Kann Trauer verordnet werden? Zwar sollte niemand zum Gedenken gezwungen werden, aber Bürgermeister Eberhard Streit hält es für einen wichtigen Auftrag des Staates, Bürgerinnen und Bürger zu bewegen, sich mit den dunkelsten Kapiteln der Geschichte zu befassen.
Genau an dieser Stelle steht der Volkstrauertag, so der Bürgermeister am Samstagabend bei der Gedenkfeier am Großenberg.
Streit hält den Rückblick für wichtig, um verantwortungsvoll eine friedliche Gegenwart und Zukunft zu gestalten.
Der Bürgermeister zitierte den Philosophen Karl Jaspers, der gesagt hat: Die Vergangenheit beleuchtet das Gegenwärtige. Was bedeutet, dass wir das Erbe unserer Vergangenheit annehmen und als Wegweiser in die Zukunft begreifen sollten.
Alles schon vergessen?
Oberstleutnant a. D. Gerhard Höhn erinnerte an das Grauen von Verdun und den verzweifelten Kampf im Ersten Weltkrieg, wobei er aus Feldpostbriefen Gefallener zitierte. Höhn vermeldete, dass vor 100 Jahren über 320 000 Menschen, Franzosen und Deutsche, darunter junge, hoffnungsvolle Menschen, ihr Leben verloren. Die stumme Anklage, die nach Kriegsende von den unzähligen Grabkreuzen ausging, vermochte nicht, die Überlebenden zur Besinnung zu bringen.
Die weltweit durch den Ersten Weltkrieg ausgelösten neuen Krisen und Konflikte trugen nicht unwesentlich zum Ausbruch des Zweiten Weltkrieges bei.
Am Ende mussten 14 Millionen Menschen ihre Heimat verlassen, viele verloren ihr Leben. Für viele Hinterbliebene sei dies auch heute noch ein Grund zum Gedenken und zur lebendigen Erinnerung. „Fünf Millionen Menschen, Soldaten und Zivilisten, Frauen und Kinder, forderte der Zweite Weltkrieg von unserem Land“, so Höhn in seiner Ansprache. „Hat man das alles schon vergessen? Seit Ende des Zweiten Weltkrieges haben Millionen von Menschen in Kriegen und Aufständen ihr Leben verloren. Fassungslos stellen wir fest, dass die Menschen aus diesen Ereignissen in den vergangenen 100 Jahren nichts gelernt haben“. Höhn verwies dabei auf die Krisenherde im Nahen und Mittleren Osten sowie in Afrika.
Höhn forderte, dass aus der Vergangenheit Lehren gezogen werden. „Unsere Freiheit ist Bedrohungen ausgesetzt. Jeder muss seinen Teil dazu beitragen, dass wir und unsere Kinder in Zukunft in einem friedlichen Europa leben können. Die Toten von Krieg und Gewaltherrschaft sollen uns als Mahnung auf diesem beschwerlichen Weg begleiten“. Dies alles gemäß dem Ausspruch des ersten Bundespräsidenten Theodor Heuss, „Sorgt ihr, die ihr noch im Leben steht, dass Frieden bleibe. Frieden zwischen den Menschen. Frieden zwischen den Völkern“.
Für ein Leben ohne Angst
Es folgten geistliche Impulse, gesprochen vom evangelischen Pfarrer Andreas Werner und der katholischen Wortgottesdienstleiterin Heike Pfeiffer. Im Laufe der Andacht sprachen beide Fürbitten aus: unter anderem, dass den Verantwortlichen Gedanken des Friedens und Miteinanders geschenkt werden. Um ein Leben ohne Angst baten die Geistlichen für die unzähligen Menschen, die in Not und Armut leben, die ihrer Würde beraubt werden, sowie für die Kinder, deren Hilflosigkeit sie zu Opfern der Ausbeutung mache.
Und dass die Menschen, die sich weltweit für die Erhaltung des Friedens einsetzen, durchhalten und nicht den Mut verlieren, wenn sie auf Hindernisse stoßen. Nach der Kranzniederlegung am Kriegerdenkmal bedankte sich der Bürgermeister bei der Feuerwehr, der Soldatenkameradschaft, dem Sängerverein, der Stadtkapelle, allen Fahnenabordnungen der Vereine, der Polizei und allen anderen, die an dieser würdigen Feier teilnahmen.