, die unter dem Handtuchnest platziert werden. Heißer als 38 Grad sollte die Wärmequelle aber nicht sein. Bitte kein Rotlicht verwenden, das trocknet die Tiere aus.
• Kein Futter, kein Wasser! Das kann tödlich sein. Ist der Vogel gesichert, sollte man wegen der Alters- und Artbestimmung sofort eine Fachstelle kontaktieren. Dort erhält man Tipps, was artspezifisch gefüttert werden darf.
• Ansprechpartner im Notfall sind von der Wildvogelstation Rhön-Saale: Theresa Kneuer, Tel. (01 71) 51 59 064, oder Iris Freier, Tel. (01 76) 45 78 09 85. Die Facebook-Seite der Initiative mit vielen Bildern und Videos findet man unter www.facebook.com/WildvogelstationRhoenSaale/
man Ihr Engagement gar nicht genug loben und es macht richtig Freude mit welchem einfallsreichen Zeitmanagement Sie arbeiten und helfen.
Schön wäre natürlich, wenn wir alle anpacken würden und könnten, um auch den Millionen notleidenden Kindern auf der Welt ihr Schicksal etwas leichter zu machen.
Alles Gute weiterhin wünscht Ihnen R. Landes.