
Wer die Freude in den Gesichtern der jungen Leute sah, die zu den Südthüringischen Schultheatertagen ins Meininger Theater gekommen waren, um der Welt ihre Kunst zu zeigen, kann eines mit Sicherheit feststellen: Trotz Leistungsstress in den Schulen, trotz G 8, trotz Erwartungsdruck von Eltern, trotz der geringen Bedeutung, die den schönen Künsten im Vergleich zu handfesten Stoffen beigemessen wird, scheint noch nicht aller Tage Abend zu sein, was jugendliche Leidenschaften für ein etwas anderes, kreativeres Leben betrifft. Den Reigen der Inszenierungen von Schultheatergruppen aus Mellrichstadt (Martin-Pollich-Gymnasium), Suhl (Kulturverein Alte Schule), Haubinda (Hermann-Lietz-Schule), Eisenach (Elisabeth-Gymnasium), Meiningen (Realschule am Kiliansberg), Schmalkalden (Melanchthon-Gymnasium) und Vacha (Seume-Gymnasium), eröffnete die vorerst letzte Vorstellung einer Produktion des Jungen Theaters Meiningen, mit einem Stück nach Leander Haußmanns und Thomas Brussigs erfolgreichen Kinofilm „Sonnenallee“. Die theaterinterne Truppe von Jugendlichen aus Südthüringen und dem Landkreis Rhön-Grabfeld brachte eine erstaunlich flotte Musicalfassung auf die Bühne – eine außergewöhnliche Ensembleleistung. Insofern stehen die beiden jungen Menschen, die unser Autor Siggi Seuß interviewte, stellvertretend für alle leidenschaftlichen Jungmimen.
Der Bad Neustädter Kenan Gohlke spielte den schüchternen Micha, der sich unsterblich in Miriam verliebt, in deren Rolle Gloria Dittmar aus Dorndorf schlüpfte, mit einer rockigen Singstimme, mit der nicht nur Nina Hagens DDR-Kultschlager „Du hast den Farbfilm vergessen“ einen zweiten Frühling erleben durfte.
Kenan: Meine Mutter hat mich hierher geschleppt. Da war ich zwölf und hatte schon in der Schule Theater gespielt. Ich hab mir das angeguckt und fand es ganz gut. Die Leute sind nett und offen.
Gloria: Ich hab eigentlich schon mein ganzes Leben irgendwie geschauspielert. Als ich elf war, wollten wir, ein paar Mädels und ich, einen Streich spielen. Ich sollte so tun, als ob ich Angst hätte. Und dann haben alle gedacht, ich hätte tatsächlich Angst. Und jemand hat aus Spaß gesagt: „Mensch, Gloria, du solltest Schauspielerin werden!“
Gloria: Nö. Bei mir kam alles aus mir selber, weil ich es wollte.
Kenan: Mein Talent wurde noch nicht erkannt, bevor ich sprechen konnte. Ich würde auch nicht mit so viel Ehrgeiz schauspielen, wenn ich dazu gezwungen worden wäre.
Gloria: Einseitig.
Gloria: Mathe und die ganzen naturwissenschaftlichen Fächer. Also, ich mogle mich da so durch. (lacht)
Kenan: Wenn wir heute Zeugnisse bekämen, dann würde meins nicht so gut aussehen. Ich schaff das ja – das ist ja kein Problem, aber nicht mit Glanznoten.
Kenan: Ich denk mir: „10. Klasse, okay, da kann ich noch ein bisschen den Faulen machen. In der 11. Klasse, da muss ich dann richtig lernen, weil das ja für das Abitur wichtig ist. Und in der 12. Klasse, da muss ich doppelt so viel lernen, damit ich einen guten Abischnitt bekomme.
Kenan: Ich bin einer, der den Lehrern die Meinung sagt. Wenn mir was nicht passt, dann sag ich das.
Kenan: Manche Lehrer sagen: „Ja, ich mag dich eigentlich, aber wenn du nicht immer so frech wärst, dann wärst du auch ein richtig guter Schüler.“ Die Lehrer, die nett sind, und von denen ich glaube, dass sie mich fördern wollen, die sind auch zur Vorstellung gekommen. Die fragen immer nach: „Ist es denn wieder soweit? Habt ihr denn jetzt ein neues Stück?“
Kenan: Mancher Lehrer hat gesagt: „Das ist aber schön, dass der sich so für Kunst und Literatur interessiert. Da kann man ihm ja auch mal was Gutes tun.“
Kenan: Wir treffen uns seit Februar/März zweimal die Woche. Und dazu noch die Probenwochenenden. Dienstags und freitags ging's um vier, halb fünf Uhr zur Probe. Also musste ich um halb vier mit dem Zug in Bad Neustadt losfahren. Wenn's nicht gerade die Endprobenzeit war, war ich um halb neun wieder daheim.
Gloria: Ich fahr auch mit dem Zug. Meine Schule hört um 15.10 Uhr auf. Dann muss ich noch gucken, dass ich meine Taschen wechsle und fahre mit dem Zug um 15.40 Uhr von Bad Salzungen.
Gloria: Nö. Und in letzter Zeit bin ich halt auch ganz oft erst mit dem letzten Zug nach Hause gefahren. Der kommt viertel elf an.
Gloria: Das Privatleben. (lacht) Zum Schluss haben wir ja nicht nur zweimal pro Woche geprobt, sondern jeden Tag. Ich kann nicht mal sagen, dass die Schule auf der Strecke bleibt, weil man's irgendwie noch hinbringt. Aber das Familienleben, das Freundesleben, auf jeden Fall. Manchmal war es total stressig. Ich hab ja zusätzlich die Ausstattung für das Stück gemacht. In den letzten drei Wochen vor der Premiere bin ich nur rumgerannt. Drei Kilo hab ich abgenommen, weil ich kaum noch zum Essen kam.
Gloria: Ich brauche zu meinem Fachabi ein Praktikum, also bin ich hier in der Bühnenbildnerei zwei Tage die Woche als Praktikantin.
Gloria: Ich bin nicht so ein Mensch, der was hinwirft. Ich wurde gefragt, ob ich's machen will und ich hab „ja“ gesagt. Und dann zieh ich's auch durch. Das war zwar ganz schön hart, aber ich freu mich jetzt, dass ich durchgehalten habe und dass mein Wille stärker war als mein Schweinehund.
Gloria: Das ist so ein Katz-und-Maus-Spiel. Also, meine Mutter fördert ihn positiv. Sie gibt mir die Chance, alles zu machen. Mein Vater ist immer ein bisschen skeptisch. Bei dem muss ich mich durchsetzen. Als ich elf war, wollte ich mit Klavierspiel anfangen. Und mein Vater war immer dagegen. Deshalb hat's drei Jahre gedauert, bis ich endlich Klavier spielen durfte.
Gloria: Nö, durch Willen. (lacht) Wir haben ein Klavier gekauft, meine Mutter und ich. Und mein Vater musste es dann mit abholen und mit ins Haus tragen, die Treppe hoch.
Gloria: Meine Mutter ist Finanzbeamtin und mein Vater ist selbstständiger Fahrverkäufer – der fährt über die Dörfer und verkauft Hähnchen. Mein Opa mütterlicherseits war ein ganz musikalischer Mensch, hat Zerwanst gespielt und auf Feiern gesungen. Als ich angefangen hab, Klavier zu spielen, da war's für ihn ganz toll und er hat vor Freude geweint. Meine Oma hat mir als Kind immer vorgelesen. Und wenn sie beim Lesen eingeschlafen ist, hab ich das Buch genommen und weitergelesen, obwohl ich gar nicht lesen konnte. Ich hab die Geschichten aus der Fantasie weitererzählt.
Kenan: Ich sitz im Zug und denke: „Okay, wir schreiben am Montag Mathe, dann guck ich mir jetzt noch mal Mathe an.“ Dann bin ich hier, hab Spaß, fahr zurück, lern dann auch noch mal und hab eigentlich kein schlechtes Gewissen. Theaterspielen – das ist so eine gute Abwechslung vom stressigen Schulalltag! Meine Mutter fördert das – sie ist Krankenschwester – und sie ist ganz stolz, wenn sie mich auf der Bühne sieht. Oma und Opa sind auch ganz stolz.
Gloria: Ich hab erst vor Kurzem die Oper „Gianni Schicchi“ gesehen und als die Elif Aytekin gesungen hat – das ging mir sooo ans Herz, ich hab dagesessen, das war sooo schön und mir kamen die Tränen.
Kenan: In solchen Momenten denk ich mir: „Ach, das ist ja nur ein Schauspiel. Ich bin doch nur im Theater.“ Ich werde da mehr von Fernsehserien beeinflusst. Der Jake aus „Two and a Half Men“ ist ganz lustig. Da sagen alle: „Ja, der ist dir total ähnlich.“ Aber kopieren tu ich ihn nicht.
Gloria: In der Familie wurden viele Anekdoten aus der Zeit erzählt. Mein Vater hat sich öfters in die Nesseln gesetzt. Das haben sie mir alles erzählt.
Kenan: Meine Großeltern kommen aus der DDR, ursprünglich aus Kaltennordheim. Oma und Opa haben mir immer erzählt, wie das damals war, zum Beispiel, dass Oma mal im Westen war. Damals hat sie eine Ansichtskarte geschrieben: „Hach, hier im Westen ist es schön. Hier könnte man ja bleiben.“ Und schon stand die Stasi bei meinem Opa vor der Haustür.
Gloria: Unser erstes Plakat wurde übrigens vom Herrn Intendanten zensiert. Das hatte ich entworfen. Wir haben ein Bild von Herrn Honecker genommen und ihm Teufelshörnchen aufgemalt und Teufelsschwänzchen und Vampirzähne und eine Sonnenbrille. Und das wurde zensiert, aus Angst vor einem Skandal. Das Alternativplakat war einfach „Sonnenallee in pink auf orangenen DDR-Tapetengrund“.
Kenan: Ich war ursprünglich der einzige Junge in der Gruppe. Weil wir Männermangel hatten, kamen drei Jungs von der Tohuwabohu-Theatergruppe dazu.
Kenan: Hoffentlich nicht. Ich bin für eine Wiederaufnahme.
Gloria: Ich auch. Ansgar Haag hat gesagt, es wäre schade, wenn nur die vier angekündigten Mal gespielt würde.
Kenan: Ich bin einer, der sagt: „Mach erst mal Abi und studier was Richtiges.“
Gloria: BWL? (lacht) Ich hab mittlerweile mein Herz so daran verloren, dass ich nicht einfach aufhören könnte. Im nächsten Jahr setze ich mit dem Theaterspielen aus, weil ich an der Meiningen Musikschule Gesangsunterricht nehme und bei „Jugend musiziert“ mitmachen will. Mein Weg geht in Richtung Schauspiel, mit dem Zusatz Gesang und Klavierspiel.
Kenan: Ich glaub, ich werde ein Schauspieler, der erst im Alter berühmt wird, und der vorher was gemacht hat, das keiner von ihm erwartet hätte. Bud Spencer war ja auch irgendwann mal bei den Olympischen Spielen dabei.
Kenan: Nur in der Familie.
Gloria: Auf meinen vorherigen Schulen war das Interesse von Mitschülern und Lehrern nicht da. In meiner neuen Schule fühlen wir uns alle als Künstler. Da gibt’s keine negative Haltung.
Kenan: Eingebildet. Auf Partys.
Gloria: Theaterspielen ist heute uncool. Viele denken: „Die sind alle schwul, die da spielen.“ Theaterleute sind ja extrovertiert. Viele halten sie für verrückt.
Kenan: Bestimmt.
Gloria: Bestimmt, ein bisschen.
Kenan: „Mann, seh ich heut wieder gut aus!“ (lacht)