Kultur erleben ist im Moment mit vielen Vorschriften verbunden, trotzdem hatte die Künstlerin Christine Wehe-Bamberger in die offene Scheune des Atelierhauses "Altes Gut" eingeladen, dort konnten die Gäste unter Einhaltung der Corona-Vorschriften eine Filmvorführung mit anschließender Diskussion mit der Regisseurin Angelika Schlüter erleben.
Die unterschiedlichen Lebenswege der Menschen faszinieren die vielseitige Künstlerin aus Havixbeck bei Münster, sie hat mehrere Filme und ein Hörspiel verfasst, außerdem arbeitet sie in den Bereichen Installation und Skulptur. Nächstes Jahr will sie wieder eine besondere Persönlichkeit in einem Kurzfilm vorstellen, aber diesmal war "Senora Pawlowsky" an der Reihe, zur Zeit der Filmaufnahmen 90 Jahre alt. "Der Weg einer Frau zwischen den Kriegen und Ideologien des 20. Jahrhunderts", so wird der Film beschrieben. Senora Pawlowsky erzählt aus ihrem Leben und zieht ein Fazit. Das Schönste, das man sich wünschen kann, ist nicht ungern zu sterben. Ich habe mein Leben gelebt", sagte sie in einer der Anfangsszenen.
Der Vater war Nazi, die Mutter unterstützte jüdische Familien
Geboren 1926 in Barcelona als Kind einer Kieler Bankiersfamilie, verbrachte sie ihre Kindheit in Spanien. Ihr strenger Vater war Nationalsozialist, die Mutter unterstützte jüdische Flüchtlinge. Bei zwei spanischen Nachbarinnen lernte das Mädchen Lesen und Schreiben. Als 1939 der Krieg ausbrach, ging die Familie zurück nach Deutschland, der Bruder und sie selbst mussten nach dem Abitur zum Militär und zum Arbeitsdienst.
1943 war in Spanien der Bürgerkrieg zu Ende, das faschistische Franco-Regime hatte gesiegt. Senora Pawlowsky berichtet, dass sie 1944 die Erlaubnis erhielt, aus dem zerbombten Berlin nach Spanien zu reisen. Dort lernte sie die größte Liebe ihres Lebens kennen, den Russen Goga Pawlowsky, der keinen gültigen Pass hatte und sich als Weltbürger, als Kosmopolit, fühlte. Sie heirateten später in Oslo, da hatten sie bereits fünf Kinder, sechs werden es insgesamt. "Das muss man lernen: Aus dem Augenblick Glück zu schöpfen", sagte Senora Pawlowsky.
Witwe mit 36 Jahren und sieben Kindern
Schon mit 36 Jahren wurde sie Witwe und musste ihre Kinder allein durchbringen. Das gelang ihr mit Hilfe ihrer Übersetzungstätigkeit. Sie sprach insgesamt sechs Sprachen und war zunächst als Angestellte tätig, später übersetzte sie als Selbständige insgesamt 25 Bücher. Die Senora ist bereits verstorben, sie wurde 92 Jahre alt. Sie fühlte sich weder als Deutsche, noch als Spanierin oder Russin. "Ich bin ein Mensch und damit hat's sich", sagte sie in einer der Szenen.
Der Film darf als Kurzfilm nur 30 Minuten dauern, kein Wunder, dass viele Fragen offen bleiben, die der Zuschauer gern erfahren hätte. Wie war es beim Arbeitsdienst, wie lebte es sich in Franco-Spanien und wie war es als alleinerziehende Mutter von später sieben (es kam noch eins von einem anderen Vater dazu) Kindern? Themen, die heute genauso aktuell sind wie damals werden im Film angesprochen: Heimatgefühl, Nationalismus, Mitgefühl, Durchhaltevermögen, Toleranz und Lebensfreude.
Angelika Schlüter berichtet von der großen Familie, die sie am 90. Geburtstag treffen durfte, von riesigen Töpfen mit Essen und der Herzlichkeit der Anwesenden. "Filme sind Teamwork", sagt sie, ohne gute Mitarbeiter wie Kameramann oder Tontechniker werde nichts aus einem Projekt. Fragen der Zuschauer beantwortete Angelika Schlüter, die Christine Wehe-Bamberger von gemeinsamen Aktivitäten kennt. Die Künstlerin ist, wie viele ihrer Kollegen, durch die Corona-Krise stark beeinträchtigt. Allein im Mai kamen acht Absagen. Sie hat sich vorgenommen, im nächsten Jahr erneut nach Herbstadt zu kommen, um den nächsten Film vorzustellen.