Livemusik an der Orgel hört man üblicherweise in geschlossenen Kirchenräumen. Manchmal gibt es jedoch Menschen, die das Unmögliche möglich machen. So auch in Ostheim: Dank des ortsansässigen Unternehmens „Hoffmann und Schindler“ wurde der Hof vor dem Orgelbaumuseum Schloss Hanstein Sonntagnachmittag kurzerhand zur Freilichtbühne.
Zum Abschluss des Deutschen Orgeltags griff Ingo Hoesch inmitten zauberhafter Kulisse in die Tasten und beeindruckte sein Publikum an der weltweit einzigartigen, transportablen Open-Air-Orgel. Spielend, und zwar im wahrsten Sinne des Wortes, brachte der Künstler Füße zum Wippen, Gesichter zum Strahlen und Herzen zum Tanzen.
Eine Stunde voller (Klang)Farben
Auch wenn der leuchtend orange Programmzettel sofort ins Auge stach, konnte das Papier nicht ansatzweise vermitteln, wie viele unterschiedliche (Klang)Farben die Zuhörer in dieser Stunde erwarten sollte.
Zunächst begrüßte Museumsleiter Jörg Schindler-Schwabedissen seine Gäste im Schlosshof. Er versprach beste Stimmung und witzelte gemeinsam mit dem Künstler über deren unterschiedliche Körpergrößen. Ingo Hoesch fühlte sich geehrt, in diesem Rahmen für sich eine Premiere zu haben. Bislang hat er noch nicht unter freiem Himmel in die Tasten gegriffen. Lächelnd versprach er, die Königin der Instrumente bei Kaiserwetter zu Höchstleistungen anzuspornen – große Worte, an deren Wahrheitsgehalt nach den ersten Tönen kein Zweifel mehr bestand. Da die Voraussetzungen unüblich waren, hatte der Musiker sich angepasst und ein außergewöhnliches Programm zusammengestellt, das die Fans klassischer Klänge sonst eher nicht zu hören bekommen. So wartete man beispielsweise auf Werke von Johann Sebastian Bach vergeblich. Stattdessen lud Ingo Hoesch sein Publikum kess auf eine Reise durch Europa ein.
Flott ging es von Salzburg nach London und von Spanien nach Russland – der Phantasie waren keine Grenzen gesetzt. Nachdem der Organist am Spieltisch Platz genommen hatte, eröffnete er das Programm kraftvoll mit Mozarts „Ouvertüre und Fuge in C-Dur“. Dann ging es von Österreich weiter Richtung Frankreich. In Paris schuf Leon Boellmann seine „Suite Gothique“. Deren Sätze, auf höchstem Niveau dargeboten, hatten es in sich: eingängige Melodien, mal verspielt, mal flott, teils kraftvoll, teils ruhig und getragen sind darin meisterlich vereint. Zudem hätte die „Toccata“ zur musikalischen Untermalung spannender Filmszenen getaugt. Ein langes Pedalsolo, bei dem der Akteur seine Füße unter Kontrolle haben muss, sind das Markenzeichen von Isaac Albeniz' „Suite Espanola Nr. 1“. Dabei bewies Hoesch erstaunliche Kondition, auch wenn er ins Schwitzen geriet.
Musik für die Tränendrüse
Neuzeitliche Klänge des 1962 geborenen Deutschen Johannes Matthias Michel luden zum Fingerschnipsen und Tanzen ein, seine „Suite Jazzique“ erzeugte gute Laune. Lediglich die finale „Toccata Jazzica“ fiel aus dem Rahmen: wie es sich für ein Stück, geschaffen zu einer romantischen Hochzeit, gehört, drückte es tüchtig auf die Tränendrüse.
Der Russe Dimitri Shostakovich benutzte die Jazzmusik ebenfalls gerne als Ausdruck seiner Gefühle. Bei dem 1906 geborenen Komponisten ging es vordergründig um die Rebellion gegen das System. Der „Waltz Nr. 2“ hat Weltruhm erlangt; dessen eingängige Melodie wurde leise mitgesummt.
Royaler Glanz
Jedes Jahr steht die Londoner Royal Albert Hall im Rahmen der „Last Night of The Proms“ Kopf. Edward Elgars „Pomp and Circumstance March No. 1“ erzeugt nicht nur in der Hauptstadt des Königreichs Gänsehaut. Auch Ingo Hoesch gelang es, seinem Konzert royalen Glanz zu verleihen. Hoesch, ganz und gar in seinem Element, legte noch eine Schippe drauf und ließ zum Finale feierlich den Zimbelstern erklingen. Mehr Gefühl geht nicht.
Schon als Kind hat der Künstler begonnen, Klavier zu spielen, mit 16 leitete Ingo Hoesch bereits zwei Kirchenchöre. Hoeschs größter Fan ist übrigens Sohn Felix. Während der Darbietung des Vaters saß der Bub wie gebannt auf seinem Platz; lauschte ebenso ergriffen wie die Erwachsenen. Am Ende flüsterte der Junge beinahe schon ehrfürchtig „Papa kann gut spielen“ in die Runde. Man mochte ihm an dieser Stelle widersprechen: nein, Papa kann nicht nur gut spielen, er kann es sogar ganz ausgezeichnet. Auch das Publikum war dieser Meinung, was der reichlich gespendete Beifall bewies.