Zu einem Ende gehört ein Anfang. Er beginnt mit einem Scheppern, als Albert die Schiebetür zukrachen lässt. Alle Mann sind an Bord: Daniel „Ronni“ Rossmann aus Hohenroth, der die Gitarrensaiten streicheln, zupfen, ziepen wird in Bastheim; der stämmige Christian „Zinnus“ Zinn, Metzgermeister im Hauptberuf, im wahren Leben aber Malträtierer der Schlagzeug-Bespannungen; vorne hat Nicole Dippold Platz genommen, die durchs Fenster dem Töchterlein noch einmal zuwinkt, das heute der Papa hüten wird.
Der Abend ist lau, Nicole hat ihre Füße auf dem Armaturenbrett ausgestreckt. Aus dem Autoradio scheppern die Eagles, während die Sonne einen milden Glanz über den Besengau legt. Albert rechnet: „So 30 Auftritte im Jahr, das mal acht Jahre – so 250-mal werde ich die Jungs gefahren haben“, sagt Albert. Er ist seit acht Jahren der Fahrer von Rhöner Bluat. Zu seinem Glück ist er gekommen, weil Sängerin Nicole bei ihm in Burglauer in Miete gewohnt hat.
Noch einer kam dazu, weil er ein Burgläurer Nachbar war: Johannes „Henning“ Then, praktisch seit Anbeginn der Bandmanager von Rhöner Bluat. Das Rhöner Bluat zum Pochen brachten freilich Christian Zinn und Frank Schmitt. Bei Rock-Projekten hatten sie sich kennengelernt, aber richtig warm wurden sie mit dem Stil dort nicht. Frank sollte Keyboard spielen. „Keyboard kann ich nicht, aber Akkordeon“, hatte Frank gesagt. „Rhüa-Rammler“ und „SOR – Sons of Rhüa“ waren die Vorläuferprojekte. Aber erst Rhöner Bluat sorgte für den Durchbruch. „Das Logo mit dem Kreuzberg und der Silberdistel war fertig und sollte in den Druck. 'Rhöner Bluat' war eine spontane Eingebung“, sagt Zinnus.
Die Maisfelder schimmern golden im Abendlicht, Albert lenkt das Band-Auto an den Hintereingang des Bastheimer Festzelts. Ein, zwei Einsame nippen schon von ihrem Bierkrug. Die pralle Songliste klebt auf dem Mischpult. Frank Schmitt schleppt seinen Koffer mit dem Akkordeon auf die Bühne, das gute Stück ist in Stoff gewickelt. Zinnus schraubt sein Schlagzeug zusammen, während Nicole und Bassist Uto Paul Schmitt etwas schäkern. Daniel Rossmann schaut, ob all seine Gitarren am rechten Fleck sind, auch die kleine Mandoline ist angeschlossen. Dass er am 11.11.2011 heiratet, wird kein Geheimnis bleiben.
Nach einer Stunde sind die Aufbauarbeiten beendet. Und Zinnus, der Hüne, ist an guter Laune nicht zu überbieten, auch wenn sich in seine Seele Trauer schleicht: „Ich bin schon sehr wehmütig. Man denkt nach, was man eigentlich noch alles könnte, was man musikalisch besser machen wollte. Auf der anderen Seite haben wir alles erreicht, was wir wollten, und wir haben uns nie verbogen“, sagt der Metzgermeister.
Nicole Dippold macht einige Stimmübungen, während sich Keyboarder Markus Barthel und Uto Paul Schmitt über E-Bässe unterhalten. Frank Brixel stößt ins Trompeten-Mundstück, Thomas Rockenzahn, der Wegfurter, spielt derweil seine Klarinette ein. „So richtig realisiert man das Ende noch nicht“, sagt Nicole. Vor vier Jahren hat sie in Bastheim ihr letztes Konzert vor ihrer Schwangerschaft gegeben.
Frank Schmitt, der mit seinem Akkordeon kurz probt und den Sound checkt, scheint am wenigstens Abschiedsschmerz zu spüren. „Die Stimmung ist durchweg positiv. Jetzt kommen Leute, die uns unbedingt nochmal hören wollen, die es nochmal wissen wollen, das ist gut“, sagt Schmitt, der auch deswegen kürzer treten will, weil zuhause der Nachwuchs und ein Neubau warten. Aufbauarbeit also wie damals mit Rhöner Bluat.
„Wir haben Rhöner Bluat eigentlich aus dem Nichts herausgestampft und als Hobby-Kapelle die heimischen Bierzelte ausnahmslos zurückerobert“, sagt Schmitt mit gewissem Stolz. Und fügt an: „Mir reicht es, dorthin geschmeckt zu haben, wo die Berufsmusiker und Veranstalter ihr Unwesen treiben und dann entspannt zu sagen 'Nein danke'.“
Die Vorbereitung ist gelaufen, ein halbes Dutzend Weizengläser darf klirren. Dann geht es zur Stärkung. Die übliche Strichliste mit Bratwürsten, Steaks und Pommes. „Das ist seit Jahren das Essen am Samstagabend“, sagt Ronni. Immerhin scheint durch das Band-Ende ein Lichtblick auf kulinarisch bessere Zeiten zu kommen. Vor dem Bastheimer Festzelt steht wacklig der rote Toilettenwagen der Feuerwehr Oberelsbach. „Das Teil begleitet uns bis zum bitteren Ende“, lacht Zinnus.
Um 21 Uhr, das Zelt ist noch nicht gefüllt, dröhnt die tiefe Erzählerstimme durch den Raum. Ein paar Schläge auf dem Schlagzeug, Dampfende Schwaden aus der Nebelmaschine, gleißendes Scheinwerferlicht: Die große Show von Rhöner Bluat beginnt. Und alles, alles ist an diesem lauen Bastheimer Spätsommerabend dabei, dröhnend, schnell, kraftvoll, verrückt: Der Schnitzer aus der Rhön, Whiskey in the Jar, ein Efocher Zwiefocher. Mit dem Bierschaum schwappt die Neue Deutsche Welle um die Wette. Zwischen Quetschkommode und Gitarrenriffs stößt Wildkatze Nicole hervor und bringt Menschen in Wallung, deren Kinder sie womöglich an der Grundschule unterrichtet.
Gegen 23 Uhr tobt das dunstige Festzelt, ein blauweiß-rot-weißes Trachten-Sammelsurium, ausgelassen, grölend. Immerhin hat es dieser Sound schon bis nach Düsseldorf geschafft. Heute sitzen im Publikum ein paar Oberbayern, die auch schon Rhöner Bluat geleckt haben. „Das letzte Lied, das wir in Stangenroth spielen werden? Ich weiß es noch nicht“, sagt Gitarrist Daniel Rossmann. Für das Abschiedskonzert am 24. Oktober wird ein eigenes Programm erarbeitet. Wichtig ist nur, dass dort nicht der Strom ausfällt wie damals in Herschfeld, erinnert sich Rossi.
In die Band-Umkleide werden die Kaffeekannen gereicht, tja und natürlich auch die Weizengläser. Die Musiker bersten fast vor Euphorie. „Die Musik hat Schub ohne Ende“, erklärt Zinnus, warum er genau diese Musik spielt. So geht das zu bis zu den letzten Akkorden weit in der Nacht. „Heast es Niet“ steht als letzte Zugabe auf der Titel-Liste.
Die Fans sind darauf vorbereitet, dass man Rhöner Bluat bald nicht mehr hören wird.
ONLINE-TIPP
Eine Audio-Slideshow zum Konzert unter: rhoengrabfeld.mainpost.de
www.rhoenerbluat.de