Alles ist da, was die neueste Schauspielinszenierung von Frank Behnke am Meininger Staatstheater zu einem spektakulären Ereignis macht: Uraufführung von "Ende einer Verhandlung" – ein Gerichtsdrama von Anna Gmeyner um zwölf Geschworene, die zu einem einstimmigen Urteil kommen müssen, das über Leben und Tod eines des Mordes an seiner Frau beschuldigten Angeklagten entscheidet.
Alles ist da an Besonderheit, Anspruch und Dramatik: Eine wiederentdeckte Autorin. Ein unveröffentlichtes Stück. Ein Kammerspiel, in dem sich unterschiedlichste Charaktere aneinander reiben.
Ein geheimnisvoller Geschworener, der als einziger auf "Nicht schuldig" plädiert und dann das Spiel auf eine andere Zeitebene hebt. Die Vorgaben scheinen wie geschaffen dafür, das schauspielerische Können jedes und jeder Einzelnen im Ensemble auszureizen.
Die Hintergründe eines Femizids
Ein Stück, das den Prozess einer Urteilsfindung bis hin zu den Abgründen der Beteiligten ausleuchtet, ein Stück, das Rollenbilder vorführt und die Nuancen sexueller Übergriffigkeit. Ein Stück, das den Zusammenhang von Liebe und männlichen Besitzansprüchen offenlegt, genauso wie die Hintergründe eines Femizids, also der Tötung von Frauen als Akt sexualisierter männlicher Gewalt.
Das Drama stammt aus der Feder der österreichisch-jüdischen Autorin und Dramaturgin Anna Gmeyner (1902-1991), die einst mit Piscator, Brecht und Eisler zusammenarbeitetete, bevor sie 1935 ins englische Exil ging. "Ende einer Verhandlung" existierte nur als Skript, ohne Regieanweisungen. Amanda Lasker-Berlin übertrug den Text ins Deutsche und der Regisseur – ein Jäger verlorener Schätze – setzte das Stück mit einem enormen Aufgebot an Schauspielerinnen und Schauspielern auf die Bühne.
Zwölf Charakterköpfe stehen sich gegenüber
Zwölf Charakterköpfe stehen sich gegenüber, die in ihren Rollen aufblühen können und sich gleichzeitig im Ensemblespiel zurücknehmen müssen: Der Mysteriöse ("Salieri" Jürgen Hartmann als Gast), der Übergriffige (Gunnar Blume), der Bescheidene mit einem Hang zum religiösen Mythentraum (Rico Strempel), der Extrovertierte (Matthis Heinrich), der Schüchterne (Leonard Pfeiffer), der Reservierte (Florian Graf), der Cholerische (Michael Schrodt), der Überkorrekte (Erik Studte), der Resignierte (Jan Wenglarz), die lebenserfahrene alte Dame (Nicola Lembach), die alleinstehende Frau mittleren Alters (Ulrike Knobloch), die selbstbewusste junge Schöne (als Gast Marlene Goksch für die erkrankte Mia Antonia Dressler), an der Begierde, Begehren und Neid der Anderen abzuperlen scheinen wie Tropfen an einem Regenmantel. Und schließlich noch der Gerichtsdiener (David Gerlach), der der Schicksalsgemeinschaft auf Zeit seine Ordnungsrufe entgegensetzt.
Fiebrige Atmosphäre in einem Landgericht
Erinnert man sich an klassische Gerichtsdramen in Filmen, ahnt man, welche Gruppendynamik in klaustrophobisch anmutenden Räumen in Gang gesetzt wird. Diese fiebrige Atmosphäre in einem Landgericht in der englischen Provinz um 1936 breitet sich auch auf der Meininger Bühne aus, verstärkt durch musikalische Einsprengsel von Christopher Brandt. Ausstatter Christian Rinke hat den Raum als schiefe Ebene konzipiert und mit weißen Linien begrenzt, um die hermetische Geschlossenheit des Geschworenenzimmers zu unterstreichen.
Anna Gmeyner war eine hervorragende Beobachterin menschlicher Verhaltensweisen. Das zeigt sich in den Feinheiten des aufgeregten Austausches von Wichtigem und Nichtigem. Manche Gefühlsausbrüche allerdings werden arg theatralisch in Szene gesetzt.
Arg theatralisch und plakativ wird es auch, als sich nach der Pause als Spiel im Spiel eine zweite Zeitebene öffnet, 30 Jahre vorher, in der man zur Filmmusik aus Hitchcocks Psychothriller "Vertigo" eine weitere Beziehungstragödie mit tödlichem Ausgang Revue passieren lässt.
Beziehungstragödie mit tödlichem Ausgang
Alles ist also da, um das Stück zum spektakulären Ereignis zu machen. Und das gerade ist sein Dilemma: Es wird zu viel verhandelt an existenziellen Notständen: Männliches Machtgebaren, sexuelle Übergriffigkeit, Eifersucht, Femizid, soziale Differenzen, Kain und Abel, Gruppendynamik, das Ringen um Konsens, das mühsame Stochern auf der Suche nach Wahrheit und Gerechtigkeit.
Das Ganze unterfüttert mit Suspense in Hitchcockmanier und atmosphärischen Schwingungen aus Hollywoodgerichtsdramen. Durch die Gleichzeitigkeit verschiedener Bedeutungen verliert das Stück an Gewicht. – Das ändert allerdings nichts am begeisterter Applaus des Publikums.
Nächste Vorstellungen: 26. und 30. Oktober; 1., 15. und 20. Dezember. Kartentelefon (03693) 451 222. www.staatstheater-meiningen.de