Wer nach diesen 80 Minuten das Theater als Kind (jung oder alt, aber möglichst nicht unter sechs Jahren) verlässt, der wird zwei neue Ticks an sich entdecken: Er oder sie wird bei sternenklarer Nacht zum Himmel gucken und ohne Mühe das Land finden, in dem die Feen wohnen. Und wird – für Passanten ziemlich befremdlich – inbrünstig immer wieder "Scho-ko-ku-chen!" rufen. - Wie es dazu kommt?
Das und noch vieles mehr erfährt, wer das schönste Weihnachtsmärchen besucht, das im Meininger Theater seit langem zu sehen ist. Wenn nicht sogar das allerschönste. Eine durch und durch gewitzte Fassung des bekanntesten französischen Märchens "Die Schöne und das Biest" schufen die britischen Autorinnen Lucy Kirkwood und Katie Mitchell. Gabriela Gillert hat die Geschichte im Großen Haus inszeniert, Helge Ullmann die Bühnenbilder fantastisch und farbenfroh in den Raum gesetzt. Die Figuren scheinen directement einem zauberhaften Barocktheater entsprungen.
Aufgeplustert als perücketragende Damen der Gesellschaft moderieren zwei Paradiesvögel nicht nur die Handlung, sondern legen zur rechten Zeit auch einen großen Hebel um und erzeugen damit erstaunliche Verwandlungen der Szenen. In schönster barocker Theatermanier erheitern Mister Pink und seine französische, stets gesangsbereite Assistentin Mademoiselle Cecile das verehrte Publikum – Paraderollen für Vivian Frey und Gunnar Blume. Die beiden mimen Feen aus dem Sternenland, die die Vorstellung in Gang halten, aber im Lauf der Handlung nahezu aus der Façon geraten.
Aber erst einmal geht es ihnen darum, uns auf charmante, ironische und pfiffige Weise in die Geschichte hineinzuziehen. Das gelingt ihnen vorzüglich, auch mit Hilfe der wunderbaren Theatermaschinerie. So überraschend, dass nicht nur die Kinder mit offenen Mündern staunen. Plötzlich steht man im Saal eines geheimnisvollen Schlosses mitten im Wald, in dem der von einer bösen Fee in ein schreckliches Monster verwandelte Prinz Phillip haust.
Das Märchen ist bekannt und unzählige Male interpretiert: Die arme junge Belle findet dank Liebe und Magie zu sich selbst. Und zum Prinzen, dessen wahres Wesen sie bereits erspürt, bevor ihn ihr Kuss aus seinem Monsterkörper befreit. Romantisch. Märchenhaft. Voller Stereotype und Edelkitsch. Aber immer wieder Balsam für Herz und Seele.
Aber das Märchen wäre nur ein Märchen unter vielen, wenn es nicht eine Belle gäbe, die Jung und Alt gleichermaßen verzückt. An deren Seite man am liebsten selbst durch den Wald abenteuern wollte, um die junge Frau vor Missgeschicken zu bewahren, die das Happy End gefährden könnten. Wie ein frischer Wirbelwind tanzt die Meininger Debütantin des Jungen Theaters, Alonja Weigert, durch die Geschichte.
Ihre Belle ist nicht nur hübsch, sie ist neugierig, gewitzt, sie ist hilfsbereit, freundlich, mutig und voller Optimismus. Tugenden, die auf der Bühne so selbstverständlich gelebt werden, dass die Kinder dem Geschehen bis zum Ende gespannt folgen und dabei ihrem Gerechtigkeitssinn lautstark Geltung verschaffen. Das gibt Hoffnung.
Der zweite Debütant des Jungen Theaters, Max Rehberg, kann in seiner Rolle als Monster zwar nicht aus der Haut fahren. Dazu ist er einfach zu professionell verzaubert und balanciert dazu noch auf behuften Schuhen. Aber der edlen Prinzenseele kann er durchaus Geltung verschaffen. Genauso, wie sich die beiden anderen Schauspieler tadellos in ihre Rollen einfügen: Jürgen Lingmann (für den erkrankten Michael Jeske) als verarmter, treusorgender Vater und Pauline Gloger als Belles boshafte Schwester Gundula.
Ein zauberhaftes Weihnachtsmärchen, das Jung und Alt tatsächlich animiert das Feenland im Sternbild Cassiopeia zu suchen und dabei "Scho-ko-ku-chen!" zu rufen. Warum, wird nicht verraten. Auf ins Theater!
Vorstellungen bis 25. Januar. Kartentelefon 03693-451 222. www.staatstheater-meiningen.de