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Ein Hautarzt als genialer Dichter
Berlin Er war ein eigenwilliger Mann, dieser "Dr. Med. G. Benn, Facharzt für Haut- und Harnleiden", Jahrgang 1886, der in Berlin eine Praxis unterhielt. Er versah seinen Dienst im Anzug, den weißen Kittel darüber, und mit Gamaschen, was schon in den zwanziger Jahren überholt war - und er dichtete.
Von Roland Mischke
 |  aktualisiert: 03.12.2006 22:29 Uhr
Benn war gerne Arzt, obwohl er mit gesundheitlichem Elend nichts anfangen konnte ("Sehe ich menschlichen Gram, denke ich: nebbich; sehe ich Kunst . . . denke ich: wunderschön"). Manche seiner mittellosen Patienten behandelte er kostenlos. Zwei Ehefrauen verlor er, eine durch Krankheit, die andere durch Selbstmord, auch seine dritte, wesentlich jünger als er, konnte ihn nicht von Affären abhalten. Seine einzige Tochter, Nele, gab er nach dem Tod ihrer Mutter in die Obhut seiner Geliebten nach Kopenhagen. Der verschrobene Einzelgänger lebte nie mit jemandem kontinuierlich zusammen. Seine Tochter erinnert sich, dass sich das Familienleben auf Kaffee und Kuchen am Sonntagnachmittag beschränkte.

Benn war kleinwüchsig und rundlich, er lebte nicht gesund, liebte Aufputschmittel und gab sich selbst eine Lebensspanne von 70 Jahren. Da lag er richtig: Er starb als 70-Jähriger am 7. Juli 1956 an Knochenkrebs. Manche nennen ihn den letzten großen deutschen Dichter des 20. Jahrhunderts, nach ihm kamen nur noch Lyriker. Benn selbst urteilte hart über seine Arbeit: Sechs bis acht vollendete Gedichte, mehr bliebe nicht, meinte er.

Fast der Nobelpreis

Neben Brecht war er der bekannteste Dichter, 1954 hätte er fast den Nobelpreis erhalten. Zuvor schon verlieh man ihm den Büchner-Preis. Gottfried Benn liebte Schlager und Krimis, die er "Radiergummis fürs Gehirn" nannte. Vom Literaturbetrieb hielt er sich fern, als Ernst Jünger sich um eine Freundschaft bemühte, blieb es bei einer Begegnung. Man verspeiste Hummerschwänze in Mayonnaise, trank alten Burgunder und hatte sich nicht wirklich viel zu sagen.

Gottfried Benns Gedicht "Mann und Frau gehen durch die Krebsbaracke" findet sich noch in Schulbüchern, aber sein Ruhm ist verblasst, seine Bücher werden kaum noch verkauft. Im Nachkriegsdeutschland hatte es eine regelrechte Euphorie um den Autor gegeben. Seine Gedichte, die als seelenlos, ja zynisch empfunden wurden, trafen die Stimmung der Zeit. Benn war Nihilist. Er bewunderte nichts und niemanden. Der Mensch war für ihn nur ein Stück Fleisch, austauschbar, "und stirbt er dereinst in Röcheln und Qual, liegen zwölf andre in diesem Saal", formuliert er in "Saal der kreißenden Frauen". Er sah die Welt wie andere kriegserfahrene Künstler, wie Otto Dix oder George Grosz, aus der Perspektive des Erniedrigtseins. In seiner Praxis hatte er mit Elenden zu tun, als Oberstabsarzt der Wehrmacht mit Verwundeten.

Die 68-er haben Benn den Garaus gemacht. Sie konnten ihm nicht verzeihen, dass er sich Hitler an die Brust geworfen hatte. Das Kraftvolle, Aufpeitschende an dieser Führergestalt vor dem Hintergrund wirtschaftlichen Niedergangs zog ihn an. "Die Revolution ist da und die Geschichte spricht", tönte er 1933. "Wer das nicht sieht, ist schwachsinnig." Benn stimmte für den Ausschluss des von ihm geschätzten Heinrich Mann und von Käthe Kollwitz aus der Preußischen Akademie der Künste, spottete über die Emigranten, die sich abgesetzt hatten, und kannte noch nicht einmal Hitlers "Mein Kampf". Als ihm 1934 aufging, wohin das NS-Regime steuerte, geriet er bald in Bedrängnis, 1938 erhielt er Publikationsverbot. Nach dem Krieg rechtfertigte er sich auf die ihm eigene Art: "Sich irren und doch seinem Inneren weiter Glauben schenken zu müssen, das ist der Mensch."

Benn hat große Gedichte geschrieben. Brecht hat gelobt, dass bei ihm Wörter zueinander kämen, die sonst nie zueinander fänden. Aber Benn war auch ein tragischer Mann, der sich noch im Alter nur in den kurzen rauschhaften Momenten der Verführung junger Frauen zu spüren schien. 1948 gab er das Buch "Statische Gedichte" heraus, ein typischer Benn-Titel. Biograph Gunnar Decker nennt ihn in "Gottfried Benn. Genie und Barbar" (Aufbau Verlag) einen "Pathologen, der die Träume des 20. Jahrhunderts seziert".

 
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