Büroluft schnuppern bei Ernst Oestreicher, das heißt: einer dauerhaften Schwingung der schönen Art ausgesetzt zu sein. Im Nebenraum wird eine Klaviatur gefordert. Vermutlich etwas Spätromantisches, Ausladendes. Höchste Gefühle, größte Leidenschaft, satter Klang. Pianistische Schwerstarbeit. Ernst Oestreicher lächelt: „Was glauben Sie, wie es sich hier anhörte, als einen Stock tiefer noch die Schlagzeuger probten!“.
Eigenes Haus für die Schlagzeug-Schüler
Die Schlagzeuger, die in der Berufsfachschule für Musik in Bad Königshofen (Lkr. Rhön-Grabfeld) Drums, Marimba oder Xylophon beherrschen lernen, haben seit dem Herbst ein eigenes Gebäude auf dem Schulareal. Ein schönes, ein nötiges Geschenk der Träger Landkreis, Stadt und Bezirk. Genau das Richtige zum 35. Geburtstag in diesem Jahr.
Seit 1989 ist Ernst Oestreicher ihr Chef. Wer sich mit ernsthafter Blasmusik in Unterfranken beschäftigt, kommt an seinem Namen, vor allem aber an seinem Wirken nicht vorbei. Eigentlich sein ganzes Leben ist der Musik gewidmet. Wie sollte es anders sein, wenn man in Eßleben bei Werneck aufwächst im Kreis einer musikalischen Familie. „Mein Vater war sehr musikverhaftet. Er hat Musik studiert, musste aber kriegsbedingt die elterliche Landwirtschaft übernehmen“, erzählt Honorarprofessor Oestreicher aus seiner Kindheit.
Wie sein Vater Walter so lernte auch Ernst Oestreicher zuerst das Trompetenspiel, nahm aber auch Klavierunterricht. Schon als junger Lehramtsstudent bewies er sein Talent, Klangkörper zu bilden und zu formen. Er gründete anfangs die Trachtenkapelle Burggrumbach und landete sogleich einen lokalpolitischen Coup: „Es war der erste Verein, in dem Vertreter aller Ortsteile vereint musizierten“, schmunzelt Oestreicher im Rückblick auf die Jahre der Gebietsreform.
Anfänge in Unterpleichfeld
„Ich habe 1976 das Jugendblasorchester Unterpleichfeld gegründet. Wir waren sofort 50 Leute zu Beginn“, so Oestreicher. Schnell kam noch die Leitung des Eßlebener Kirchenchores hinzu. Natürlich wurde auch bei Tanzveranstaltung oder anderen geselligen Anlässen musiziert. Aber von Anbeginn war es Oestreicher darum, der anspruchsvollen Blasmusik bis hin zur symphonischen Ausprägung Gehör zu verschaffen. 1995 zum Beispiel: Das Symphonische Blasorchester Unterpleichfeld wurde gegründet. Gleich ein Jahr später wurden die Unterpleichfelder Deutscher Vizemeister beim 4. Deutschen Orchesterwettbewerb in Gera. Mit dem Jugendblasorchester des Nordbayerischen Musikbundes, einem weiteren Kind Ernst Oestreichers, wurde 1997 im italienischen Riva del Garda der Sieg in der Kategorie „excellenza“ errungen.
Für Oestreicher war klar, dass er in die Musikpädagogik gehen würde, er studierte Lehramt Musik für das Gymnasium. Nach einem Referendariat in Würzburg wurde er 1982 Studienrat am Bad Königshöfer Gymnasium. Im Wendejahr 1989 bot sich auch für Oestreicher eine einmalige Chance: Er übernahm die Leitung der noch jungen Berufsfachschule für Musik. „Damit habe ich eigentlich schon mein Lebensziel erreicht. Dort tätig sein, wo man die Ensembleleitung in Laien-Ensembles verbessern kann“, sagt Oestreicher.
Karrieren von Bad Königshofen aus
Seit bald 30 Jahren führt Oestreicher nun die Berufsfachschule in der Badestadt im Grabfeld. „So 1000 Musiker dürften es bisher gewesen sein, die hier unter meiner Leitung ihre Ausbildung absolvierten“, zählt der Schulleiter auf. Auch einige Karrieren sind darunter, so zum Beispiel Johannes Mauer, jetzt Solotrompeter beim Philharmonischen Orchester in Würzburg, oder Maximilian Schnaus, Komponist und Organist an der Sophienkirche in Berlin.
Eigentlich ist er sehr zufrieden, was die Arbeit der Blasorchester in Unterfranken betrifft. Natürlich gebe es Nachwuchsprobleme bei Vereinen, aber es gebe auch die sehr erfolgreiche musikalische Früherziehung in den Kapellen zwischen Main, Rhön, Spessart und dem Haßgau. Hinzu kommen Projekte der schulischen Musikerziehung, Musikvereine und Schulen sind dort quasi als Tandem in der Musikausbildung unterwegs. Nicht einfacher wurde die Nachwuchsförderung durch das G 8. Dessen strenger Zeitplan ließ mitunter kaum mehr Zeit für das Hobby Musik, sagt Oestreicher.
Problem demografischer Wandel
„Aber auch uns macht der demografische Wandel zu schaffen. Irgendwann geht der gut geförderte Nachwuchs weg, weil die beruflichen Perspektiven nicht in der Heimat liegen, sondern in München und anderswo“, bedauert Oestreicher. Die Leidenschaft für die Musikpädagogik lässt deshalb nicht nach. 2005 – 2004 hat er die Leitung des Pleichfelder Orchesters abgegeben – hat er das Symphonische Blasorchester in Volkach ins Leben gerufen. Einmal die Woche geht es vom Grabfeld an den Main, um Blasmusik auf höchstem Niveau einzustudieren. Es ist durchaus auch dem energischen Eintreten Oestreichers für die Sache der Blasmusik zu verdanken, dass diese Spielart der Musik mittlerweile universitäre Weihen erlangt hat.
Seit 2012 hat der Wahl-Grabfelder einen Lehrauftrag an der Hochschule für Musik in Würzburg für „Blasorchesterleitung“.
Davon profitieren mehrere Seiten. Einerseits steigt das Niveau der (symphonischen) Blasorchester. Andererseits ergibt sich für Musikstudenten die Möglichkeit, später über diese zusätzliche Qualifikation den Lebensunterhalt besser zu bestreiten. „In meinem Kurs ist derzeit auch ein südkoreanischer Student. So wie in Amerika hat symphonische Blasmusik einen hohen Stellenwert in vielen asiatischen Ländern.
Globale Auswirkungen der Lehrtätigkeit
Der junge Mann will dort einmal ein Blasorchester leiten“, erzählt Oestreicher. Insoweit hat seine Tätigkeit schon globale Auswirkungen auf musikalischem Gebiet. In diesem Jahr wurde Oestreicher für sein Wirken an der Hochschule der Titel eines Honorarprofessors verliehen. Und dazu kam auch noch die Auszeichnung mit dem Bundesverdienstkreuz im Herbst. Verliehen wird es demnächst in der Würzburger Residenz.
Für die musikalische Umrahmung könnte dort eigentlich die Junge Philharmonie Rhön-Grabfeld sorgen, noch ein Kind des Musikers. Ob Carmina Burana oder Barock: Die Sommerkonzerte auf der Salzburg bei Bad Neustadt sind ein kulturelles Highlight der Region. So um die 30 Konzerte im Jahr stehen auf dem Programm von Ernst Oestreicher, der mit 62 auch langsam schon an die Rente denken darf.
Privat hat der Garten Vorzug
Soviel Musik tagein, tagaus: Lauscht man da nach Feierabend überhaupt noch dem Wohlklang der Musik? „Ehrlich gesagt, höre ich kaum privat Musik, nachdem sie mich beruflich den ganzen Tag umgibt. Die wenige Freizeit verbringe ich lieber im Garten oder beim Wandern mit meiner Frau“, verrät Oestreicher. Auf der Suche nach musikalischen Vorbildern ist er längst nicht mehr. „Je älter man wird, desto authentischer wird man auch als Dirigent. Die Trompete, Instrument der Kindheit und Jugend, spielt er übrigens schon lange nicht mehr.
Welche Träume kann man noch haben nach all den dokumentierten Erfolgen?: „Wenn es nicht nur Kurse für Blasorchesterleitung gäbe an der Universität, sondern auch für Chöre und Instrumentalensembles, dann könnte das musikalische Niveau in Chören und Instrumentalgruppen noch gesteigert werden.
Erst einmal ist Ernst Oestreicher aber ganz in der Gegenwart verhaftet. Der Neubau der Berufsfachschule steht im nächsten Jahr an. Das mag viel Baulärm geben. Für einen, der die musikalische Bildung zum Lebensthema hat, klingt er dennoch wie Musik in den Ohren.
Ernst Oestreicher
Der Musikwissenschaftler und Musiklehrer ist seit März 1989 Leiter der Berufsfachschule für Musik Bad Königshofen. Der Laienmusik ist Ernst Oestreicher seit 1976 als Ausbilder und Dirigent eng verbunden. Er gründete das Jugendblasorchester Unterpleichfeld, später Symphonisches Blasorchester. 1988 war er Gründer und Dirigent des Nordbayerischen Jugendblasorchesters, ein Auswahlorchester des Nordbayerischen Musikbundes (NBMB). 1988 wurde er zum Bundesdirigenten des NBMB gewählt.
Im Bayerischen Musikbund baute er von 1986 bis 1990 ein Fort- und Weiterbildungssystem für das bläserische Laienmusizieren und -dirigieren auf. Seit 1987 ist Oestreicher am Aufbau des Deutschen Orchesterwettbewerbs maßgeblich beteiligt. Seit 1994 ist Oestreicher Mitglied des Kuratoriums der Bayerischen Musikakademie in Hammelburg, seit 2002 Vorsitzender des Kuratoriums. Und seit 2003 hat er außerdem einen Sitz im Vorstand der Bundesakademie für musikalische Jugendbildung in Trossingen.