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BAD NEUSTADT
Eurofighter jagten Passagiermaschine
Szene aus dem Youtube-Video, dass die beiden Eurofighter neben der indischen Boeing zeigt.
Foto: Screenshot Youtube/Kamera: Ahmad Fly | Szene aus dem Youtube-Video, dass die beiden Eurofighter neben der indischen Boeing zeigt.
Thomas Pfeuffer
 und  Achim Muth
 |  aktualisiert: 27.04.2023 03:21 Uhr

Zwei Mal hat es brutal laut geknallt, Fenster vibrierten, Kinder weinten – viele Bewohner im Landkreis Rhön-Grabfeld und im Raum Münnerstadt haben sich am späten Nachmittag des vergangenen Donnerstags heftig erschrocken gefragt: Was war das? Bald stellte sich heraus, dass die Verursacher des lautstarken Vorfalls zwei Düsenjets der Bundeswehr waren.

Allerdings handelte es sich bei dem Überschallflug zweier Eurofighter nicht um eine Übung, wie zunächst vielfach vermutet wurde. Vielmehr sind die Bewohner um Bad Neustadt und Münnerstadt Zeugen eines nicht alltäglichen Manövers geworden, an dem zwei Abfangjäger vom Fliegerhorst Neuburg (Donau) beteiligt waren. Das hier stationierte Taktische Luftwaffengeschwader 74 stellt die Alarmrotte für den süddeutschen Luftraum.

Offenbar waren die Eurofighter auf Höhe von Bad Neustadt in Richtung der Flugbahn eines Verkehrsflugzeugs unterwegs, als sie die Schallmauer durchbrachen. Die Boeing vom Typ 777-300 der indischen Fluggesellschaft Jet Airways hatte auf ihrem Flug von Mumbai (Indien) nach London-Heathrow im tschechischen Luftraum den Kontakt zur Flugsicherung verloren. Das berichtete „The Aviation Herald“.

Diese englischsprachige Website, publiziert sicherheitsrelevante Vorfälle und Nachrichten aus dem Bereich der kommerziellen Luftfahrt. Demnach konnte kein Funkkontakt mit dem indischen Flugzeug hergestellt werden. Dies bestätigte dieser Redaktion Oberstleutnant Gero Finke vom Taktischen Luftwaffengeschwader 71 im ostfriesischen Wittmund, neben Neuburg der zweiten Einheit in Deutschland, die für einen sogenannten „Quick Reaction Alert (QRA)“ zur Luftverteidigung im Nato-Raum verantwortlich ist. „Der Pilot des Passierflugzeuges konnte auch nicht über die Notfrequenz erreicht werden, die eigentlich immer an sein müsste“, sagt Finke. „Da heutzutage mit allem gerechnet werden muss, wurde ein Einsatz der Alarmrotte befohlen.“

Am Radar sei die Boeing jederzeit klar identifizierbar gewesen, so Gero Finke. Normalerweise würde es der Kontrollstation nach mehrmaligen Versuchen gelingen, Funkkontakt herzustellen. In diesem Fall habe das nicht funktioniert. Die beiden Eurofighterpiloten jagten der Passiermaschine hinterher und flogen sie, wie in solchen Einsätzen vorgesehen, von der linken Seite an, „da auch der Pilot der Boeing auf der linken Seite sitzt“.

Durch Flügelwackeln habe der Jet angezeigt, dass etwas nicht in Ordnung sei, „daraufhin haben die Piloten der Boeing den Funkkontakt wieder eingeschaltet und die Kommunikation wieder hergestellt“.

 

Kleine Airlines halten sich nicht an Standards

Damit sei der Einsatz für die beiden Eurofighter beendet gewesen, sagt Gero Finke, der bei der Lufthansa als Gastdozent über die Flugabwehr spricht. „Deutsche Gesellschaften sind aber nicht das Problem“, sagt der Expert, meist seien es Piloten kleinerer internationaler Airlines, die sich nicht an die Standards halten würden. Im vergangenen Jahr, so schätzt Finke, seien die beiden Taktischen Luftwaffengeschwader 71 und 74 etwa zwischen 60 bis 80 Mal alarmiert worden. „Zum Abheben kam es etwa zwölf Mal.“ Meist werde das Problem vorher gelöst, so der Oberstleutnant, weil es der Bodenkontrolle oft doch noch gelänge, einen Funkkontakt herzustellen.

Sind Eurofighter zu einem Einsatz in der Luft, lautet zunächst der Befehl, Kontakt mit der betreffenden Maschine aufzunehmen. Bei einer Entführung könnte in letzter Konsequenz auch der Abschuss stehen, ein Szenario also, über das Deutschland im vergangenen Jahr nach der Aufführung des Theaterstücks „Terror“ von Ferdinand von Schirach über einen fiktiven Fall so intensiv diskutiert hat. Das Besondere an diesem Einsatz ist zudem, dass er auf einem Video dokumentiert ist: Offenbar wurde der kurze Film von einer anderen Passagiermaschine aus aufgenommen und später auf der Internetplattform Youtube hochgeladen. Darauf ist zu sehen , wie die beiden Eurofighter links neben der Boeing fliegen. „Das war auch für uns interessant zu sehen“, sagt Gero Finke, der vermutet, dass das Video in der Nähe von Köln gedreht worden sein muss.

Zahlendreher als Ursache

Flugbahn der Boing und (im Kreis) die Orte in der Rhön, in denen am Donnerstagnachmittag der intensive Knall wahrgenommen wurde.
| Flugbahn der Boing und (im Kreis) die Orte in der Rhön, in denen am Donnerstagnachmittag der intensive Knall wahrgenommen wurde.

Auf Höhe der deutsch-niederländischen Grenze sei der Einsatz dann schließlich beendet worden und die beiden Eurofighter nach Neuburg zurückgekehrt. Ursache für den Kontaktabbruch war nach Darstellung von „Aviation Herald“ mutmaßlich ein Zahlendreher bei der Eingabe einer Funkfrequenz (132.980MHz statt 132.890MHz). Trotz des Zwischenfalls setzte die indische Boeing ihren Flug mit 330 Passagieren und 15 Besatzungsmitgliedern ohne weitere Vorkommnisse nach Heathrow fort.

Die verantwortliche Fluggesellschaft, so Finke, müsse nun mit einem Verfahren rechnen. Da es kein technisches Problem gewesen sei, könnte es zu einer Bestrafung der Piloten kommen, aber auch Regressforderungen würden geprüft werden.

 

Taktische Luftwaffengeschwader

Bei der deutschen Luftwaffe gibt es laut Oberstleutnant Gero Finke vier Geschwader mit Eurofightern. Zwei davon, die Taktischen Luftwaffengeschwader 74 (Neuburg/Donau) und 71 (Wittmund/Ostfriesland) sind zur Sicherheit im deutschen Luftraum eingesetzt und übernehmen auch Aufgaben im Nato-Gebiet. In jedem der beiden Geschwader stehen vier Maschinen für sogenannte „Quick Reaction Alert (QRA)“-Einsätze zur Verfügung, zwei sind ständig einsatzbereit.

Bei einer Alarmierung müssen die Piloten innerhalb von 15 Minuten in der Luft sein, „wir schaffen das in der regel in zehn Minuten“, so Oberstleutnant Finke aus Wittmund.

QRA-Einsätze laufen nach einem Drillverfahren ab „und werden zwei- bis dreimal täglich geübt – auch in der Luft“. Schließlich müssen die Piloten rund um die Uhr auf einen Einsatz eingestellt sein. Ein Geschwader umfasst rund 45 bis 50 Piloten. Die Eurofighter können mit der doppelten Schallgeschwindigkeit fliegen.

 
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  • uwe.luz@t-online.de
    ... an die Soldaten der Luftwaffe für Ihre Bereitschaft, für unsere Freiheit und Sicherheit einzutreten. Angesichts des islamischen Terrors muss man in diesen Tagen ja auf alles gefasst sein. Schön zu wissen, dass es Euch gibt.
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  • kaih@bonn-online.com
    Kann sich noch jemand erinnern, als zu Kalte-Kriegs-Zeiten nahzu täglich unsere Verbündeten und unsere eigenen Jagdflieger/Aufklärer/Jagdbomber/Erdkämpfer etc. das Maintal im Tiefflug rauf- und runterbretterten? "The Sound of Freedom" nannte man das damals, aber die kleinen Kinder standen damals mehr als einmal am Tag schreieend senkrecht im Bett.
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  • ra.kellermann@gmx.de
    was da so über uns rumgondelt...
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