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MELLRICHSTADT
Ein künstlerisches Multitalent
„Patchwork“ nennt Herbert Waibl“ das Trio, dem er selbst als Gitarrist und Sänger angehört. Mit ihm musizierten bei seiner Vernissage Petra Spee (Bass-Gitarre) und Benjamin Balling (Cajon). Hinter den drei Personen eine der vielen Wände, die mit Beispielen für Waibls Postkartenkunst gespickt waren.
Foto: Fred Rautenberg | „Patchwork“ nennt Herbert Waibl“ das Trio, dem er selbst als Gitarrist und Sänger angehört. Mit ihm musizierten bei seiner Vernissage Petra Spee (Bass-Gitarre) und Benjamin Balling (Cajon).
Fred Rautenberg
 |  aktualisiert: 02.04.2019 11:46 Uhr

Wenn nicht die „Rhöngazelle“ in der Mitte des hinteren Ausstellungsraums stünde, könnte man von Herbert Waibls Kreativität als Künstler einen falschen Eindruck bekommen. Denn was die zahlreichen Besucher bei der Eröffnung seiner Ausstellung am Sonntag in Mellrichstadts Kreisgalerie zu sehen bekamen, waren außer dieser einen farbigen Holzskulptur durchweg Drucke in Postkartengröße, etliche als farbige Grafiken, die meisten aber als typografisch gestaltete Texte im Schwarz-Weiß-Druck. Als Kleinkunst hätte man das einstufen können, etwas eindimensional, mehr oder weniger immer dieselbe Masche strickend, was da in dieser Ausstellung mit dem Titel „Karten Kunst DIN A 6“ bis zum 14. Oktober zu sehen ist.

Doch Dr. Astrid Hedrich-Scherpf von der Kulturagentur des Landkreises ließ bei ihrer Eloge im Rahmen der Vernissage keinen Zweifel aufkommen, dass Waibl ein vielseitiger Künstler ist. Die Öffentlichkeit hatte sich davon bei Waibls großer Ausstellung im Kloster Wechterswinkel im Jahr 2012 überzeugen können, erinnerte Hedrich-Scherpf. 120 Arbeiten dokumentierten damals 35 Jahre künstlerischen Schaffens. Witzige Radierungen waren dort zu sehen, Holzschnitte, geschnitzte oder mit der Kettensäge geschaffene Skulpturen, Siebdruck und Linolschnitte, Skulpturen aus Abfallmaterialien montiert, gesägte Labyrinthe, Kleinplastiken und Riesengemälde, handgeknüpfte Teppiche – und bereits damals am PC gefertigte Postkarten „mit knackigen Sprüchen“.Einige dieser Postkarten sind jetzt in der Kreisgalerie zu sehen.

Besonders in letzter Zeit habe sich der Künstler aber der Komposition eigener Songs und Chansons gewidmet. Ein Multitalent ist dieser Herbert Waibl ganz offensichtlich.

Für seine Musikalität lieferte Waibl dann auch fünf Beispiele, teilweise sogar erstmals in der Öffentlichkeit vorgetragene, mitreißende Lieder, bei denen ihn Petra Spee an der Bassgitarre und Benjamin Balling am Cajon begleiteten, während er Gitarre und Mundharmonika spielte und die von ihm getexteten Lieder sang (oft auch im Duett mit Spee). „Patchwork“ nennt sich dieses Trio.

Diese fünf Liedertexte waren natürlich nicht voll repräsentativ für das musikalische Schaffen von Waibl, aber sie wiesen dennoch in eine Richtung seiner Kreativität, die auch, wie er im Interview selbst bestätigte, bei seinen Kunst-Postkarten zu beobachten war: Er spürt nicht zielorientiert den Impulsen nach, sucht nicht bewusst nach Anregungen im Rahmen eines festen Kunstkonzepts oder einer Aussagetendenz, sondern greift die Anregungen auf, wenn sie unverhofft an ihn herantreten. Dann aber erkennt Waibl darin die Möglichkeit zur künstlerischen Gestaltung, die ihn reizt, die in ihm impulsiv eine Vision zur Gestaltung wachruft. Aus dieser Arbeitsmethode ergab sich im Laufe der Zeit ein breit gestreutes OEuvre, dessen gemeinsames Merkmal eben seine Diversität ist.

Bei den Liedern waren das so alltägliche Anlässe wie das Wandern (auf dem Jakobsweg), die frustrierende Erfahrung, wenn der PC streikt und keinen Kontakt mit den Internet mehr herstellt, das Hochgefühl eines „freedom ride“ mit dem eigenen Motorrad, die herzrührende Begegnung mit einer dementen Frau im Seniorenheim, die sich zurück in ihre Heimat Bamberg sehnt; oder die Verdrossenheit eines verdüsterten Tages, an dem man „mit dem linken Bein zuerst aus dem Bett aufgestanden“ ist.

Die Texte der Postkarten, im Stil künstlerischer Typografie und mit deutlichen Anklängen an die konkrete Poesie, sind natürlich auf allerengste Aussagen komprimiert. Wortspiele sind das, witzig, ironisch bis sarkastisch, auch mal derb oder in englischer Sprache. Mit Wortbruchstücken treibt Waibl sein Spiel, stellt sie in überraschende Zusammenhänge, hebt zentrale Begriffe oder Wortteile wuchtig hervor, umkleidet sie mit Worten in Minigröße, die aber die Doppeldeutigkeit des Textsinns ausmachen.

Die Kulturagentin skizzierte auch den Werdegang des in Augsburg geborenen Künstlers. Nach einer Lehre als Bankkaufmann holte Waibl sein Abitur nach und studierte Erziehungswissenschaften in Augsburg. Seine künstlerische Ausbildung erhielt er von 1978 bis 1984 an der Akademie der Bildenden Künste in Nürnberg und schloss sein Studium mit dem Staatsexamen für den Lehrerberuf ab. 1988 kam er an das Rhön-Gymnasium in Bad Neustadt, wo er als Kunsterzieher tätig war.

Seine Herkunft aus bayerisch Schwaben will er mit seinem Zungenschlag nicht verleugnen, doch in der Vorrhön, genauer in Rödles, ist er heimisch geworden und „fränkisch sozialisiert“, wie Waibl sagte. Seine drei- bis vierhundert bisher erstellten Kunstkarten (so genau weiß er das gar nicht) seien für ihn Ausdruck einer Stimmung oder einfach nur die Realisierung einer zündenden Idee, aus einer interessanten Bemerkung z. B., die er im Gespräch aufgeschnappt hatte. Sein Werk, soweit bei der Vernissage erkennbar, verrät eine unkomplizierte Hingewandtheit an das Leben, von Humor geprägte Lebensfreude, die aber auch nicht die düsteren Seiten unserer Existenz samt den vielen menschlichen Schwächen verkennt. Gut eineinhalb Monate haben die Besucher nun noch Gelegenheit, dies beim Betrachten der vielen Textkarten nachzuvollziehen.

Diese Skulptur, „Rhön-Gazelle“ von Herbert Waibl genannt, ist zumindest ein deutlicher Hinweis, dass der Künstler aus Rödles mehr als Postkarten zu schaffen weiß.
Foto: Fred Rautenberg | Diese Skulptur, „Rhön-Gazelle“ von Herbert Waibl genannt, ist zumindest ein deutlicher Hinweis, dass der Künstler aus Rödles mehr als Postkarten zu schaffen weiß.
 
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