Eine altmeisterliche Landschaft im breiten Panorama. Hinter einer sattgrünen Ebene erheben sich sanft gewellte Berge. Kein Mensch, nur Nebelreste, weite Blicke, offene Fernen. Im Wohnzimmer von Marco Wagner hängen die Beskiden an der Wand, ein Grenzgebirge zwischen Tschechien, der Slowakei und Polen, ein weltvergessener Teil des Karpatenbogens.
„Das ist die Heimat meiner Frau Tereza. Hier in der Rhön fühlt sie sich an die Landschaft ihrer Kindheit besonders erinnert. Deshalb gefällt es uns hier so“, sagt Marco Wagner. Einen wie ihn, der Titelcover für das politische Debattenmagazin „Cicero“ gestaltet, für amerikanische Börsennachrichten, für den „Playboy“ oder die „New York Times“, einen wie ihn würde man in Berlin oder Hamburg vermuten, nicht aber in einer Mietwohnung mit Blick hinüber zur Bad Neustädter Stadtkirche.
Kreativzentrum unter dem Dach
Die helle, loftartige Dachwohnung ist behängt mit Kunst. Ein kleines Zimmer mit einem farbbesprenkelten Holztisch ist das kreative Zentrum. Buntstifte, Pinsel, Federhalter, Tintenfass. Ein Computer noch und ein Scanner: schon sind die Zutaten für eine internationale Karriere zusammen. Der gebürtige Würzburger zählt in Fachkreisen zu den 200 besten Illustratoren der Welt.
Wer sich einige der Cover betrachtet, die Marco Wagner zum Beispiel für „Cicero“ zeichnete, weiß, warum der Unterfranke so hoch gehandelt wird. Caspar David Friedrichs berühmter „Wanderer über den Bergen“ blickt in eine mit Windrädern gespickte Landschaft. Die romantische Sicht der Natur ist durch die Energiewende reichlich getrübt.
Pointiert auch das Porträt von Rolling-Stone Keith Richards für den „Playboy“ von 2009. Man mag sich fast nicht sattsehen am kreativen Kosmos des 36-Jährigen, der sich allen Themen offen zeigt.
Horst Janssen oder Egon Schiele sind zwei seiner „All-time-Favourites“. Aber heute inspirieren ihn vielfältige Dinge aus Kunst, Kultur, Musik, Film oder schlicht aus dem Alltag.
Block und Bleistift als Kind immer dabei
Wagner hat schon früh sein Talent bewiesen in den Kinderjahren in Karlstadt und Thüngersheim. „Wenn ich Block und Bleistift hatte, wenn es mit den Eltern in die Wirtschaft ging, war ich zufrieden“, erzählt der Künstler. Im Religionsunterricht fiel der junge Marco auf, weil er die Geschichten des Alten und Neuen Testaments selbst bebilderte. Vor den großen Themen scheute er also noch nie zurück.
Als Studienfach wählte er ab 2002 aber nicht die Freie Malerei, sondern Grafikdesign und befasste sich viel mit Typografie und Layout. Den klassischen Techniken blieb er in Zeiten von Photoshop aber stets zugewandt. „Die analogen Dinge haben mich schon immer mehr interessiert“, sagt Wagner. Ein besonderes Faible hatte er dabei für Buchillustration.
Vorliebe für sperrige Themen und Groteskes
Ein Bilderbuch zu „Alice im Wunderland“ war denn auch seine Diplomarbeit. Die Illustrationen und Zeichnungen hierfür zeigten schon seine Vorliebe für eher sperrige Sachen. Etwas leicht Groteskes, ein gelegentlicher Hauch des Makabren, ein unterschwelliger Humor schwingen immer wieder in den Werken mit.
Bebilderte Erwachsenenliteratur war denn auch eine Nische, in der sich Marco Wagner zu Beginn seiner Laufbahn gerne bewegte. Leichte Jahre waren es anfangs nicht für den jungen Familienvater. 2007 kam Tochter Paula zur Welt, 2011 Geschwisterkind Klara. „Es dauert, bis man von seiner Arbeit leben kann, bis man sich einen Namen gemacht hat. Aber das wusste ich, als ich das Studium begann“, blickt der Wahl-Rhöner zurück.
Während Ehefrau Tereza Svobodova in Würzburger Krankenhäusern den Lebensunterhalt bestritt, kümmerte sich Wagner um den Nachwuchs – und zeichnete.
Schnell wurde der Art Directors Club Deutschland auf den jungen Illustrator aufmerksam, auch im Fachmagazin Novum veröffentlichte er. Schließlich errang er einen Preis bei einem amerikanischen Illustrationswettbewerb. „Mein erster Job war für die bekannte Agentur 'Jung von Matt?. Sie hatten mich angerufen und wollten, dass ich Schafe zeichne für eine Werbekampagne“, schmunzelt Wagner etwas.
Kunst für den „Playboy“
Schnell kam um 2008 herum der „Playboy“ als Kunde hinzu, dessen Art-Director immer wieder auf Wagners Arbeiten setzte. „Wenn ein Art Director wechselt, ändert sich oft auch der Stil eines Blattes“, plaudert Wagner aus dem Nähkästchen. So ändert sich die Kundschaft und so muss der Illustrator stets zu einer Veränderung bereit sein.
Nicht einfach waren die Jahre der Wirtschaftskrise, die auch viele Verlage zum Sparen zwangen. Aber Marco Wagner hat sich mittlerweile etabliert. Nicht nur liefert er immer wieder Cover oder Innen-Illustrationen für den Berliner „Cicero“, die „Wirtschaftswoche“ oder amerikanische Investment-Zeitschriften. Auch das von der evangelischen Kirche (EKD) finanzierte Magazin „Chrismon“, Beilage unter anderem bei der „Süddeutschen“ oder der „FAZ“, bestellt bei dem Wahl-Rhöner immer wieder Illustrationen für ihre Artikel oder Buchprojekte.
Auf einen ersten Papierentwurf folgt dabei die Reinzeichnung von Hand. Das gibt den Illustrationen einen rustikalen, besser noch altmeisterlichen Touch. Früher hat er die einzelnen Elemente einer Zeichnung dann zusammengefügt. Erst hier greift bei Marco Wagner heute die Computertechnik ein. Denn wenn er die eingescannten Elemente heute mit Photoshop-Software zusammenfügt zu einer Einheit, ist eine Nachbearbeitung oder Neuzusammenstellung schlicht einfacher.
Seit 2013 hat Marco Wagner einen Lehrauftrag für Illustration an seiner ehemaligen FH in Würzburg. „Das ist eine gute Abwechslung. Und es ist schön, wenn man die Riesensprünge beobachtet, die die Studenten bis zu ihrem Abschluss machen“, sagt Wagner, dem nicht nur Studenten über die Schultern schauen, sondern vor allem auch Tochter Paula, die wohl etwas vom künstlerischen Talent des Vaters geerbt hat.
Seit 2008 nimmt Marco Wagner regelmäßig an Ausstellungen teil, seine freien künstlerischen Arbeiten werden von der Galerie Feinkunst Krüger in Hamburg vertreten. Etwa ein halbes Dutzend Ausstellungen im Jahr in ganz Deutschland kommt da hinzu.
„In meinem Beruf lässt es sich von überall arbeiten“
Seine dritte Baustelle ist eine ganz reale. Die Familie baut gerade ein Haus in Haselbach bei Bischofsheim, ganz am Fuße des Kreuzberg. „Wir fühlen uns sehr wohl hier. Meine Frau ist richtig zufrieden, die Natur der Rhön gibt uns sehr viel“, schwärmt der weltweit vertretene Illustrator von den Reizen der unterfränkischen Provinz. „In meinem Beruf lässt es sich von überall arbeiten“, sagt Wagner. Also genießt er zwischen den Aufträgen den einen oder anderen Wandertag zu Pferdskopf, Platzer Kuppe oder zur Hohen Geba.
Die Rhön hat sein Talent auch schon entdeckt. So stellte er bereits in der Mellrichstädter Kreisgalerie aus. Er arbeitete für die „Heimatunternehmer bayerische Rhön“, aktuell arbeitet er mit der Brennerin Franziska Bischof aus Wartmannsroth an einem Etikett für einen edlen Whisky und einen Brandy.
Auch wenn man als Illustrator Kunden in Berlin, Hamburg oder New York hat. Ganz ohne Träume geht es nicht: „Ich möchte gerne einmal ein ganzes Buch illustrieren. Bücher sind für mich das schönste Medium überhaupt. Nikolaus Heidelbach wäre da ein Vorbild.“ In den Schubladen seines Atelierzimmers mit den vielen Zeichenbüchern schlummern schon zahllose Ideen für ein solches Vorhaben. Wäre ja gelacht, wenn sich für einen der besten Illustratoren der Welt nicht ein solcher Wunsch erfüllte.
Wer mehr vom Illustrator sehen und über ihn wissen will: www.marcowagner.net